Goff in der Wüste

- | Deutschland 2002/03 | 110 Minuten

Regie: Heinz Emigholz

Der Experimentalfilmer Heinz Emigholz stellt in chronologischer Reihenfolge 62 Bauwerke des nahezu in Vergessenheit geratenen amerikanischen Architekten Bruce Goff (1904-1982) vor, die durch ihren experimentellen Charakter von der Architekturgeschichte an den Rand gedrängt wurden. Der kommentarlose Film verdichtet sich durch statische Aufnahmen und langsame Schwenks zu einer intimen, kontemplativen Betrachtung der Objekte, die als begehbare Skulpturen begreifbar werden, wobei Wahrnehmung selbst als ein Vorgang der Erkenntnis erlebbar wird. - Sehenswert.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2002/03
Produktionsfirma
Filmgalerie 451/WDR
Regie
Heinz Emigholz
Buch
Heinz Emigholz
Kamera
Heinz Emigholz
Schnitt
Heinz Emigholz
Länge
110 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
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Diskussion
Architektur und Film: das ist eine Liaison, die nicht beim Set Design halt macht und vornehmlich Dokumentaristen umtreibt, wenn sie wie Christoph Schaub in „Die Reisen des Santiago Calatrava“ (fd 35 386) nach der Darstellbarkeit der dreidimensionalen Welt moderner Architektur fragen, oder wie Thomas Schadt mit „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“ (fd 35 387) Walther Ruttmanns Klassiker der Bildreportage einer Inventur unterziehen. Eigentlich ist sie aber die Domäne einer Filmform, die engere, materiellere Verbindungen zu den anderen Künsten – zur Musik, Malerei, Dichtung, zu Tanz, Fotografie und Architektur – einzugehen vermag, dabei Wahrnehmungsmuster herausarbeitet und anti-narrativ verfährt, um das Medium Film zu reflektieren. Eine Filmform, die seit Ruttmann urbane Zusammenhänge immer wieder erforscht, wie etwa Matthias Müllers Essayfilm „Vacancy“ (1998) über Brasilia, die „letzte Utopie des 20. Jahrhunderts“, entworfen von Oscar Niemeyer. Eine Filmform, die neben der offiziellen Filmgeschichtsschreibung und außerhalb des Verwertungszusammenhangs des Kinos eine Schattenexistenz führt. Gemeint ist der Experimentalfilm, der intellektuelle Herausforderung und ästhetische Reflexion zur eindringlichen Kulturbetrachtung verbindet.

Der amerikanische Architekt Bruce Goff (1904-1982) gehört zu den großen Unbekannten einer amerikanischen Architektur, die sich an organischen Strukturen und skulpturalen Räumen orientiert und sich von dem Ort, an dem sie errichtet wird, inspirieren lässt. Eine Architektur, die für Menschen gebaut ist, die einen Bezug zu ihrem Domizil herstellen können sollen. In Goffs Fall eine im wahrsten Sinne des Wortes originelle Architektur: ornamental, eigenwillig, detailverliebt, überraschend bis ausschweifend; Mies van der Rohe diente sie als Negativfolie, als abschreckende Beispiel für gutes Bauen. Statt die Form der Funktionalität unterzuordnen, entwarf Goff Bauten, die nicht nur der Körper bewohnen kann, sondern auch der Geist in Zeit und Raum. In einem Aufsatz definierte er sein Berufsverständnis: „Ein schöpferischer Architekt muss sich davor hüten, seine Arbeit einem ,persönlichen Stil‘ oder ,Warenzeichen‘ zu unterwerfen. Seine Handschrift wird sowieso ihre eigene Charakteristik aufweisen ... Entscheidend ist aber, was er entwirft, und jedes seiner Werke sollte sich durch eine eigene Form und einen eigenen Stil auszeichnen. Jedes sollte ein Original sein, dann werden seine Werke zusammengenommen die Originalität ihres Architekten zum Ausdruck bringen.“ Kein Wunder, dass zu Lebzeiten Goffs alle seine Projekte Kontroversen hervorriefen. Mit seinen in die jeweilige Landschaft integrierten Solitären stand er in Opposition zu der von der Bauhaus-Architektur etablierten International Style-Bewegung. Großaufträge blieben aus, Anfeindungen nicht. Zumal der Stil seiner Bauwerke immer unvorhersehbarer wurde, geradezu nichtaustauschbar. Das Singuläre dieser Architektur korrespondiert strukturell mit dem Imaginationsangebot des Experimentalfilms: vielfältig, innovativ, „experimentell“, überschreitet sie die Grenzen der kulturell sanktionierten Gestaltung; Form und Funktion bleiben mindestens gleichwertig. Von der Architekturgeschichte marginalisiert, steht sie für eine künstlerische Praxis, die sich gängigen Zuordnungen verweigert.

Ein Grund mehr für den Experimentalfilmer Heinz Emigholz, den Erlebnischarakter dieser Architektur zu erfassen, ihre tektonische Plastizität erfahrbar zu machen. Kommentarlos zeigt sein Film in chronologischer Reihenfolge 62 von insgesamt 80 noch existierenden Bauten Goffs – von der frühen 1920er-Jahre-Villa in Middle West bis zum Museum für Japanische Kunst in Los Angeles aus den 1980er-Jahren – und ist somit die erste umfassende filmische Bestandsaufnahme des in Vergessenheit geratenen Lebenswerks. Zwei Monate reiste Emigholz durch die USA, um die Objekte zu porträtieren, die er mit einem scharfen Blick für Details zu Subjekten seiner intimen Betrachtung macht. In langen, kontemplativen Einstellungen, die durch ihre hohe fotografische Qualität, die an die Kunstfotografie Candida Höffers erinnert, die Wahrnehmung der Architektur als ein räumliches Erlebnis ermöglichen: außen, innen, in der spürbar verrinnenden Zeit. Weitgehend statische Aufnahmen aus wechselnden Perspektiven, einige langsame Schwenks, die gewundene Linien und wuchernde Ornamente ins Blickfeld rücken, oder um das Extravagante dieser begehbaren Skulpturen schweifen. Hinzu kommt die akustische Umgebung der Häuser – von dröhnenden Trucks auf einem nahen Highway bis zu summenden Insekten im Inneren –, deren Eigenleben dank des im Dolby-Digital-Verfahren aufwendig produzierten O-Tons wunderbar eingefangen wurde. Sehen und Hören als ein haptischer Akt, Wahrnehmung als ein Vorgang der Erkenntnis. Was sich einstellt, ist eine große Ruhe, sind Sinneserfahrungen, die nachdenklich machen und an Cocteaus Axiom erinnern: Filmen heißt, dem Tod bei der Arbeit zuzusehen.

„Photografie und Jenseits“ heißt das dokumentarische Langzeitprojekt von Heinz Emigholz, das sich in 25 Filmen mit schriftbildnerischen, skulpturalen und architektonischen Aspekten künstlerischer Gestaltung befasst. Die Auswahl der Phänomene gilt den an den Rand kultureller Rezeption gedrängten Traditionen der Moderne. Ein audiovisuelles Archiv, getragen von einem enzyklopädischen Gedanken. „Goff in der Wüste“ gehört zu der Untergruppe „Architektur als Autobiografie“ und folgt „Sullivans Banken“ über die letzten acht Bauten des amerikanischen Architekten Louis H. Sullivan (1856-1924) und „Maillarts Brücken“ über das Werk des Schweizer Künstler- Ingenieurs Robert Maillart (1872-1940). Alle Arbeiten zeichnen sie sich durch eine Filmfotografie aus, die den Zuschauer zum Komplizen eines umgedrehten Sehvorgangs macht. Emigholz nennt seine Kameraarbeit eine „mit Hilfe der Dinge in die Welt gespielte Entscheidung des Blicks“. Auf die Frage, ob es auch eine Entscheidung der Erinnerung gebe, meint er: „Statt Bilder der Vergangenheit sehen wir rasche Spuren von Abwesenheit. Die Erinnerung ist nur der Abdruck, den das Vergessen zurücklässt.“

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