Drama | USA 2012 | 97 (24 B./sec.)/93 (25 B./sec.) Minuten

Regie: So Yong Kim

Ein selbstbezogener, wenig erfolgreicher Rock-Musiker steht kurz vor der Scheidung. Seine Frau verweigert jeden Kontakt, und auch seine kleine Tochter, die er in den letzten Jahren kaum gesehen hat, ist ihm fremd. Der Vater möchte diese Distanz überbrücken, bekommt aber nur einen gemeinsamen Nachmittag zugestanden. Der stille, konzentrierte Film beschreibt einen unreifen Mann und seine gestörten Beziehungen, wobei er in seinem "reinen", distanzlosen Schauen bisweilen etwas konstruiert erscheint. Erst wenn es zur Interaktion zwischen Vater und Tochter kommt, verdichtet er sich zum sensiblen Porträt jener Kommunikationsstörung, die beide trennt. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
FOR ELLEN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
DeerJen Films/Soandbrad
Regie
So Yong Kim
Buch
So Yong Kim
Kamera
Reed Morano
Musik
Jóhann Jóhannsson
Schnitt
Bradley Rust Gray · So Yong Kim
Darsteller
Paul Dano (Joby) · Jon Heder (Butler) · Shaylena Mandigo (Ellen) · Jena Malone (Susan) · Margarita Levieva (Claire)
Länge
97 (24 B.
sec.)
93 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
03.01.2013
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Ein Mensch, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, ist Joby Taylor wahrlich nicht. Buchstäblicher hätte die Regisseurin So Yong Kim seine Haltlosigkeit kaum umsetzen können: Eingangs schlittert Joby mit seinem Auto auf der Fahrt durch die winterliche Schneelandschaft in den Seitengraben; dann rutscht er auf der glatten Fahrbahn aus und verliert überdies einen wichtigen Zettel, den er erst umständlich wieder einfangen muss – all das in kurzer Lederjacke, Halbschuhen und tief sitzendem Hosenbund. Ein stilsicherer Aufzug, wenn auch nicht unbedingt praktisch. Doch Joby hat einen Ruf zu verlieren: Er ist Rockmusiker! Für den Traum einer Karriere, die sich nie realisierte, hat er vor Jahren Frau und Kind verlassen – eine Entscheidung, die jetzt vor ihrem amtlichen Abschluss steht. In einem Kaff im verschneiten Norden Amerikas soll er die Scheidungspapiere unterschreiben und damit auch den Anspruch auf die mittlerweile sechsjährige Tochter aufgeben. Er erwirkt einen kleinen Aufschub, einen Tag, mehr nicht; es ist ein schmales Zeitfenster, groß genug, um bei einem Ausflug mit Ellen ins Nachdenken zu kommen, über sich und seine nicht angenommene Vaterrolle; viel zu klein allerdings, um an eine Geschichte anzuknüpfen, die im Grunde nie begonnen hat. Wie schon „Treeless Mountain“ (fd 40 928) ist auch „For Ellen“ ganz auf eine offene Erzählung und eine distanzlose Darstellung der Figuren ausgerichtet, eine Unmittelbarkeit, die sich in Teilen aus der Narration löst und eben nichts weiter ist als reine Beobachtung: von Bewegungen, Gesten, Gesichtern und Gesichtsausdrücken, von Kommunikationsweisen und Äußerungen der Selbstbezogenheit. Dieser Ansatz eines richtungsoffenen Beobachterstandpunktes ging in „Treeless Mountain“ wunderbar auf, der eine kindliche Erfahrungswelt zur Anschauung brachte – das (Schau-)Spiel der Kinder war in seiner Ungeplantheit entwaffnend und wirkte gänzlich unkalkuliert. „For Ellen“ ist ein schöner Film, doch in der ersten Hälfte funktioniert das vermeintlich „reine“ Beobachten nur bedingt. Die Regisseurin hat zwar ein gutes Gespür für Orte und ihre atmosphärischen Aufladungen, selbst wenn die Schauplätze gelegentlich allzu passgenau und „seelenlandschaftlich“ ausgewählt erscheinen, angefangen von den entgrenzten, scheinbar ins Nirgendwo führenden Schneelandschaften über das triste Motel an einer unwirtlichen Schnellstraße bis hin zur menschenleeren Bar, in der Joby vor seinem Anwalt gleichermaßen selbstversunken wie exhibitionistisch zu tanzen beginnt – eine ambivalente Szene, weil sich in die Reaktion des Anwalts Unsicherheit und Peinlich-Berührtsein mit Bewunderung und (vielleicht auch erotischer) Anziehung mischt. Doch Jobys Verhaltensweisen wirken in ihrer scheinbaren Beiläufigkeit mitunter doch etwas aufgesetzt und durchsichtig: seine Orientierungslosigkeit, Larmoyanz und Fahrigkeit, der Mangel an Kommunikation, sein fragendes Gesicht und die permanente Überforderung bei einfachsten Dingen; gleichwohl bleibt die Figur in ihrer Selbstabschottung völlig opak. Erst wenn Ellen in die Geschichte tritt, gewinnt Joby an Kontur, erst dann auch findet der Film zu einer überzeugenden Sprache – und das gerade in den offenkundigen Kommunikationsverfehlungen zwischen Vater und Tochter. Am treffendsten offenbart sich seine Eingeschüchtertheit, die sich auf die Tochter überträgt, in einer sehr leisen und anrührenden Szene in einem Spielwarengeschäft. Ellen soll sich dort etwas aussuchen; das erste Geschenk (eine hässliche Puppe) war eine Pleite. Unfähig, sein eigenes Tempo und seine eigenen Bewegungen zu finden, schleicht Joby im Kinderschneckentempo seiner Tochter hinterher, die mehrere Regale abschreitet, um die dort arrangierten Waren in Augenschein zu nehmen. Auch die Sprache entgleitet ihm: Wie ist die Schule, magst du Eis, magst du Ponys, was magst du? Joby schwankt ungeschickt zwischen stereotyper Rhetorik und Erwachsenensprache, wenn er Ellen etwa ernsthaft zu erklären versucht, wie es sich so lebt als Musiker mit Plattenvertrag, Tour-Daten und einer möglicherweise bevorstehenden Karriere. Diese fragile Dynamik zwischen Tochter und Vater, die jeden Augenblick durch ein Lächeln, durch leuchtende Augen, einen grimmigen Blick oder beharrliches Schweigen umkippen kann, fängt „For Ellen“ wunderbar ein. Aus dem verstockten Miteinander entstehen schließlich erste Momente der Gelöstheit und Freude; sie sind schön und von kurzer Dauer.
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