Dokumentarfilm | Deutschland 2014 | 82 Minuten

Regie: Gamma Bak

Die Filmemacher Gamma Bak und Steffen Reck erinnern sich an ihre Liebesgeschichte Ende der 1980er-Jahre über die Berliner Mauer hinweg. Die vorsichtig tastende, dialogische und zugleich hochsubjektive Vergegenwärtigung ihrer damaligen Beziehung, die von Isolation, Überwachung und Krankheit gekennzeichnet war, wird immer wieder durch Protokoll-Notizen der Grenzpolizei oder Stasi-Dokumente unterbrochen. Aus der assoziativen, teilweise sogar lyrischen Montage erwächst ein bemerkenswert freier Film, in dem sich die künstlerische Autonomie gegen die erstickende Realität behauptet. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Gamma Bak Filmprod.
Regie
Gamma Bak · Steffen Reck
Buch
Gamma Bak · Steffen Reck
Kamera
Dieter Vervuurt · Michael Krause · Steffen Reck · Gamma Bak
Musik
Fil Ieropoulos
Schnitt
Steffen Reck
Länge
82 Minuten
Kinostart
03.09.2015
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Lyrische Fragmente einer Ost-West-Liebesgeschichte

Diskussion
Am 3. Dezember 1987 besucht die junge, in Kreuzberg lebende Filmemacherin Gamma Bak ihren Geliebten Steffen Reck im Prenzlauer Berg. Die Zoll- und Devisenerklärung führt neben den eingeführten 180 DM mit buchhalterischer Genauigkeit auch die „zum Verbleib in der DDR bestimmten Gegenstände“ auf: Sekt, Chips, Haarfestiger, 1 Rose, Wunderkerzen, Erdnüsse (2x), 1 x Döner Kebap. Die der Mauer trotzende Liebesbeziehung zwischen dem Künstler und Gründungsmitglied der freien Theatergruppe „Zinnober“ und seiner „Westfreundin“ steht unter der Beobachtung der Stasi. Immer wieder wird in „Engelbecken“ der Fluss der Bilder und der sich noch im Reden rekonstruierenden Erinnerungen durch Dokumente der Grenzpolizei und Archivmaterial der Stasibehörde unterbrochen: Ermittlungsberichte über den Bürger Reck und die subkulturellen Aktivitäten der Theatergruppe, ein Einberufungsbefehl der Volkspolizei mit der Drohung „bei Nichterscheinen erfolgt Zuführung“. Die Technokratie würgt alles Lebendige ab, unter der Überwachungslogik gefriert die Liebesbeziehung zu einem kalten Datenprotokoll: Grenzübertrittzeiten, Aufenthaltsdauern, Inventarlisten. Der faktenbasierten Geschichtsrekonstruktion – und ebenso der bürokratischen Staats- und Überwachungssprache – stellen die beiden Filmemacher Gamma Bak und Steffen Reck eine brüchige, hochsubjektive Erzählung entgegen. Super-8-Filme, Fotos, Ausschnitte aus Theaterstücken der Gruppe „Zinnober“, Audio-Interviews aus den 1990er-Jahren und aktuelles Material werden zu einer assoziativen, stellenweise gar lyrischen Montage verwoben. Dialogisch versuchen Bak und Reck die Jahre am Vorabend des Mauerfalls zu rekapitulieren, wobei klar wird, dass es eine Wir-Erfahrung trotz der gemeinsam durchgestandenen Zeit nicht geben kann. Reck, der sich mit einem manifesten paranoiden Grundgefühl in seiner Wohnung verschanzte und mit schweren psychotischen Krisen zu kämpfen hatte, sah sich von Baks Westleben ausgeschlossen, selbst wenn dieses nur noch als marginaler Rest existierte; tatsächlich war die Lebensgefährtin hauptsächlich damit beschäftigt, ihm in der zunehmenden Isolation beizustehen. In tastenden Bewegungen nimmt die Vergangenheit in der Rückschau Gestalt an. Die direkte Adressierung an das Gegenüber bestimmt dabei die Form. „Engelbecken“ ist insofern eher „Du-“ als „Ich-Erzählung“. „Das geht mir jetzt zu schnell“, meint Reck einmal zu Gamma, als sie für seine Begriffe zu abrupt auf seine Republikflucht im Februar 1988 überleitet. Aus der Beziehung der Filmemacher, die längst kein Paar mehr sind, spricht großes Vertrauen, gegenseitige Bewunderung, aber auch Dissens. Recks Ohnmachtsgefühlen und den mit dem Exil verbundenen Empfindungen wie Scham und Versagen stellt Bak eine Erzählung entgegen, die das Leiden zwar absolut anerkennt, aber eben auch von anderem handelt: von Selbstbestimmung etwa und vom kompromisslosen Individualismus des Geliebten. Geografisches und metaphorisches Zentrum des Films ist das Engelbecken zwischen Berlin-Mitte und Berlin-Kreuzberg, inzwischen unter der Berliner Geschichtsvergessenheit begrabene Schnittstelle zwischen Ost und West, damals Grenzgelände und Todesstreifen in der geteilten Stadt. Der Name ist Ordnungsprinzip des Films, er wird in seine Einzelteile zerlegt und generiert Kapitelüberschriften: Eng, Enge, Engel, Geld, Elbe, Ecken, Becken. Auch wenn die lexikalischen Ableitungen dabei zunächst nach symbolischer Überfrachtung klingen: „Engelbecken“ ist ein bemerkenswert freier, offener Film. So werden etwa die Super-8-Aufnahmen von Reck und Bak nicht als allegorische Bedeutungsverstärker in den Dienst genommen, sondern stehen vielmehr für sich, ohne Ausweis ihrer Herkunft: Bak, wie sie mit ihrem Kontrabass durchs Zimmer tanzt, Möwen vor einem Fenster, ein taumelnder, im kontrastreichen Schwarz-Weiß gedrehter Spaziergang über einen Weihnachtsmarkt, eine Körperperformance mit Lehm. Diese Bilder haben allen Raum, um sich zu entfalten: Nicht zuletzt lassen sie sich als Äußerungen künstlerischer Autonomie in einer erstickenden Wirklichkeit lesen.
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