Ein weiter Weg zum Glück

- | Argentinien/Spanien/Frankreich/Belgien 2005 | 103 Minuten

Regie: Juan Diego Solanas

Eine französische Geschäftsfrau Mitte 40 will unbedingt ein Kind adoptieren, was im Nordosten Argentiniens illegal möglich sein soll. Vor Ort kreuzt sich ihr Weg mit dem einer alleinerziehenden Mutter, die eine ungewollte Schwangerschaft beenden will. Das ebenso bildgewaltige wie berührende Porträt zweier Frauen, deren Welten von einem großen sozialen Gefälle getrennt sind. Eindringlich, aber auch mit gebotener Distanz beobachtet die Kamera die schmerzhaften Auseinandersetzungen, ohne letzte Geheimnisse aufzulösen. Ein berührender Diskurs über Fruchtbarkeit und den Preis des Lebens, diesseits und jenseits europäischer Vorstellungen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
NORDESTE
Produktionsland
Argentinien/Spanien/Frankreich/Belgien
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Onyx/Montfort/K2 SA/Polar/France 2 Cinéma/RTL/SCOPE
Regie
Juan Diego Solanas
Buch
Eduardo Berti · Juan Diego Solanas
Kamera
Félix Monti · Juan Diego Solanas
Musik
Eduardo Makaroff · Sergio Malakoff
Schnitt
Fernando Franco
Darsteller
Carole Bouquet (Hélène) · Aymará Rovera (Juana) · Mercedes Sampietro (Schwester Beatiz) · Ignacio Jiménez (Martin) · Emilio Bardi (Teodoro)
Länge
103 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Senator/Universum (16:9, 2.35:1, DD5.1 span./dt.)
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Diskussion
Größer könnte der Kontrast nicht sein: In einem schattigen Hain in der fahlen Prärie Argentiniens wird ein Rind geschächtet. „Bring das deiner Mutter“, sagt ein kräftiger Mann zu dem 13-jährigen Martin, der dem Versickern des Blutes im dürstenden Boden nachblickt, und drückt ihm ein Filetstück in die Hand. Das dunkle Konferenzzimmer, in dem sich die französische Geschäftsfrau Hélène von ihren Mitarbeitern verabschiedet, strahlt hingegen die blaue Kühle der europäischen Finanzwelt aus. Mit Geld lassen sich viele Wege abkürzen, so auch der zu einem Kind. Genau das fehlt der allein stehenden, so kontrolliert wirkenden Mittvierzigerin noch in ihrem perfekten Lebenslauf. Als sie jedoch einige Tage zu spät in Buenos Aires eintrifft, hat die örtliche Vermittlungsagentur das „reservierte“ Adoptivkind schon vergeben. Hélène, die mit einem Arsenal von Baby-Equipment, Ausdruck eines fast schon manisch anmutenden Kinderwunsches, anreiste, bricht in verzweifelte Wut aus. Man rät ihr, sich in den ärmlichen Norden zu begeben, wo man illegal, aber schnell an die Ware Säugling, an Kinder mit „gewissen Problemen“ kommen könne. Mit einem befreundeten Anwalt reist Hélène in die Einöde und trifft dort auf Juana. Diese kann zwar weder ihren Sohn Martin ausreichend ernähren noch ihre kleine Wellblechhütte vor der Zwangsräumung bewahren, trägt dafür aber eine leidenschaftliche Überlebenskraft neben dem ungeborenen Kind ihres verheirateten Geliebten in sich. Während Juana unter Eigenregie einen gefährlichen Abtreibungsversuch vornimmt und Martin zunehmend auf die schiefe, von Drogen und Schusswaffen gepflasterte Bahn gerät, wird Hélène ein Säugling vermittelt, bei dem kurz darauf eine unheilbare Erkrankung des Nervensystems diagnostiziert wird. Dass der Weg zum Glück nicht geradlinig auf ein unverrückbares Ziel zusteuern muss, sondern sich vielmehr in kleinen Etappen als eigentliches Ziel erweisen kann, darum geht es in diesem berührenden Porträt zweier Frauen, deren Welten von einem großen sozialen Gefälle getrennt sind. Eindringlich und sensibel bohrt sich der in Argentinien geborene und in Frankreich aufgewachsene Regisseur Juan Diego Solanas aus respektvoller Distanz in das schmerzliche Entbehren seiner im Gegenzug nicht sonderlich tief ausgeloteten Figuren. Trotz oder vielleicht gerade ob ihrer letzten vorbehaltenen Geheimnisse prägt sich das gleichsam zerstörerische Unglück der beiden einsamen Frauen ins Gedächtnis ein, mag es nun von mehr oder minder existenziellem Ausmaß sein. Im Endeffekt wird Juana ihr Haus ebenso verlieren wie die von Carole Bouquet mal impulsiv, mal in sich gekehrt leidende Hélène ihr neues, empört zurückgewiesenes Kind. Ein Leben – vor allem ein krankes oder eines, das sich nicht verkaufen lässt – ist in dieser lebensfeindlichen und oftmals gesetzlos vor sich hin darbenden Einöde nicht viel wert. Die atemberaubend schönen, diesigen oder sonnendurchfluteten Totalen, für die Solanas auf seine Erfahrungen als Kameramann zurückgreifen konnte, kontrastieren die atmosphärisch dicht inszenierte Suche nach menschlicher Fruchtbarkeit in einer ausgedorrten spröden Umwelt. Zum offenen Ende hin entfernt sich Solanas Kamera in einem Krankenhausflur von Juanas an Verantwortung gereiftem Sohn und ihrer an Empathie und einer neuen Heimat bereicherten Freundin. Solanas hinterlässt seinen Figuren einen ungewissen Raum zur Entfaltung und den Zuschauern eine dramaturgische, der Interpretation harrende Leerstelle.
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