Drama | Deutschland/Israel 2007 | 114 Minuten

Regie: Maria Schrader

Eine verheiratete Jerusalemer Uni-Assistentin fühlt sich von einem Jugendfreund ihres Vaters angezogen und begibt sich in die Abhängigkeit einer "amour fou", die ihre Ehe gefährdet und ein Familiendrama offenbart. Verfilmung eines Bestsellers, die die Ich-Form der Vorlage durch eine gradlinige Dramaturgie ersetzt, damit aber auch die Reflexionsebene der Hauptfigur verlässt und kein adäquates Ausdrucksmittel findet, die Figuren trotzdem glaubhaft zu gestalten. Überzeugend (bis auf die männliche Hauptrolle) sind indes die Darsteller, die eindrucksvolle Kameraarbeit sowie die nuanciert komponierte Musik. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HAYE AHAVAH
Produktionsland
Deutschland/Israel
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
X Filme/Transfax Film/BR
Regie
Maria Schrader
Buch
Maria Schrader · Laila Stieler
Kamera
Benedict Neuenfels
Musik
Niki Reiser
Schnitt
Antje Zynga
Darsteller
Neta Garty (Yara) · Rade Serbedzija (Arie) · Tovah Feldshuh (Hannah) · Stephen Singer (Leon) · Ishai Golan (Joni)
Länge
114 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
X Filme (1:2,35/16:9/Deutsch DD 5.1)
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Diskussion
„Du bist hungrig, ich bin satt“, sagt Arie zu Jara, die seine Tochter sein könnte, und spielt mit ihr aus innerer Langeweile heraus demütigende (Sex-)Spielchen, denen sie sich mit zunehmend masochistischer Hörigkeit hingibt. Um diese „amour fou“ herum hat die israelische Schriftstellerin Zeruya Shalev ihren Roman „Liebesleben“ aufgebaut, in dem die junge Uni-Assistentin Jara in schier endlosen Monologen ihre Identität sucht. Die Schauspielerin Maria Schrader, die schon einen Film („Meschugge“, fd 33573) von Dani Levy mitinszeniert hatte, stand bei ihrer ersten eigenständigen Regiearbeit vor der schwierigen Aufgabe, eine adäquate filmische Umsetzung für die Ich-Form der literarischen Vorlage zu finden. Zum Glück entschied sie sich nicht für eine die Gedanken ihrer Protagonistin äußernde Off-Stimme, sondern wählte eine gradlinige Erzählung. Das wiederum bedeutet, dass sie und ihre Co-Autorin Laila Stieler, die zahlreiche Drehbücher für Andreas Dresen (u.a. „Willenbrock“, fd 36964) schrieb, ihre Figuren so entwickeln mussten, dass man als Zuschauer ihre Handlungen auch ohne Erklärungen der „inneren Stimme“ nachvollziehen kann. Zu Beginn, während Jara vergeblich auf ihren Vater wartet, zu dessen 60. Geburtstag sie ein Picknick vorbereitet hat, gelingt das noch in wenigen prägnanten Einstellungen: Als Jara aus der Stadt Sirenengeheul hört, läuft sie hinunter nach Jerusalem. Die Angst vor einem Anschlag lässt sie vor dem Einstieg in einen Bus zurückschrecken. Da genügen wenige Bilder, eine durch die Luft wirbelnde Aktentasche, ein Blick aufs Trittbrett und in Jaras Gesicht, in dem sich die Erinnerungen (oder Vorstellungen) an ein Attentat spiegeln, um ihren Seelenzustand zu beschreiben. In panischer Sorge rennt sie weiter und trifft zu Hause auf Arie, den Jugendfreund ihres Vaters Leon, der vor 30 Jahren nach Paris auswanderte. Jara fühlt sich von dem Fremden seltsam angezogen, verfolgt ihn, beginnt eine sexuelle Affäre mit ihm – und ist ihm fortan verfallen. Sie verlässt ihren Ehemann Joni, um mit Arie ans Meer zu fahren und sich dort zu einer „ménage à trois“ überreden zu lassen. Verstört nach Jerusalem zurückgekehrt, gelingt es ihr doch nicht, sich aus dem Bann ihrer obsessiven Liebe zu lösen – bis sie alte Fotos entdeckt, die das Geheimnis um ihren älteren Liebhaber lüften. Das Problem an dieser Mischung aus sexueller Obsessionsgeschichte und Familiendrama ist, dass die Beziehung von Jara zu Arie von Anfang an nie glaubhaft vom Drehbuch entwickelt wird. Zum Teil liegt es aber auch an Rade Serbedzija, der nicht das Charisma eines „Verführers“ ausstrahlt, eher wie ein heruntergekommener, langweiliger Bohemien wirkt. Da kann sich die überzeugende Neta Garty mit ihrem erfrischenden Spiel noch so anstrengen, die Chemie zwischen den beiden stimmt einfach nicht. So versprühen die Liebesszenen nicht einen Hauch von Erotik und lassen sie den Gedanken aufkommen, dass Jara irgendein Vergnügen daran findet. Auch die Hilfskonstruktionen, mittels Halluzinationen ihr Innenleben zu beleuchten – wenn sie der „Jäger“ Arie nackt auf seinen Schultern wie ein Beutetier durch die Straßen trägt oder sie sich als Opfer eines Autounfalls sieht – helfen nicht, ihre Zerrissenheit zu erklären. Genauso aufgesetzt wirken die leicht surrealen Momente: Bienen auf der Türklingel oder der Tod einer Katze, deren „Warnsignale“ Jara überhört, wie sie überhaupt das Hören, Hinsehen und Nachdenken verlernt zu haben scheint. Was für eine Frau ihrer Generation schon erstaunlich ist, so als sei die emanzipatorische Entwicklung an ihr spurlos vorübergegangen. Vielleicht ist „Liebesleben“ aber auch nur das literarische Manifest zum Wiederaufleben des Machismo, dessen Reflexion sich aber Buch und Film verweigern, indem sie entschuldigend ein Beziehungs- und Familiendrama darüber stülpen. Dieses ist so vorhersehbar, dass der Spannungsbogen der Geschichte bald durchhängt. Nichtsdestoweniger beweist Maria Schrader (abgesehen von der Fehlbesetzung der Arie-Rolle) außerordentliches Talent bei der Schauspielführung und der optischen Auflösung der Szenen. Benedict Neuenfels liefert wunderbar kadrierte Tableaux von Innen- und Außenansichten, auch wenn er sich unnötig oft der wackeligen Handkamera bedient. Niki Reisers wohltuend zurückhaltender und pointiert eingesetzter Soundtrack ist wieder einmal über jeden künstlerischen Zweifel erhaben.
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