Drama | USA 1997 | 112 Minuten

Regie: Victor Nuñez

Ein Bienenzüchter in den Sümpfen von Florida, der bereits für seine beiden Enkelinnen sorgt, muß seine drogensüchtige Schwiegertochter aufnehmen und mit den Problemen seines inhaftierten Sohnes fertigwerden. Das behutsam unter die Oberfläche dringende Porträt eines einfachen, aufrechten Menschen und seiner Zeitumstände, mit viel Gespür für die kleinen Dinge und verborgenen Gefühle inszeniert und von Peter Fonda bemerkenswert unaufdringlich gespielt. Ein beachtlicher Film abseits aller Hollywood-Klischees. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ULEE'S GOLD
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Nuñez-Gowan/Clinica Estetico
Regie
Victor Nuñez
Buch
Victor Nuñez
Kamera
Virgil Mirano
Musik
Charles Engstrom
Schnitt
Alberto Garcia
Darsteller
Peter Fonda (Ulee Jackson) · Patricia Richardson (Connie Hope) · Christine Dunford (Helen Jackson) · Tom Wood (Jimmy Jackson) · Jessica Biel (Casey Jackson)
Länge
112 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
In der Szene der amerikanischen Independents, der von Hollywood unabhängigen Filmemacher, ist Victor Nunez einer der beständigsten und kompromißlosesten. Schon nach seinem vielversprechenden Erstlingsfilm „Die junge Frau“ (1979, fd 22 761) hätte er einen Vertrag mit Universal in der Tasche haben können, aber der eigensinnige Regisseur dachte nicht daran, sich an ein Studio zu verkaufen. Von Leuten, die an sein Talent glaubten, trieb er immer wieder Geld auf, um alle paar Jahre einen Film drehen zu können. Ökonomisch und mit viel Selbstvertrauen schreibt er seine Drehbücher selbst, produziert, führt Regie, steht meist auch noch hinter der Kamera und macht den Schnitt. Er verläßt sich auf Sujets, von denen er etwas versteht. Alle seine Filme spielen in Florida, in deren wenig populärer Hauptstadt Tallahassee Nunez lebt, und in ihrem Mittelpunkt stehen Menschen, deren Denken und Handeln das Thema ist, ohne daß darüber die Reibungen am politischen und sozialen Umfeld verlorengehen würden. Nunez war schon dabei, als vor 20 Jahren das heute einflußreiche und allgemein anerkannte „Independent Feature Project“ und das „Sundance Institute“ gegründet wurden. 1993 erhielt er für den Film „Ruby in Paradise“ – einen seiner besten, der unverständlicherweise in Deutschland nie herausgebracht wurde – den Grand Jury Prize beim Sundance Festival in Park City. Wem Victor Nunez bisher noch kein Begriff ist, der sollte mit dessen neuem Film „Ulee’s Gold“ versuchen, Zugang zu einer geistigen Welt zu finden, von der kaum vorstellbar ist, daß sie in demselben Land existiert, das die Sinne des Kinopublikums mit „Independence Day“ und „Con Air“ zu betäuben pflegt.

Bei Nunez und vor allem bei „Ulee’s Gold“ muß man nämlich noch genau hinsehen, muß man bereit sein, die vielen leisen Zwischentöne wahrzunehmen, darf man Handlung nicht mit Action gleichsetzen. Obwohl der Ton von Dolby ist und der einstige „Easy Rider“-Star Peter Fonda die Hauptrolle spielt, entspricht „Ulee’s Gold“ so wenig unserer Vorstellung vom amerikanischen Film, wie etwa die Poesie May Angelous mit den Romanen eines John Grisham zu tun hat. Ähnliches gilt für die Hauptfigur Ulysses Jackson, einen Bienenzüchter in den Sümpfen von Florida, der rein gar nichts mit Hollywoods Filmhelden gemein hat. Dieser Ulysses Jackson macht es dem Publikum nicht leicht, Kontakt zu ihm zu finden. Er ist ein Mann in den Fünfzigern, der vor sechs Jahren seine Frau verloren hat und an einer Gehbehinderung aus dem Vietnamkrieg leidet, dessen Sohn im Gefängnis sitzt, dessen Schwiegertochter drogenabhängig ist und der wohl oder übel seine beiden Enkelinnen aufziehen muß. Ulee, wie man ihn nennt, macht sich keine Illusionen. Er tut seine tägliche Arbeit ohne Klagen, aber er hat auch nicht mehr viel an Liebe und Herzlichkeit zu geben. Sein Alltag gleicht einem strengen Ritual, für das die harten, aber stereotypen Verrichtungen seines über Generationen vererbten Gelderwerbs einen passenden Hintergrund abgeben. Doch eines Tages wird Ulees Leben auf den Kopf gestellt. Sein Sohn bittet ihn, sich der Schwiegertochter anzunehmen. Mit ihr lädt sich Ulee nicht nur eine Drogensüchtige mit all den damit verbundenen Problemen auf, sondern auch die bedrohlichen Nachstellungen von zwei Gangstern, die einst mit seinem Sohn gemeinsame Sache gemacht haben und nun hinter der irgendwo im Wald vergrabenen Beute her sind. Die Situation zwingt den Eigenbrötler, das Visier hochzuklappen, hinter dem er sich vor der Umwelt in Sicherheit zu bringen versucht. Seine selbstverständliche Rechtschaffenheit erscheint Ulee angesichts der Ereignisse als ein höchst relatives Gut, und seine innere Abkapselung – Flucht vor sich selbst und vor den eigenen Gefühlen – gewährt keinen Schutz mehr.

„Ich konzentriere mich auf das, was vor der Kamera passiert, nicht auf die Kamera selbst“, hat Nunez in einem Interview gesagt. Das und: „Wir sind dabei, das Bewußtsein vom Wunder des täglichen Lebens zu verlieren.“ Bessere „Gebrauchsanweisungen“ für die Rezeption seiner Filme gibt es nicht. Die zwei Sätze summieren alles: die Unterordnung des Stils unter die Thematik, die dienende Funktion des Filmemachens im allgemeinen, die Offenheit für die kleinen Dinge und die verborgenen Gefühle. Nunez gehört zu den immer seltener werdenden Filmemachern, denen äußerer Aufwand verhaßt ist, deren Filme aber durch einen immensen Reichtum an Detailbeobachtungen und an menschlicher Wärme aufblühen. Die Vorzüge seiner Arbeitsweise erschließen sich nicht immer gleich aus den ersten Bildern (am wenigsten bei „Ulee’s Gold“), sondern sie bedürfen der Geduld, des Einlassens auf seine behutsame Erzählweise und des Willens, völlig zu vergessen, wie amerikanische Filme für gewöhnlich zu funktionieren pflegen. Für die Rolle des Ulysses Jackson hat Nunez in dem lange Zeit quasi arbeitslosen Peter Fonda den idealen Partner gefunden. Weit entfernt von jeder Starallüre spielt Fonda den Part mit einer geradezu stoischen Verschlossenheit, die kaum gestattet, daß sich sein Mund einmal zu einem Lächeln verzieht. Um so schwerer wiegen die kleinen Reaktionen, aus deren Summe sich allmählich das Porträt zusammensetzt, das Nunez von Anfang an vorgeschwebt haben muß. In ihrer Beherrschtheit und Unaufwendigkeit ist dies eine der ganz großen Darstellerleistungen des letzten Filmjahres, jenseits der wahrnehmbaren äußeren Ähnlichkeit dem Vorbild des Vaters – Henry Fonda – in John Fords „Früchte des Zorns“ (fd 2 636) und in Hitchcocks „Der falsche Mann“ (fd 6 058) vergleichbar.
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