Die Idee, unsere Welt zum Austragungsort überirdischer Konflikte zu machen, erfreut sich im Horror-Kino derzeit großer Beliebtheit. In Filmen wie „Lost Souls“
(fd 34 676) und „End of Days“
(fd 34 001) plant Satan höchstpersönlich die feindliche Übernahme der alltäglichen Gesellschaft, sodass jeweils das Schicksal der gesamten Menschheit auf dem Spiel steht. Insofern scheint es nur nahe liegend, dass der Klassiker der Teufelswerke 27 Jahre nach seiner Premiere auf die Leinwand zurückkehrt. In „Der Exorzist“ (Erstbesprechung: fd 18 987) geht es zwar bloß um die Seele der zwölfjährigen Regan, von der ein antiker Dämon Besitz ergriffen hat, aber das vergleichsweise intime Szenario lässt die apokalyptischen Spektakel der Gegenwart verdammt alt aussehen.
Anders als die bislang bekannte Version beginnt der so genannte Director’s Cut (vgl. auch Artikel in fd 5/2001, S. 10) mit einer Einstellung des Hauses in Georgetown, in dem Regan mit ihrer Mutter wohnt. Erst nachdem Regisseur William Friedkin auf diese Weise die westliche Zivilisation als Schauplatz etabliert hat, entführt er den Zuschauer vorübergehend in die archaische Welt des Orients, wo unterwürfige Gläubigkeit und feste soziale Ordnung herrschen. Hier begegnet man ersten Manifestationen des Dämons, den man in der vermeintlich rückständigen Umgebung am richtigen Platz glaubt. Doch als Regans Verhalten seltsamer wird, bis sie schließlich denen, die ihr helfen wollen, verbale Obszönitäten und Erbrochenes ins Gesicht spuckt, schwinden die Zweifel, dass das absolut Böse auch in der relativistischen Moderne seinen Platz hat. Die Ärzte, die Regan untersuchen, stehen dementsprechend vor einem Rätsel und gestehen schließlich ihre Niederlage ein, indem sie Regans Mutter zu einem Exorzismus raten. Diese wendet sich in ihrer Not an einen Priester, der gerade mit einer vom Tod seiner Mutter ausgelösten Sinnkrise hadert. Doch im Angesicht des Dämons, der Regans Körper brutal misshandelt, kann ihm nur sein Glaube helfen.
Die Kleidung der Charaktere, die Einrichtung der Wohnungen, die Autos und die Frisuren - sämtliche Details der Ausstattung weisen den Zuschauer permanent darauf hin, dass der Film zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort spielt. Dennoch sind einem die Menschen auf der Leinwand nicht fremd, da die Konflikte, mit denen sie ringen, hier und heute ebenso akut sind wie in den frühen 70er-Jahren. Sie leben in einer Welt, in der alles relativ und nichts sicher ist. Die alten Wahrheiten von Gut und Böse, Gott und Teufel, haben längst ihre Gültigkeit verloren. Sie sind der Komplexität einer funktional differenzierten Gesellschaft zum Opfer gefallen, in der jeder Einzelne seine eigenen Lebensregeln aufstellen muss. Die negativen Implikationen dieser Freiheit, die Zweifel und Brüche, an denen seine Charaktere leiden, entwickelt Friedkin in aller Ausführlichkeit. Er rückt die Glaubenskrise des Priesters ebenso in den Vordergrund wie den Umstand, dass Regans Familie nur noch als Rudiment existiert, damit sich das Publikum in den Figuren selbst erkennen kann. Friedkin will eben nicht nur die Magengrube, sondern auch den Kopf und das Herz des Betrachters treffen. Denn gerade weil man sich in der Unsicherheit der Charaktere wieder erkennt, ist man dem Terror des Films schutzlos ausgeliefert. Umso effektiver wirken die legendären Schockmomente wie der rotierende Kopf, die urplötzlich eingeblendeten Dämonen-Fratzen oder Regans eigenhändige Vergewaltigung mit einem Kruzifix. Da der Horror des Films nicht allein in grausigen Bildern liegt, unterläuft er sogar die Abwehrhaltung eines von Gewaltszenen gestählten Publikums. Wer glaubt, dass filmische Schockmomente an der postmodernen Coolness des eigenen Bewusstseins abperlen, sollte auf der Hut sein. Denn „Der Exorzist“ zielt tiefer. Er nimmt fundamentale Unsicherheiten angesichts einer Welt ohne Verbindlichkeiten ins Visier und trifft mit erschreckender Sicherheit.