Drama | Großbritannien/USA 2024 | 141 Minuten

Regie: Coralie Fargeat

Eine alternde Schauspielerin, die beruflich aufs Abstellgleis geschoben wird, injiziert sich eine dubiose Substanz. Mit deren Hilfe „gebiert“ sie eine junge, sexy Version von sich selbst, die als zweites Ich parallel mit ihr lebt. Bald stehen die beiden jedoch in Konkurrenz: Die junge Frau legt eine rasante Karriere im Fernsehen hin, die alte ist eifersüchtig, beide sabotieren sich gegenseitig. Die Bilder des satirischen Films betonen zunächst so detailliert wie ausufernd Alter und Jugend, weibliche Schönheit oder Hässlichkeit und tragen dick auf, um Sexismus und Patriarchat vorzuführen. Auf Dauer gerät die überlange Farce allerdings zu repetitiv, bevor sich im Finale die geballte Kraft des Splatter-Genres entlädt. - Ab 18.
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Filmdaten

Originaltitel
THE SUBSTANCE
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Universal Pic./Working Title Films
Regie
Coralie Fargeat
Buch
Coralie Fargeat
Kamera
Benjamin Kracun
Musik
Raffertie
Schnitt
Jerome Eltabet · Coralie Fargeat · Valentin Féron
Darsteller
Demi Moore (Elizabeth Sparkle) · Margaret Qualley (Sue) · Dennis Quaid (Harvey) · Gore Abrams (Oliver) · Hugo Diego Garcia (Diego)
Länge
141 Minuten
Kinostart
19.09.2024
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 18.
Genre
Drama | Horror
Externe Links
IMDb | TMDB

Ein satirisches, drastisch bebildertes Horrordrama um eine alternde Schauspielerin, die mit Hilfe einer dubiosen Substanz eine junge Version von sich selbst erzeugt und mit diesem in Konkurrenz gerät.

Diskussion

Im Grunde ist das ein nicht sonderlich zeitgemäßer Film. Frauen kommen darin verdammt schlecht weg, wenn auch die Männer, zugegeben, noch viel schlechter wegkommen. Die Frauen in „The Substance“ wollen nichts anderes als Ruhm, flächendeckend öffentliche Anerkennung, und um die zu erreichen, posieren sie gern und jederzeit als Sexsymbole. Da stellt sich schon die Frage: Zahlen Frauen diesen Preis? Heute, immer noch? Wo hat der überhaupt noch Kaufkraft? Vielleicht im Fernsehen, wo dieser Film spielt, im amerikanischen Fernsehen in einer nahen Zukunft, die so aussieht, wie die Gegenwart vor ungefähr zehn Jahren.

„The Substance“ beginnt mit einem aufgeschlagenen Ei. Das bekommt eine Injektion, danach verdoppelt sich das Eigelb, aus dem ersten wird durch ein kleines Loch ein Zwillings-Eigelb herausgequetscht. Da hat man die Grundlage der Geschichte im Bild, leicht verständlich, der Vorgang etwas harmloser, als er sich dann beim Menschen darstellt. Denn das ist das Thema: mit Hilfe der titelgebenden „Substanz“ können Menschen ein zweites Ich generieren, oder besser: ihr eigenes Ich reproduzieren, aber in jung. Diese Idee wird an die verblühte Diva Elizabeth Sparkle herangetragen, einst berühmt genug für einen Stern auf dem „Walk of Fame“, inzwischen Star einer Fitness-Sendung, und selbst das ist vorbei. Sie wird entlassen, weil sie zu alt sein soll, mit 50 habe man nichts mehr im TV verloren.

Sparkle kann der Verlockung nicht widerstehen

Exakt mit dieser Begründung wird ihr die Entlassung vermittelt, von ihrem Produzenten Harvey, gespielt von Dennis Quaid, der in diesem Film zur Comicfigur degradiert wird. Harvey ist eine einzige offene Hose, egal ob in seinem Denken, im Dialog oder im Benehmen. Das ist natürlich Gesellschaftskritik, Kritik am Patriarchat, Kritik am Sexismus, alles, alles soll eine Anklage gegen die Männer sein, aber bei genauerem Hinsehen werden die Frauen mindestens genauso angeklagt, ob das gewollt ist oder nicht. Die zwei Frauen, die das betrifft, sind Elizabeth Sparkle und ihre jüngere Version Sue. Denn Sparkle kann der Verlockung nicht widerstehen, sich durch die Substanz zu verdoppeln.

Sparkle hat also injiziert, hat ein zweites Ich aus ihrem Rücken gequetscht, das ist ein bisschen splatterig anzusehen, als Vorahnung, wo der Film hinführen könnte. Regeln gibt es für die zwei Frauen auch: das Original und das „andere Ich“ dürfen jeweils nur allein in der Welt sein, sieben Tage, dann wird gewechselt. Während die eine lebt, liegt die andere zuhause ohnmächtig auf dem Boden herum. Das Leben der beiden wiederum könnte unterschiedlicher nicht sein. Die junge Sue, sehr raffiniert von Margaret Qualley gespielt, beginnt mit einem Job im Fernsehen und wird rasant zum Quoten-Star. Elizabeth wiederum wird interpretiert von Demi Moore, die sich nicht scheut, das Alter so albtraumhaft hässlich in Szene zu setzen, als würde es Monster aus allen Frauen über 50 machen.

Keine will hinter die andere zurücktreten

Immer wieder versichert der Film seinen zwei Protagonistinnen: „Ihr seid eins.“ Aber die beiden Frauen, die doch biologisch tatsächlich eins sind – obwohl die Biologie hier eine dubiose Sache ist –, diese beiden Frauen lehnen das von der ersten Sekunde an ab. Von dem Moment, in dem die junge Kopie das alte Original sieht, ist die Konkurrenz da. Keine will hinter die andere zurücktreten oder versucht es auch nur mit Kooperation. Keine will Kommunikation, Empathie, eine Gemeinsamkeit ist nicht absehbar, egal ob beide wissen, dass sie eins sind, nur in unterschiedlichen Stadien des Verfalls. Dass sie womöglich miteinander oder füreinander das Patriarchat ausbooten könnten, steht nie zur Debatte. Stattdessen versuchen sie, sich gegenseitig zu sabotieren.

Überraschend kommt das nicht, der Film ist weitgehend vorhersehbar, wobei man jeden Gedanken an Realität sofort abstellen kann. Das gilt nicht nur für den Science-Fiction-Auftrag der Substanz, sondern schon für das alberne Fitness-Setting. Was hier als Gold-Standard des Erstrebenswerten gilt, soll die surreale Farce unterstreichen. Die wird auch formal ausgebaut: Häufig sind die ekligsten Details aus großer Nähe im Bild, egal ob es Münder beim Auslutschen von Shrimps sind, das Herausreißen von Schneidezähnen oder abfallende Ohren. Andererseits sieht man den Körper von Margaret Qualley ebenfalls sehr nah, jede Rundung wird abgeschwenkt, ununterbrochen. Klar geht es um Exaltation, Betonung des „männlichen Blicks“, aber die Schaulust liegt durchaus auch auf Seiten der Kamera.

Hinein in blutroten Irrsinn

Abgesehen davon dauern diese Voyeurismen lang. Der Film umfasst 140 Minuten, bestimmt 100 davon sind der visuellen Ausschmückung gewidmet. Das kann zeitweise lustig sein, wird aber so weit übertrieben, dass der Spaß einer leichten Verstimmung weicht. Man hat den Hohn schon begriffen, immer mehr davon macht ihn langweilig. Wer Filme handlungsorientiert schätzt, wird wenig Freude an „The Substance“ haben, wer Body-Horror schätzt, schon eher. Regisseurin Coralie Fargeat kennt sich aus mit B-Movie-Trash, ihr erster Film „Revenge“ war eine blutige „Female Revenge“-Geschichte, die es in Deutschland leider nie ins Kino geschafft hat.

Aber schon da wusste sie, was das Genrekino alles kann, und darauf läuft dann auch „The Substance“ hinaus: Irgendwann taucht sie den Film tief hinein in blutroten Irrsinn. Nicht, dass er nicht vorher schon weit im Irrsinn drin war, da aber trug er noch ein glänzendes Hollywood-Kleidchen. Das legt er am Ende ab, stattdessen gibt es Schleim, Gedärme und fässerweise Körperflüssigkeiten. Da schafft sie es dann, mit ihrer Überwältigungs-Strategie zu schockieren, zu amüsieren auch, dem Splatter-Genre wird beinahe eine neue Dimension eröffnet. Man wird nach diesem Film nicht glücklicher altern, sicher nicht. Aber man wird Coralie Fargeat dabei im Auge behalten.

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