Meine Freiheit, deine Freiheit

Dokumentarfilm | Deutschland 2011 | 84 Minuten

Regie: Diana Näcke

Dokumentarfilm über zwei Frauen, die wegen verschiedener Delikte in der Justizvollzugsanstalt in Berlin Lichtenberg einsitzen, sowie über den Anstaltsdirektor. Er begleitet sie sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gefängnisses, folgt aber keiner chronologischen Ordnung, sondern setzt das Porträt wie ein Mosaik aus verschiedenen Facetten zusammen und spiegelt so die von Brüchen gezeichneten Biografien, vor allem der beiden Frauen. Unter Verzicht auf wertende Urteile sowie schönfärberische Verharmlosung kommt der Film allen Protagonisten sehr nah. (Teils O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
TAG/TRAUM Filmprod./ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
Regie
Diana Näcke
Buch
Diana Näcke
Kamera
Diana Näcke · Susanne Schüle · Roger von Heereman
Musik
Masha Qrella · Big Baba & Akoa Gun · Justine Electra · Bruder & Kronstätter · Fuasi Abdul-Khaliq
Schnitt
Inge Schneider
Länge
84 Minuten
Kinostart
31.05.2012
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Knast sei wie „ein Kindergarten, nur mit erwachsenen Leuten“, sagt Kübra einmal. Darum geht es in Diana Näckes Film: Um das, was Knast ist, und ob das Gegenteil des Eingesperrtseins die Freiheit dort draußen ist – und ob es so etwas wie Freiheit überhaupt gibt. Um Schuld, Strafe, Reue, Gerechtigkeit, Verantwortung geht es auch – ganz nebenbei. Drei Jahre lang hat Diana Näcke zwei Frauen begleitet, die nicht nur einen großen Teil dieser Zeit, sondern schon einen Großteil ihres Lebens im Gefängnis verbracht haben: in der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Berlin Lichtenberg. „Meine Freiheit, deine Freiheit“ beginnt mit einer Zugfahrt, deren Ziel erst spät im Film zum Thema wird. Kübra streckt ihren Kopf aus dem Fenster, die halblangen, dunklen Haare flattern im Wind. Die 20-Jährige erzählt vom intensiven Geruch des Frühlings in der Türkei, einem Geruch nach frischen Knospen und nach Pferdemist. Sie erzählt temperamentvoll und mitreißend, sie lacht viel. Plastisch schildert sie den Alltag im Gefängnis, beschreibt, was ihr fehlt: der eigene Geruch. Alles sprüht sie mit ihrem Parfüm ein, „um etwas Eigenes zu haben“, bevor sie in der blau karierten Bettwäsche der Anstalt schläft, wäscht und parfümiert sie diese selbst. Schüchtern ist die kurdischstämmige Kübra nicht. Seit ihrem 14. Lebensjahr ist sie immer wieder im Gefängnis, wegen verschiedener Delikte, sie zählt sie auf, gelegentlich schwingt Stolz mit: Totschlag, Einbruch, Verletzung von Beamten. Im Gefängnis hat sie gemeinsam mit anderen Frauen ein Mädchen schwer misshandelt. Sie ist heroinabhängig wie Salema, die zweite Protagonistin des Films, die in derselben Haftanstalt einsitzt. Es gibt noch einen dritten Protagonisten, Matthias Blümel, Leiter der Anstalt. Ungewöhnlich für eine Langzeitbeobachtung, haben Näcke und ihre Cutterin Inge Schneider („Prinzessinnenbad“, fd 38 178) nicht chronologisch montiert. So ist vor allem an den unterschiedlichen Frisuren und der jeweiligen Umgebung abzulesen, dass es sich gerade um einen anderen Zeitabschnitt handelt und ob die Frauen im Gefängnis sind oder draußen. Die beiden nehmen sich überall selbst mit hin. Die Entlassung ist zwar immer ein Ziel, das „Draußen“ ist allerdings keinesfalls mit Freiheit gleichzusetzen – dies ist eine deutliche Botschaft des Films, vermittelt über die Montage. Auch setzen sich auf diese Weise die Lebensgeschichten der Frauen wie Mosaike zusammen, nicht stringent – das wird ihren zerfaserten, durch die Gefängnisaufenthalte zerstückelten Biografien gerecht. Salema scheint sich im Knast aufgehobener zu fühlen: Sie kommt dort einfach an Heroin, hat ein soziales Netz. Vor dem „Draußen“ hat sie Angst, das sagt sie so im Gespräch mit der Sozialarbeiterin, als es um die anstehende Wohnungssuche geht. Die 1974 geborene Diana Näcke ist Autodidaktin, sie hat am Theater und als Journalistin gearbeitet. Allein und ohne finanzielle Unterstützung hat sie begonnen, an „Meine Freiheit, deine Freiheit“ zu arbeiten, dann eine größere Produktionsfirma und schließlich Das kleine Fernsehspiel des ZDF gewinnen können. Sehr nahe kommt die Regisseurin den Porträtierten. Doch selbst wenn das Gezeigte hart und persönlich ist, wirkt ihr Film nicht voyeuristisch. Oft hat Diana Näcke die Frauen und Blümel allein befragt, hat selbst die Kamera geführt. Sie ist dabei, wenn Salema „high“ ist und sich einen Schuss setzt, sie ist dabei, wenn Kübra Drogen kauft und sich am Straßenrand übergibt; gemeinsam mit Blümel besucht sie dessen Mutter im Altersheim. Dabei wird keine „Moral von der Geschicht’“ geliefert und auch keine herbei inszeniert. Matthias Blümel fühlt sich frei, wenn der passionierte Hobbyflieger mit seinem Flugzeug in der Luft schwebt. Einmal lädt er Kübra auf einen Flug ein. Das wäre ein positives, leichtgängiges Ende des Films gewesen: der gemeinsame Flug des humanen Gefängnisdirektors und der geläuterten ehemaligen Insassin. Näcke aber lässt das Flugzeug landen, Kübra kommentiert das Erlebnis recht trocken. Dann folgt ein ganz anderes Ende, das um einiges pessimistischer ist. Aber wohl auch ehrlicher.
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