Dokumentarfilm | Deutschland 2023 | 92 Minuten

Regie: Lisa Wagner

Dokumentarfilm über drei deutsche B-Girls, die in der männergeprägten Hip-Hop- und Breakdance-Szene nach ihrem eigenen Weg suchen. Der Film begleitet die drei Frauen durch ihren Alltag und liefert spannende Einblicke in eine schillernde Welt voller Entsagung, hartem Training und großer Träume. Die kurzatmige Montage erschöpft sich allerdings oft in austauschbaren Posen und Bewegungsabläufen und kommt weder den drei Frauen noch dem Breakdancen wirklich nahe. Es bleibt bei einer neugierigen, aber flüchtigen Annäherung an ein schillerndes Subkulturphänomen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Lichtblick Film
Regie
Lisa Wagner
Buch
Elke Brugger · Lisa Wagner
Kamera
Julia Lemke
Musik
Antonio de Luca
Schnitt
Mechthild Barth · Vanessa Wagner
Länge
92 Minuten
Kinostart
09.05.2024
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb

Doku über drei deutsche Breakdancerinnen, die sich ganz der neuen olympischen Disziplin verschrieben haben.

Diskussion

Für Sanja Jilwan Rasul alias „Jilou“ stehen entscheidende Wochen an. Als das derzeit erfolgreichste deutsche B-Girl kann sie sich über die „Olympic Qualifier Series“ in Shanghai und Budapest für die Olympischen Spiele 2024 in Paris qualifizieren. Es ist das erste Mal, dass mit Breakdance eine Tanzsportart olympisch wird. Jilou kann Sportgeschichte schreiben.

Wie der von Lisa Wagner inszenierte Dokumentarfilm „Dancing Heartbeats“ erahnen lässt, befindet sich Jilou damit auf dem vorläufigen (sportlichen) Höhepunkt eines harten Weges und einer oftmals schwierigen Vita. Neben Jilou begleitet der Film mit Viola Luise Barner und Frieda Frost zwei weitere B-Girls durch ihren Alltag. Jilou ist mit 31 Jahren die jüngste der drei Frauen und die Einzige, die sich noch immer ganz dem Breaking verschrieben hat, weil eine Olympiateilnahme fast zum Greifen nahe ist.

An den Grenzen des Körpers

Die neun Jahre ältere Frieda hingegen, die einstige Pionierin der deutschen B-Girl-Szene, stößt zunehmend an die Grenzen ihres Körpers. Jede Verletzung fühlte sich wie eine Depression an, ehe sie mitten im Corona-Lockdown in Marokko strandet und ihrem Leben eine neue Perspektive verleiht, weg von den Wettkämpfen hin zur Tanzperformance. Anstatt selbst aktiv an „Battles“ teilzunehmen, unterrichtet sie Schülerinnen, gründete eine Tanzakademie und organisiert Events.

Auch Viola will sich mit Mitte 30 nicht länger in die B-Girl-Schublade stecken und vorschreiben lassen, wie sie sich zu verhalten hat. Zunehmend zweifelt sie daran, ob ihr das Breaking allein genügt, Immer mehr Elemente zeitgenössischer Tanzkunst und des brasilianischen Kampftanzes Capoeira lässt sie in ihre Choreografien einfließen. Falls sie damit die B-Girl-Schublade sprengt, erklärt sie trotzig selbstbewusst, dann ist sie ab jetzt halt eine Tänzerin.

Die Frage, was es für die drei Frauen bedeutet, in Deutschland ein B-Girl zu sein oder vielleicht eben auch nicht (mehr), zieht sich als roter Faden durch die Dokumentation.

Rare Momente des Miterlebens

Während im Bildausschnitt Breaking-Battles, Tanzperformances, Trainings oder Impressionen vom Abschied am Flughafen und Einkäufe auf einem marokkanischen Markt zu sehen sind, findet die Suche nach den individuell richtigen Antworten nahezu ausschließlich auf der Tonspur und damit im Off statt. Die Protagonistinnen werden nicht in Interviewsituationen gezeigt. Die Filmemacherin bleibt unsichtbar. Auch auf einen erklärenden Erzählerkommentar verzichtet Lisa Wagner.

Für ein authentisches Gefühl des Miterlebens sorgt dies nur in den stärksten, aber raren Momenten des Films. Etwa, wenn Viola ihren jüngeren Bruder trifft und gemeinsam mit ihm das Grab der früh verstorbenen Mutter aufsucht. Oder wenn Jilou und ihr Freund sich streiten, weil Jilou zwar von ihm unterstützt werden möchte, aber auf ihrem Weg und ohne sich dreinreden zu lassen. Es sind intensive zwischenmenschliche Begegnungen, in denen die Off-Spur verstummt und der jeweilige Augenblick die Regie übernimmt. Meist jedoch berauben sich Ton und Bild gegenseitig ihrer Kraft. Die Erzählungen wirken dann episodisch, die Einstellungen illustrativ.

Narrativ, ästhetisch und emotional verliert sich „Dancing Heartbeats“ gleichsam in Halbtotalen, ohne eine echte Nähe zuzulassen, aber auch ohne das Gezeigte in einen Kontext einzubinden. Die vielfältigen Eindrücke und Momentaufnahmen verbinden sich allenfalls zu einer fragmentarischen Collage, einer vagen Gesamtskizze. Weder werden die Hintergründe von Hip-Hop und Breakdance noch die Historie der deutschen B-Girl-Szene beleuchtet. Nicht einmal die technischen Aspekte des Breaking werden erläutert.

Der „Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung“ in der „männerdominierten Breakdance-Welt“, von dem in den Pressematerialien vollmundig die Rede ist, wird lediglich gestreift, wenn sich die drei B-Girls darüber unterhalten, dass die meisten Break-Lehrer Männer sind und sie als Frauen weder bevorzugt noch benachteiligt, sondern einfach nach ihren „Skills“ beurteilt werden wollen. Auch zu den individuellen Werdegängen der drei Protagonistinnen liefert der Dokumentarfilm kaum mehr als Andeutungen über schwierige Kindheiten und problematische Familienverhältnisse.

Ein oszillierendes Kulturphänomen

Stattdessen wiederholt der Film in einer ungeduldig-kurzatmigen Montage austauschbare Posen und Bewegungsabläufe, ohne sie einzuordnen oder auch nur (nach)wirken zu lassen. Obwohl „Dancing Heartbeats“ vom Reiz, den das Breaking ausmacht, kaum mehr vermittelt als eine flüchtige Ahnung, von dessen subkulturell-subversiven Wurzeln, aber auch den sexistischen Abgründen, der Machokultur, in der sich die B-Girls ihren Platz erbattlen, und von den drei Protagonistinnen selbst, ihren Lebensgeschichten, Widerständen, Hoffnungen und Sehnsüchten, genügt das doch, um auf unterhaltsame Weise die Neugierde zu wecken auf ein faszinierendes, oszillierendes Kulturphänomen, aus dem im Sommer 2024 eine neue olympische Sportart hervorgeht.

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