Gegenschuss - Aufbruch der Filmemacher

Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 119 Minuten

Regie: Dominik Wessely

Erinnerungen an den im April 1971 in München gegründeten Filmverlag der Autoren, der die Idee des selbstbestimmten deutschen Autorenkinos festigte und seinen Mitgliedern zugleich Mitbestimmung über die Produktionsmittel bescheren sowie ökonomische Verantwortlichkeit auf möglichst viele Schultern verteilen wollte. Die Zwischenbilanz einer nicht ganz gescheiterten linken filmkulturellen Utopie, deren Gründungsmitglieder im Rückblick ein gewisses Maß an Blauäugigkeit einräumen und über (auch persönlich motivierte) Grabenkämpfe berichten. Der nicht nur filmhistorisch interessante Dokumentarfilm spiegelt Ideen und Sackgassen innerhalb der westdeutschen Linken Anfang der 1970er-Jahre wider. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Kinowelt Filmprod./Filmverlag der Autoren/BR/WDR/arte
Regie
Dominik Wessely · Laurens Straub
Buch
Rainer Kölmel · Laurens Straub · Dominik Wessely
Kamera
Knut Schmitz
Musik
Philipp F. Kölmel
Schnitt
Anja Pohl
Länge
119 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Liegt es am runden „1968er“-Jubiläum? Oder warum setzt plötzlich ein filmhistorisches Erinnern an jene heroische Aufbruchsphase des Neuen deutschen Films ein, als sich ein höchst heterogener Haufen von ciné-fils aufmachte, international zum Aushängeschild eines moralisch-politisch geläuterten (West-) Deutschland zu werden? Gerade erst hat uns Marcel Wehn in „Vom einem der auszog – Wim Wenders’ frühe Jahre“ (fd 38 547) zu dessen existenzialistischen Anfängen und auch zu jenen Filmen geführt, die Wenders’ selbst bei seinen ambitionierten DVD-Editionen unter den Tisch fallen ließ. Vielleicht, weil sich nur noch ausgesprochene Spezialisten für jene Filme von Wenders, Weiss oder Theuring interessieren, die einst die Rede von den Münchener Sensibilisten prägten. Direkt daran anknüpfend – Wenders und sein früher, wunderschöner Film „3 amerikanische LP’s“ stehen fast am Anfang des Erinnerungskabinetts von „Gegenschuss“ – geht es hier nun um die Geschichte des im April 1971 gegründeten „Filmverlag der Autoren“, mit dessen Logo sich in den 1970er-Jahren eine vorzügliche Filmsozialisation verbindet. Der Film von Dominik Wessely und seinem Co-Regisseur, dem 2007 verstorbenen Laurens Straub, versammelt historisches Material, Filmausschnitte und retrospektive Interviews, die deutlich vor Augen führen, welch utopisches Flair die Hausse des Neuen deutschen Films der frühen und mittleren Jahre umwehte. Zügig rammt der Film die filmhistorisch-narrativen Pflöcke jener Zeit ein, denn die Produktions- und Vertriebsgemeinschaft unter dem Label „Filmverlag der Autoren“ war eine kollektive Reaktion der jungen Filmemacher gegenüber der lähmende Machthabe der Altbranche. So ist denn hier auch schnell von Hitler, dem filmhistorischen Bruch zwischen 1933 und 1945 und der Tatsache, dass Mitte der 1960er-Jahre außer Bernhard Wicki kein Regisseur tätig gewesen sei, der nicht schon unter dem NS-Regime Filme gemacht habe, die Rede – alles Dinge, die heutzutage kaum noch derart zugespitzt und polarisierend formuliert werden könnten. Eine „Stunde Null“ hat es auch in der deutschen Filmgeschichte weder 1933 noch 1945 gegeben; die Vorstellung klarer Zäsuren ist längst obsolet. Der Gründung des „Filmverlag der Autoren“ lag die (durchaus sozialistisch unterfütterte) Idee des Autorenkinos, des selbstbestimmten Arbeitens und der kollektiven Beschaffung von Produktionsmitteln zugrunde, wohl ging es auch um die Verteilung ökonomischer Verantwortlichkeit auf möglichst viele Schultern. Diejenigen der 13 beteiligten Filmemacher, die für „Gegenschuss“ noch befragt werden konnten, staunen vor der Kamera nicht schlecht angesichts ihres einstigen Idealismus. Oder sollte man Blauäugigkeit dazu sagen? Geträumt wurde der Traum vom großen Kino für die Leinwand; kommerzielle Überlegungen spielten eine entschieden untergeordnete Rolle. Zu den 13 Filmemachern, die den Filmverlag mit je 20.000 DM Eigenkapital ins Leben riefen, zählten: Hark Bohm, Michael Fengler, Peter Lilienthal, Hans Noever, Pete Ariel, Uwe Brandner, Veith von Fürstenberg, Florian Furtwängler, Thomas Schamoni, Laurens Straub, Wim Wenders, Hans W. Geissendörfer und Volker Vogeler. Nicht direkt involviert, aber im Umfeld angesiedelt bzw. später eingewechselt: Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog und Alexander Kluge. Zu den mitteilungsbedürftigen „Oberhausenern“ gingen die Münchener auf Distanz; an die persönliche Bekanntschaft mit der ersten RAF-Generation erinnert man sich mit einer Mischung aus Stolz und Gruseln. Auch scheint den Beteiligten zumindest rückblickend nicht ganz klar gewesen zu sein, welche Implikationen eine solche Organisationsform hat: Zweckverband auf Zeit, Entree-Billett zum internationalen Parkett oder funktionierendes Kollektiv. Werner Herzog erinnert sich, dass er sich instinktiv gegen eine engere Zusammenarbeit mit Fassbinder gewehrt hatte, weil dies nur zu Ärger geführt hätte. Andere waren nicht ganz so schlau – und so kann sich der Zuschauer einen Spaß daraus machen, die offenkundig ziemlich zerstrittenen Fraktionen der einstigen Verleger bei ihren Abrechnungen und Gemeinheiten zu beobachten. Es sind schon sehr unterschiedliche Temperamente, der Schwabinger Anarchist Hans Noever, der niederländische Provo Laurens Straub, der Internatszögling Veith von Fürstenberg oder der Rechtsreferendar Hark Bohm, der hier einmal boshaft als „Bruder des bekannten Schauspielers“ tituliert wird – und in der Tat nicht sonderlich sympathisch und recht humorlos erscheint. Sehr unterschiedlich sind die Karrieren verlaufen: Wenders ist lässiger Kosmopolit, Geissendörfer hadert mit seinen Kino-Misserfolgen und produziert weiterhin die „Lindenstraße“, Namen wie Ariel oder Brandner dürften heute nur noch Insidern bekannt sein, Straub, Furtwängler und Vogeler sind bereits tot. Wer noch reden kann, ergreift die Gelegenheit dazu gern beim Schopf – hier sind wir wieder beim „1968er“-Jubiläum gelandet – und so erzählen hier lauter mehr oder weniger entspannte ältere Herrschaften, wie sie einmal auf die Idee kamen, selbst Filmindustrie zu spielen. Und zwar mit kindlichem Charme – Fassbinders diverse Auftritte im Fernsehen und auf Pressekonferenzen sind immer auch mitreißende Eulenspiegeleien – und einem gehörigen Schuss Chuzpe. Über die finanziellen Transaktionen, die im „Filmverlag der Autoren“ getätigt wurden, möchte man lieber nichts erfahren. Einmal wird erzählt, dass Hark Bohm enteignet wurde, um mit den Erträgen von „Tschetan – Der Indianerjunge“ ein finanzielles Loch zu stopfen. Andererseits berichtet Bohm stolz in die Kamera, dass er mit seinen Filmen immerhin Geld gemacht habe – im Gegensatz zu einigen anderen Dilettanten. Dafür muss Bohm, der auch maßgeblich an der feindlichen Übernahme durch Rudolf Augstein beteiligt war, es hinnehmen, als „sozialdemokratistischer Schwarzwaldkliniker“ und Kleinbürger charakterisiert zu werden. Es geht also um das produktive Chaos, das diese vitalen Träumer auf die Beine gestellt haben. Hans Noever spricht einmal lächelnd von „Sinnlosigkeit und einem mit Unsinnigkeiten besetzten Unternehmen“, aber die Parade der flankierend eingespielten Filmausschnitte von „Ein großer graublauer Vogel“ (fd 17 361) über „J. Paul Getty in Sutton Place“ bis „Ich liebe dich – ich töte dich“ (fd 17 670) machen neugierig auf mehr. Gern würde man mal wieder die weniger bekannten Filmen aus dem „Filmverlag der Autoren“ wie „halbe-halbe“ (fd 20 774) oder „Output“ (fd 19 211) sehen. Auf DVD oder besser noch: im Kino.
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