Die Figur des Michael Collins hat historisch weitaus größere Bedeutung als die eines führenden irischen Freiheitskämpfers. Es ist die Komplexität des Mannes, die ihn zum Vorbild jeder Art von Aufbegehren gegen politische Fesseln und geistige Knebelung in unserem Jahrhundert gemacht hat. Collins war ein patriotischer Kämpfer und ein cleverer Stratege, ein rücksichtsloser Taktiker und ein überlegener Staatsmann, vor allem aber war er der erste Theoretiker des großstädtischen Guerillakrieges, wofür ihn Mao Tse-tung und Yitzhak Shamir bewundert haben. Ein Film über Michael Collins mußte all diesen Eigenschaften Genüge tun, falls er für sich in Anspruch nehmen will, der historischen Gestalt gerecht zu werden - in einem Zeitalter veräußerlichter Betrachtungsweise eine kaum zu realisierende Forderung.Neil Jordans "Michael Collins", das sei gleich vorweg gesagt, wird seinem Helden und dem irischen Freiheitskampf nur ansatzweise gerecht. Er reduziert beide auf einen zeitlichen Ausschnitt von sechs Jahren (1916 bis 1922) und vermag an den Ereignissen dieser limitierten Periode weder die ganze Persönlichkeit seines Protagonisten noch die überaus komplizierte Struktur des Kampfes der Iren gegen das British Empire und der (religiösen) Parteienbildung darzustellen. Hat man sich damit einmal abgefunden, so bleibt allerdings immer noch vieles für einen faszinierenden Film übrig - fesselnd und befriedigend vielleicht weniger für den Historiker als für den Filmfreund, der gleichzeitig der Opulenz modernen, von Hollywood geprägten Filmemachens beiwohnen kann wie auch einer adorativen Rückbesinnung auf die englischen Kino-Heroen David Lean und Carol Reed.Man fühlt sich erinnert an Johnny, den IRA-Kämpfer in Reeds "Ausgestoßen" (fd 112), der bereits zu Beginn des Films als ausgereifter Mann mit festen Ideen und Vorstellung präsentiert wurde, an deren Reifungsprozeß - wie auch hier - der Zuschauer nicht teilnehmen konnte. Und ähnlich, wie der Zuschauer in Leans "Lawrence von Arabien"
(fd 11 864) in der dekorativen Romantisierung der Ereignisse nur Spuren der historischen Realität zu erahnen vermochte, ergeht es einem auch in "Michael Collins". Dennoch gehören sowohl "Ausgestoßen" als auch "Lawrence von Arabien" zu den großen Werken des angelsächsischen Filmschaffens. Einiges von diesem Glanz darf auch der späte Nachfahre Neil Jordan für sich reklamieren, denn er hintergeht die auf äußerliche Buntheit und um den denkbar einfachsten dramaturgischen Nenner bemühte Ideologie heutiger Kommerzfilme mit einem inszenatorischen Konzept, das der großen Tradition des englischen Kinos nähersteht als der Formelhaftigkeit heutiger Actionfilme.Jordans Film konfrontiert mit einem Ausschnitt aus Michael Collins' kurzem Leben, der immerhin Gelegenheit bietet, sowohl den temperamentvollen Patrioten und Kämpfer als auch den abwägenden Politiker vorzuführen. Der Film ist voller Grausamkeiten, wie sie sich die Parteien bis auf den heutigen Tag antun, aber er delektiert sich nicht an deren Details, sondern versucht zumindest, den Mechanismus des wechselseitigen Hasses und des immer stärkeren Verfalls einer Verständigungsbasis zu beschreiben. Dabei helfen eine Reihe gut ausgewählter Randfiguren, unter denen ein Mitarbeiter des englischen Nachrichtendienstes und der irische Volksvertreter Eamon De Valera die wichtigsten sind. Natürlich fehlt auch nicht die private Liebes- und Eifersuchtsgeschichte, die Collins und seinen engsten Freund und Mitstreiter entzweit.Nicht zuletzt dank hervorragender Schauspieler gewinnen alle diese Figuren starkes Profil, obwohl sie samt und sonders des Hintergrunds entbehren. Man erfährt nicht, wie sie zu dem geworden sind, was sie sind, und man erfährt noch viel weniger über die Komplexität ihres Denkens, das man meist nur in Ergebnissen und nicht als mitvollziehbare Entwicklung vorgeführt bekommt. So geschieht es, daß auch Neil Jordans Film - wie viele Filme über historische Persönlichkeiten vor ihm - letztlich mehr dem Mythos huldigt als der Reflexion. Das aber tut er auf eine gleichzeitig so kraftvolle wie einfühlsame Weise, daß der schließliche Tod des Helden für den Zuschauer unentziehbar zum Symbol der Agonie des irischen Volkes wird.Seine Wirkung bezieht "Michael Collins" vor allem aus der optischen Gestaltung. Die vitale Präsenz Liam Neesons in der Hauptrolle darf sich zu voller Wirksamkeit ausspielen, wird jedoch ständig durch die Einstellungswinkel und die ungewöhnliche Licht- und Farbgebung in ähnlicher Weise überhöht wie schon Carol Reed seinen IRA-Kämpfer in "Ausgestoßen" allmählich zum Sinnbild des Befreiungskampfes schlechthin werden ließ. Jordan folgt Reed nicht nur in vergleichbare doppelbödige Atmosphären, sondern es gelingt ihm sogar, ähnliche Bildstrukturen zustandezubringen, obwohl man annehmen sollte, das Farbmaterial widersetze sich grundsätzlich einer solchen Absicht. Viele Szenen sehen aus, als hätten Jordan und sein Kameramann Chris Menges auf nichts mehr Mühe verwendet als darauf, die Farbe in fahle Grau-, Blau- und Gelbtöne aufzulösen. Über weite Strecken ist "Michael Collins" der beste Schwarzweißfilm, der je in Farbe gedreht wurde. Und das ist nicht nur als Aussage über die äußere Oberfläche zu verstehen, sondern auch über die Fertigkeit, mit der großflächige Aktion durch hintergründige Atmosphären ergänzt wird, die dem Film zusätzliche Spannung und ein individuelles - aus dem Studium der englischen Filmgeschichte bezogenes - Gesicht verleihen. Dafür mag man Neil Jordan sogar die übertrieben bedeutungs-schwangere Kunstgewerblichkeit zweier zentraler Montagen verzeihen, in denen er die Drastik des Sterbens mit romantischen Genrebildern versagten alltäglichen Glücks konterkariert.