Rückblicke auf das Island der 60er Jahre: Im Kino der Stadt und bei Verwandten auf dem Land macht ein Junge unterschiedliche Erfahrungen. Ein ruhiger, unspektakulärer Film, der episodenhaft von komischen und tragischen Begebenheiten erzählt und der Faszination Hollywoods andeutungsweise europäische Traditionen entgegensetzt. Den atmosphärisch gelungenen Szenen fehlt allerdings ein Spannungsbogen, der den Ereignissen über die autobiografische Bedeutung und das Zeitkolorit hinaus Substanz geben würde. So bleibt der Film eher ein unvollendetes Mosaik nostalgischer Erinnerungen. (O.m.d.U.)
- Ab 14.
Movie Days
- | Island/Deutschland/Dänemark 1993 | 85 Minuten
Regie: Fridrik Thór Fridriksson
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Filmdaten
- Originaltitel
- BIODAGAR
- Produktionsland
- Island/Deutschland/Dänemark
- Produktionsjahr
- 1993
- Produktionsfirma
- Icelandic Film/Peter Rommel Filmprod./Zentropa
- Regie
- Fridrik Thór Fridriksson
- Buch
- Einar Már Gudmundsson · Fridrik Thór Fridriksson
- Kamera
- Ari Kristinsson
- Musik
- Hilmar Örn Hilmarsson
- Schnitt
- Steingrímur Karlsson
- Darsteller
- Örvar Jens Arnasson (Thomas) · Rúrik Haraldsson (Vater) · Sigrún Hjálmtysdóttir (Mutter) · Orri Helgason (Nicholas) · Asta Esper Andersen (Großmutter)
- Länge
- 85 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Reykjavik in den 60er Jahren: Selbst im strömenden Regen zieht es die Menschen ins Kino. Nach dem Brüllen des MGM-Löwen werden sie von Nick Rays Epos "König der Könige" fast zwei Jahrtausende zurückversetzt - das große Hollywood-Kino ist von keinem anderen Medium an Attraktivität zu überbieten. Und das Fernsehen steckt in Island noch in den Kinderschuhen. Auch der zehnjährige Thomas ist fasziniert, muß sich aber gefallen lassen, daß sein Vater ihm während der Kreuzigungsszene den Hut vor die Augen hält. (An was man sich in der Zwischenzeit alles gewöhnt hat!) Wie der kleine "Jacquot de Nantes" in Agnès Vardas Film über ihren Mann Jacques Demy inszeniert Thomas zu Hause kleine "Lichtspiele" (als Eintrittskarten benutzt man mittels Nähmaschine perforierte Papierchen). Und auch sonst verläuft das Leben des Jungen ziemlich wohlbehütet. Man zieht durch die Straßen der ländlich wirkenden Stadt, schaut den Nachbarn lüstern beim noch raren Fernsehgenuß oder (eher amüsiert) beim Liebespiel über die Schulter, ertüchtigt sich beim Fußball und trinkt in der Schule brav seine Milch. Eine Pepsi-Flasche auf dem Pult? Skandalös! Und immer wieder das Kino.Regisseur und Autor Fridrik Thor Fridriksson zieht alle Register, die ein "nostalgischer Blick in die vergangene Jugend"-Film einsetzen kann (siehe "Cinema Paradiso", fd 27 990). Dabei gelingen ihm atmosphärisch überzeugende Momente, die einen stark autobiografischen Bezug vermuten lassen. Aber manchmal drängt sich doch der Eindruck auf, diese skurrilen Gestalten und lustigen Anekdoten schon in italienischer, französischer oder englischer Umgebung erlebt zu haben; wenn auch nicht unbedingt überzeugender.Der nötige Schauplatzwechsel wird vollzogen, als Thomas zu Verwandten aufs Land kommt, um dort die Sommerferien zu verbringen. Die vorher schon satten Farben werden noch kräftiger, hier und da sorgen Filter für eine Stimmung der Harmonie und unberührten Idylle. Ari Kristinsson, der schon Fridrikssons "Children of Nature" (fd 29 845) fotografiert hatte, gelingen eindrucksvolle Landschaftsmotive, in denen das Grün der Wiesen noch intensiver scheint als das Technicolor-Rot in den Gewändern der Römer. Hier, fern vom Kino, lernt Thomas denn auch die erzählerische Tradition seines Landes kennen (schon sein Vater wurde eher als Hörspiel-Liebhaber denn als Freund des Kinos vorgestellt). Dafür, daß er dem alten Knecht Toni den Rücken kratzt, bringt dieser ihm die isländische Sagenwelt nahe - wenn es sein muß auch mit krassen Zugaben, die den an Mord und Totschlag schon gewöhnten Jungen aufhorchen lassen sollen.Spätestens hier versäumt es der Film, einen Spannungsbogen aufzubauen, der aus den einzelnen Begebenheiten eine zusammenhängende Geschichte machen würde. So bleibt es bei der Beobachtung einer Kuhbesamung, der Erscheinung eines wundersamen fremden Reiters (Otto Sander) und der Begegnung mit einem Päderasten, der sich später als das "Haupt" einer vielköpfigen Familie herausstellt. Darüber hinaus verläuft der Film seltsam konturenlos. Intensive Momente gelingen Fridriksson allerdings noch, als Thomas erfährt, daß sein Vater plötzlich gestorben ist. Gerade in den langen, bewegenden Begräbnisszenen, die still und ganz ohne Hollywood-Gebärden ablaufen, wird deutlich, daß Örvar Jens Arnasson, der Darsteller des Jungen, schon über beachtliche schauspielerische Qualitäten verfügt. Doch auch der Schock des Todes verfliegt in diesem Film bemerkenswert schnell. Stattdessen gibt sich Thomas schon bald wieder dem Grusel des amerikanischen Kinos hin: im Gamla-Bio-Theater zu Reykjavik steht das B-Movie "The Crawling Hand" von Herbert L. Strock auf dem Programm. "Exploitation"-Produktionen dieser Art stellt Fridriksson 30 Jahre später unverwechselbares europäisches Kino gegenüber. Mit seinen Stärken, Risiken und Schwächen.
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