Perret in Frankreich und Algerien

Dokumentarfilm | Deutschland 2012 | 110 Minuten

Regie: Heinz Emigholz

Weiterer eindrucksvoller Dokumentarfilm von Heinz Emigholz aus seinem Zyklus "Photographie und jenseits", der sich mit Produkten menschlicher Gestaltung befasst. Als zweiter Teil des Unterprogramms "Aufbruch der Moderne" (nach "Parabeton - Pier Luigi Nervi und Römischer Beton", 2012) zeigt er die Architektur der Brüder Auguste und Gustave Perret, zu deren Markenzeichen der innovative Umgang mit Beton wurde. Dabei werden die Bauwerke durch die statische Kamera quasi fragmentiert, sodass es der Fantasie des Zuschauers überlassen ist, über das einzelne Filmbild hinaus zu denken. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Filmgalerie 451/WDR
Regie
Heinz Emigholz
Buch
Heinz Emigholz
Kamera
Heinz Emigholz
Schnitt
Heinz Emigholz · Till Beckmann
Länge
110 Minuten
Kinostart
22.11.2012
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Heinz Emigholzs Architekturfilme können mitunter frustrieren, konterkariert seine Methode doch die eigenen Absichten. Kameraarbeit und Montage beschreibt der Künstler und Filmemacher als „quasi architektonische Tätigkeit“, die dazu beitragen soll, dass „die Zuschauer sich den Raum wieder rekonstruieren können“. Im Prinzip suggerieren die Sequenzen, die je ein Bauwerk oder -ensemble porträtieren, „einen Gang durch, um das Gebäude herum oder wieder heraus“. Aber eben nur im Prinzip. Denn die Passagen beginnen zwar zumeist mit Totalen der Fassade, auf die, vermittelt durch andere Blickwinkel sowie Detailaufnahmen, oft Impressionen des Interieurs folgen. Allerdings bestimmt Emigholz dabei nicht nur die Dauer der Einstellungen, sondern auch ihre Abfolge intuitiv; obwohl er die Bauten in der Reihenfolge ihrer Entstehung porträtiert, sind seine Filme weit entfernt von der strengen, aber auch transparenten Systematik, die zum Beispiel in den Fotoserien des Ehepaars Becher die Abfolge der Blickwinkel auf Industrieanlagen oder Wohnhäuser bestimmt. Vor allem aber enthält Emigholz dem Betrachter beharrlich jenes Element vor, das für das konkrete Erleben von Architektur konstituierend ist: die Bewegung. Zwar bietet „Perret in Frankreich und Algerien“ eine Fahrt in einem verglasten Fahrstuhl sowie zwei kurze, langsame Schwenks, doch diese drei Ausnahmen machen umso deutlicher bewusst, wie statisch die Kamera ist. So produziert Emigholz auch in „Perret...“ gelegentlich Desorientierung, wenn sich der räumliche Zusammenhang von Bildern nicht erschließt. Und er weckt Ungeduld, wenn man spontan den Blick in einer Einstellung schweifen lässt, sozusagen „schwenkt“ und auch die Kamera mitschwenken lassen will, um mehr von dem anvisierten Objekt zu sehen. Gerade solche Frustrationen machen freilich Emigholz’ Filme auf eine paradoxe Weise sehr anregend und fruchtbar; schärfen sie doch einerseits die Aufmerksamkeit und verleiten andererseits dazu, vorübergehend die Gedanken schweifen lassen – mit umso schönerem, meditativem Effekt. Die notwendige Bereitschaft, sich auf die einzelnen Bilder einzulassen, verlangt „Perret...“ dem Publikum schon zu Beginn ab, wenn Details aneinander gereiht werden, deren Bedeutung sich zunächst nicht erschließen lässt. Es handelt sich um Mosaike, die die Fassade des ersten Hauses prägen, das die Brüder Auguste und Gustave Perret 1904 in jener innovativen Betonbauweise errichteten, die ihr Markenzeichen wurde. Dabei wird ein weiteres Paradox berührt, denn Emigholz versteht seine Filme stets auch als Architektenbiografien, verzichtet aber, abgesehen von Einblendungen, die Gebäude, Standort, Baujahr und Datum der Filmaufnahmen benennen, auf jeden Kommentar. Dass eben dieses Haus den Perrets auch als Firmenstandort und Wohnung diente, erfährt man also nicht. In der Folge wird indes bewusst, dass sich die Perret-Bauten in besonderer Weise für die Wiedergabe auf der Leinwand eignen, denn sie werden (spätestens seit den 1920er-Jahren) von rechten Winkeln und Geraden dominiert und zugleich durch eine quadratische Ornamentik gegliedert, die in hochauflösenden Detailaufnahmen bestens zur Geltung kommt. Das Porträt des ersten Wolkenkratzers Frankreichs sowie mehrerer Kirchen verlangt dagegen nach dem Hochformat, das das Kino natürlich nicht kennt. Womit man wieder bei Paradoxien und Frustrationen wäre. Vor allem die abschließende Sequenz, die das nach dem Krieg unter Auguste Perrets Aufsicht neu erbaute Zentrum Le Havres vorstellt, weckt den Wunsch, dass die Kamera die Gelegenheit zum Flanieren durch die breiten, leeren Straßen nutzt. Doch die Erfüllung dieses Wunschs bleibt einem versagt. So hat der Film vielleicht die bestmögliche Wirkung, nämlich dass man als Zuschauer Reisepläne schmiedet, um die porträtierte Architektur selbst vor Ort zu besichtigen.
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