Atempause (1996)

- | Italien/Frankreich/Deutschland/Schweiz 1996 | 113 Minuten

Regie: Francesco Rosi

Francesco Rosi erzählt in seinem Alterswerk von der Odyssee des aus KZ-Haft befreiten jüdischen Chemikers und späteren Schriftstellers Primo Levi während seiner Rückkehr in seine italienische Heimat und damit in eine befriedete Existenz. In äußeren Geschehnissen werden dabei behutsam Stationen einer emotionalen und geistigen Öffnung reflektiert. Die Erzählhaltung ist überaus seriös und voller Diskretion, was mitunter den Verzicht auf Glätte und eine stärkere emotionale Wirkung verlangte, als sie anderen filmischen Aufarbeitungen des Holocaust in jüngerer Zeit gelang. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LA TREGUA
Produktionsland
Italien/Frankreich/Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
3 Emme Cinematografica/Produttori Indipendenti Cinematografici Corsortium e Istituto Luce/RAI/Stephan Films/UGC/France 2 Cinéma/T & C/DaZu/WDR
Regie
Francesco Rosi
Buch
Francesco Rosi · Tonino Guerra
Kamera
Marco Pontecorvo · Stefano Coletta
Musik
Luis Bacalov
Schnitt
Ruggero Mastroianni · Bruno Sarandrea
Darsteller
John Turturro (Primo) · Rade Serbedzija (Der Grieche) · Massimo Ghini (Cesare) · Stefano Dionisi (Daniele) · Teco Celio (Col. Rovi)
Länge
113 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.

Diskussion
Man teilt das umfangreiche OEuvre Francesco Rosis gern in zwei voneinander unabhängige Werkphasen auf, wobei seine in semidokumentarischem Duktus gehaltenen Polizeidramen der 60er und 70er Jahre wenig mit den späten Literaturverfilmungen gemein zu haben scheinen. Damit ging oft eine Abwertung des vermeintlich konventionelleren, unbestritten leichter konsumierbaren Spätwerks einher. Sieht man hingegen eine vorherrschende Charakteristik von Rosis Arbeiten in der lebenslangen Beschäftigung mit Fragen der Wahrheitsfindung, so erscheint es höchst geschlossen. Da erscheint es denn auch naheliegend, daß die politische Wahrheit in ihren verschiedenen Tendenzen und in Filmen wie „Wer erschoß Salvatore G.?“ (fd 11 237) so virtuos auseinander dividierten Färbungen auch eine jeweils andere ästhetische Ausformung verlangt als die subjektiven Wahrheiten der Literatur. Wie interessant ist es da, mit „Die Atempause“ endlich einen Film vollendet zu sehen, dessen Stoff bereits 1963 – also auf dem Höhepunkt des Erfolgs von Rosis Politdramen – sein Interesse weckte und dem doch zugleich ein subjektiver historischer Augenzeugenbericht zugrunde liegt. Schon einmal verfilmte Rosi eine persönliche Erinnerungsschrift – Carlo Levis Verbannungschronik „Christus kam nur bis Eboli“ (fd 22 593) –, und es wurde einer seiner schönsten Filme.

Primo Levi schildert in „Die Atempause“ die mühselige Odyssee, die sich seiner Befreiung aus Auschwitz anschloß und ein ganzes Jahr in Anspruch nahm. Das eigentliche Ziel der Reise war die Wiedergewinnung einer geraubten Würde – und auch dies konnte nur langsam vonstatten gehen. Das Tempo, das Rosi anschlägt, ist das eines langsamen Aufwachens: Verhalten, ein wenig traumatisiert, aber nie ins Elegische überhöht, läßt er Episoden ineinandergreifen, wobei er doch nie länger als nötig an einer Station verharrt. Nur selten bricht ein Bild aus der schwarz-weißen Lager-Vergangenheit ein in diese aufgetaute Wirklichkeit – es sind die schwächsten Momente des Films, man hätte gut auf sie verzichten können. Da zu Rosis stilistischem Repertoire jedoch weder Spielbergs illusionistische Überwältigungsdramaturgie von „Schindlers Liste“ (fd 30 663) gehört noch die kunstvolle Bildpoesie von Benignis Tragikomödie „Das Leben ist schön“ (fd 33 422), hätte es auch nicht anders kommen können. Sein Film stammt noch aus einer ästhetischen Position, die sich eigentlich keinen adäquaten Holocaust-Spielfilm vorstellen konnte, und gerade deshalb ist er so interessant als „Fortsetzungsfilm“ zu einem Original, das sich der Verfilmbarkeit entzog (Levi hatte zuvor in einem Erinnerungsbuch seine Lagerhaft beschrieben).

La vita é bella: Das scheint zumindest die Philosphie des rauhbeinigen Reisegefährten, den der Protagonist Primo spontan in sein Herz schließt. Dieser sogenannte Grieche lehrt Primo das Überleben im existentiellen Sinne der Nahrungsbeschaffung, ein Akt, der freilich immer in Relation stehen wird zur wiederzuerlangenden Menschenwürde. So kann man auf einem polnischen Marktplatz kein Hemd an den Mann bringen, wenn man zugleich die Bevölkerung an das Schicksal der Juden erinnert – zu stark ist der noch immer herrschende Antisemitismus. Erst im weiteren Verlauf seiner Reise, die ihn über das russische Zhmerinka bis nach Staryje Doroghi bei Minsk führt, kann sich Primo jedoch tatsächlich wieder zu jener Energie aufraffen, die ihm sein pragmatischer Freund Cesare und der trotz der erlebten Greuel noch immer gottesfürchtige Daniele von Anfang an voraushaben. Nur zweimal streift der Dialog die Theodizee-Frage nach der göttlichen Existenz angesicht des unvorstellbaren Mordens. Rosi predigt nicht, aber man erfährt stets genug, um an den Phasen von Levis Reflexion teilzuhaben. Er übt eine ungewöhnliche Diskretion in der Nachzeichnung des Heilungsprozesses, sofern sie die religiöse Befindlichkeit berührt – vielleicht klingt darin auch das Wissen um das spätere Leben Levis mit, den der in seiner Berufung um die Vermittlung des Holocaust gefundene Lebensmut wieder verlassen sollte und der sich 1987 das Leben nahm. Wenn Rosi etwa das Wiedererwachen von Humor zeigt – in jener komischen Pantomime, mit der sich Primo scheinbar in ein Huhn verwandelt, um einem russischen Bauern den Hunger der Gefährten zu vermitteln – , ufert das nicht ins Anekdotische aus. Und der spätere Augenblick der wiedergewonnenen Fähigkeit zu weinen, will die Anteilnahme des Zuschauers dennoch nicht erzwingen. Man kann sich in diesen Momenten des Underplaying oder plötzlichen Themenwechsels fragen, ob nicht – gerade im Vergleich zu Benigni – ein besserer oder zumindet effektvollerer Film dabei entstanden wäre. Doch Rosi hatte schon immer eine Neigung, Erzählungen zu fragmentieren und sie dabei zu entemotionalisieren. Aber könnte man die Freude am Leben überhaupt anders beschreiben, als sie in die bruchstückhafte Struktur individueller Erinnerung zu ziehen?

La vita é bella: Gerade die Unmöglichkeit dieses Satzes in bezug auf das nie wirklich wiederhergestellte Lebensglück Primo Levis erklärt dann auch die Zurückhaltung des Regisseurs, dessen Stil hier weit spröder und brüchiger erscheint, als in seinen geschmeidigen Filmen der 80er Jahre. Als sich Rosi von seinen Gegenwartsdramen abwandte, fand er in der Literatur eine Realität, der er mehr trauen konnte als dem Alltag italienischer Politik. „Tatsächlich“, sagte er 1982, „darf man, glaube ich, nie den Zusammenhang von Vergangenheit und Gegenwart aus dem Auge verlieren, damit man besser versteht, wie sich die Zukunft entwickeln kann.“ Was Rosi daher an den literarischen Vorlagen seiner späteren Filme schätzte, war die darin enthaltene Lebenserfahrung im Sinne einer erlebten Geschichte. Dieser historischen Zeugenschaft schenkt er bis heute ein Vertrauen, das er sich selbst als Beobachter der unmittelbaren Gegenwart zutrauen mochte. Jüngstes Beispiel dafür ist „Die Atempause“. Wie sehr Rosi dabei als ihr Sachwalter angenommen wird, zeigt Levis Antwort auf Rosis Anfrage bezüglich der Verfilmung, nur wenige Monate vor dem Selbstmord des Autors: „Sie geben mir etwas Licht in einer dunklen Phase meines Lebens.“
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