Drama | Dominikanische Republik/Mexiko/Argentinien 2014 | 88 Minuten

Regie: Laura Amelia Guzmán

Eine alternde Aristokratin verliebt sich auf der Dominikanischen Republik in eine junge Prostituierte, deren Gesellschaft sie sich seit Jahren erkauft hat. Die fragile Balance zwischen den beiden gerät in Schieflage, als der Freund der Prostituierten plant, die alte Frau um ihr Vermögen zu erleichtern. Die recht freie Roman-Adaption erzählt mit viel Raum für die Figuren von wechselseitiger Abhängigkeit und Ausbeutung, Betrug, Einsamkeit, Würde, Begehren und Liebe. Die Inszenierung entwirft eine bemerkenswerte Choreografie komplex verschränkter Unsicherheiten und Widersprüche, deren Auflösung wenig Hoffnung auf bessere Zeiten begründet. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DÓLARES DE ARENA
Produktionsland
Dominikanische Republik/Mexiko/Argentinien
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Aurora Dominicana/Canana Films/Rei Cine/IMCINE/CONACULTA
Regie
Laura Amelia Guzmán · Israel Cárdenas
Buch
Laura Amelia Guzmán · Israel Cárdenas
Kamera
Israel Cárdenas · Jaime Guerra
Musik
Ramón Cordero · Edilio Paredes
Schnitt
Andrea Kleinman
Darsteller
Geraldine Chaplin (Anne) · Yanet Mojica (Noeli) · Ricardo Ariel Toribio (Yeremi) · Maria Gabriella Bonetti (Goya) · Hoyt Rogers (Thomas)
Länge
88 Minuten
Kinostart
10.12.2015
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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IMDb | TMDB

Geraldine Chaplin als alternde Aristokratin, die sich die Liebe einer haitianischen Prostituierten erkaufen will

Diskussion
Nur keine Sentimentalitäten! Die sind nicht Teil des Geschäfts. Als der Tourist ihr schweren Herzens erklärt, dass sein Urlaub nun leider vorüber sei und er aus der Dominikanischen Republik zurück nach Europa reisen müsse, fragt die 20-jährige Noeli ohne Zögern nach der Bezahlung ihrer Dienste und einem kleinen Extra. Als „persönliches Geschenk“ erhält sie eine Kette, die sie mit ihrem Freund Yeremi umgehend zu Geld macht. Der nächste Kunde lässt ja auch nicht lange auf sich warten. Und überdies macht der Film von Laura Amelia Guzmán und Israel Cárdenas keine Umwege, sondern stellt die Dinge „unvermittelt“ dar. Zu Noelis Kunden zählt auch eine alte Aristokratin, die vielleicht 70-jährige Anne, die vor Jahren in die Karibik emigrierte und nur noch sporadischen Kontakt in ihre Heimat hält. Die wohlhabende Frau lebt in einem Hotelkomplex, in dem alte und junge Liebhaber der Karibik und ihrer Bewohner ein und aus gehen. Man tauscht Erinnerungen und gibt Debütanten Tipps. Das Thema „Sextourismus“ scheint mit Filmen wie „Baby I Will Make You Sweat“ (Regie: Birgit Hein, 1994), „In den Süden“ (Laurent Cantet, fd 37 794) oder „Paradies: Liebe“ (Ulrich Seidl, fd 41 475) ja aus unterschiedlichen (westlichen) Perspektiven bereits vermessen zu sein; doch „Sand Dollars“ fügt dem eine interessante Nuance hinzu, insofern der Film eine Choreografie wechselnder und komplex verschränkter Unsicherheiten, Widersprüche und Abhängigkeiten entwirft, ohne sich dabei auf eine Wertung oder eine Ausformulierung des Gezeigten einzulassen. So bleibt viel Raum für die Figuren, die nie zu Stereotypen eines verfilmten Thesenpapiers werden. Die Beziehung zwischen Noeli und Anne währt schon drei Jahre und ist von anderer Qualität als die üblichen „Beziehungen“ Noelis zu den Touristen. Anne liebt Noeli, die wiederum das spielerische Moment im Umgang mit der alten Frau zu schätzen scheint. Aber mit offenen Karten wird trotzdem nicht gespielt. Yeremi fungiert für Anne als Noelis Bruder; für Noeli birgt die Beziehung zu Anne die Chance, der herrschenden Armut nach Europa zu entkommen, für Anne sichert das Visum den Kontakt zu Noeli, für Yeremi sichert Noeli den Lebensunterhalt. Als die Rückkehr-Pläne nach Europa konkreter werden und Noeli plötzlich für drei Personen denken muss, gerät die Balance wechselseitiger Abhängigkeiten in Schieflage. Zu dritt sind die divergierenden Pläne nicht zu realisieren, nicht einmal unter den Bedingungen fortgesetzten Betrugs. Plötzlich liegen Eifersucht und Gewalt als Option in der Luft. Noeli wird bei einem Überfall verletzt, Yeremi ist die Aussicht auf eine Fern-Beziehung nicht geheuer. Außerdem stellt er sich nun vor, was Noeli und Anne miteinander treiben. Das gefällt ihm nicht. Was er dagegen tun könne, fragt er irritiert und hilflos. Sich einen Job suchen, schlägt Noeli vor. „Sand Dollars“, eines recht freie Verfilmung eines Romans von Jean-Noël Pancrazi, schreitet erstaunlich dicht das Konfliktfeld ab, erzählt von reflektiert wechselseitiger Ausbeutung, von Betrug, Frustration, Einsamkeit, Würde, Begehren und Liebe. Am Schluss löst sich das Beziehungsgeflecht auf eine Weise, die wenig Hoffnung auf bessere Zeiten lässt, aber den Titel von Romanvorlage und Film erklärt. Sand Dollar heißt eine den Seeigeln verwandte Lebensform, die an flachen Sandküsten lebt und sich von organischen Partikeln ernähren, die an der Oberfläche der Sandkörner kleben. Sie lassen sich von den Gezeiten mittragen und können die Ebbe überleben, indem sie sich eingraben. Was vielleicht eine Chance zur Veränderung gewesen wäre, wird Geschichte. Aber auf die Gezeiten ist Verlass, an den Stränden der Dominikanischen Republik herrscht reger Verkehr.
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