- | Frankreich/Deutschland/Rumänien/Kanada 2013 | 96 Minuten

Regie: Philippe Kotlarski

Ende der 1970er-Jahre reisen zwei junge Franzosen in die Sowjetunion – angeblich, um auf ungewöhnliche Weise ihre Verlobung zu feiern. Tatsächlich nehmen sie heimlich Kontakt zu jüdischen Russen auf, denen die Ausreise verweigert wird. Bei ihrer Mission stoßen die beiden bald an ideelle wie reale Grenzen. Das Regiedebüt profitiert von zwei ausgezeichneten Hauptdarstellern und arbeitet sorgfältig und ästhetisch überzeugend die Breschnew-Ära auf. Eine unglaubwürdige Liebesgeschichte zwischen den Protagonisten überlagert jedoch zusehends den interessanten Stoff und raubt dem Film einiges an Wirkung. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
LES INTERDITS
Produktionsland
Frankreich/Deutschland/Rumänien/Kanada
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Les Films du Poisson/Vandertastic Films/Rock Films/Amérique Film
Regie
Philippe Kotlarski · Anne Weil
Buch
Philippe Kotlarski · Anne Weil
Kamera
Frédéric Serve
Musik
Robert Marcel Lepage
Schnitt
Mathilde Muyard · Bernard Sasia
Darsteller
Soko (Carole) · Jérémie Lippmann (Jérôme) · Ania Bukstein (Vera) · Vladimir Fridman (Viktor) · Martin Nissen (Léon)
Länge
96 Minuten
Kinostart
17.04.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Externe Links
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Diskussion
Das junge Studentenpaar Carole und Jérôme fällt sofort auf in der Reisegruppe, die fast nur aus älteren Teilnehmern besteht. Es ist das Jahr 1979; der Eiserne Vorhang steht noch ebenso fest wie die Berliner Mauer, auch wenn die französischen Reisenden in die Sowjetunion dürfen, um bei einer geführten Tour die Region am Schwarzen Meer kennenzulernen. Also heißt die Devise: Paraden, Wodka und jeden Abend Folklore-Konzerte. Wie sich jemand so etwas freiwillig antun könne, fragt der 15-jährige Léon, Sohn einer Russischlehrerin, und sein Unverständnis trifft vor allem Carole und Jérôme. „Wir wollten eine möglichst originelle Verlobungsreise“, erklären die beiden, doch nicht einmal der Junge scheint ihnen ihre Verliebtheit abzunehmen. Tatsächlich ist die Verlobung nur ein Tarnmanöver für den eigentlichen Reisezweck: Die konspirative Kontaktaufnahme mit „Refuseniks“, sowjetischen Juden, die der Staat schikaniert und seit Jahren die Auswanderung verweigert. Die beiden Studenten überbringen neben Nachrichten von Verwandten vor allem kleine Geschenke: Schokolade, Zigaretten, Medikamente, Bücher und Blue Jeans – ein gefährlich niedriger Einsatz in einem äußerst riskanten Spiel, bei dem allen Beteiligten das Gefängnis droht. Die Franzosen Philippe Kotlarski und Anne Weil arbeiten in ihrem Regiedebüt „Friends from France“ authentische Begebenheiten rund um den offenen Antisemitismus der Sowjetunion auf. In den 1970er-Jahren wurden Hunderttausende Juden an der Ausreise gehindert; ebenfalls den historischen Tatsachen entspricht, dass mit der heiklen Vermittlung zwischen ihnen und dem Ausland auch 19-Jährige betraut wurden. Die jungen Hauptdarsteller Jérémie Lippmann und die Sängerin Soko verdeutlichen mit ihrem ebenso frischen wie hintergründigen Spiel eindrücklicher als jedes Zeitzeugeninterview, warum gerade Unerfahrenheit bei der Mission von Vorteil war: Aufrichtiger Idealismus ergänzt mit offensichtlicher jugendlicher Naivität, weshalb kein Staatsvertreter mehr in ihnen sieht als zwei harmlose Studenten. Ästhetisch beschwört der Film mit Sepia-Tönen glaubhaft die muffige Breschnew-Ära herauf. Auch die Paranoia der Zeit und die ständige Furcht vor Überwachung werden geschickt durch eine Kameraführung eingefangen, die zwischen sehr dicht an den Figuren klebenden Nahaufnahmen in engen Räumen und Bildern von menschenleeren Stadtpanoramen wechselt. So packt auch den Zuschauer ein Gefühl der Beunruhigung: Wenn Carole und Jérôme sich durch die Stadt bewegen, scheint es stets, als ob der KGB hinter jeder Ecke lauern und plötzlich hervorspringen könnte. In den Innenräumen dominiert Dunkelheit, und die Gespräche beschränken sich meist auf ein Flüstern, auch wenn die Refuseniks ohnehin nicht viel reden, um nur ja nichts Kompromitierendes zu sagen. Eine Ausnahme ist der ehemalige Physiker Viktor, der nach seinem Ausreiseantrag vor zehn Jahre seine Arbeit verlor und von seiner Familie getrennt wurde. Der schwermütige Mann weigert sich, der Drangsalierung durch das Regime nachzugeben, und drängt Jérôme, für ihn ein Buch aus dem Land zu schmuggeln, in dem er seine Qualen in sowjetischen Gefängnissen schildert. „Lass Dich einfach nicht erwischen!“, ist sein Rat an den jungen Studenten, der weniger an den Sinn der Mission glaubt als seine Partnerin. Aber auch Carole, die sich anfangs vollkommen mit ihrer Aufgabe identifiziert, beginnt allmählich am Erfolg zu zweifeln. Leider gibt die Inszenierung im zweiten Teil die einfühlsame Zeichnung von Charakteren und Atmosphäre immer mehr auf, als zwischen Carole und Jérôme eine echte Romanze entsteht. Die wird allerdings nur sehr unglaubwürdig entwickelt und wirkt, als hätten die Regisseure um jeden Preis eine zweite Ebene einführen wollen, versehen mit dem forciert pikanten Detail, dass ihre Hauptfiguren eigentlich Cousin und Cousine sind. Dieses mangelnde Vertrauen gegenüber dem historisch-politischen Stoff ist sehr bedauerlich: Denn so wird eine hochinteressante Geschichte am Ende derart penetrant von dem Nebenplot überlagert, dass der Film viel von seiner Wirkung einbüßt.
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