Zwei mexikanische Jugendliche der gehobenen Mittelschicht nutzen die Abwesenheit ihrer Freundinnen, um während einer Reise ans Meer bei einer Frau ans Ziel ihrer sexuellen Wünsche zu kommen. Nur auf den ersten Blick eine Teenager-Komödie der geschmacklosen Art, entpuppt sich der Film schon bald als eine sarkastische Zustandsbeschreibung des mexikanischen Alltags, der von Korruption und erbarmungslosem Kapitalismus geprägt ist. Dabei verdichtet sich die bittere Komödie zu einer Auseinandersetzung mit dem Machismo und dem Hedonismus mexikanischer Jugendlicher.
Y tu mamá también - Lust for Life
Komödie | Mexiko/USA 2001 | 105 Minuten
Regie: Alfonso Cuarón
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Filmdaten
- Originaltitel
- Y TU MAMA TAMBIEN
- Produktionsland
- Mexiko/USA
- Produktionsjahr
- 2001
- Produktionsfirma
- Producciones Anhelo
- Regie
- Alfonso Cuarón
- Buch
- Alfonso Cuarón · Carlos Cuarón
- Kamera
- Emmanuel Lubezki
- Schnitt
- Alfonso Cuarón · Alex Rodríguez
- Darsteller
- Maribel Verdú (Luisa Cortés) · Gael García Bernal (Julio Zapata) · Diego Luna (Tenoch Iturbide)
- Länge
- 105 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16; f
- Genre
- Komödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Tenoch und Julio sind typische Vertreter der mexikanischen „upper class“: schneller Sex, Drogen und wilde Feiern in Pappis Villa bestimmen ihren Alltag. „Y tu mama también“ (Und mit deiner Mutter auch) ist nur eine der vielen sexuellen Prahlereien, die sich die beiden 17-Jährigen immer wieder an den Kopf werfen, lachend und scherzend, denn sie sind gute Freunde; Kameraden, die sich schlüpfrige Geschichten erzählen und dann auf den getrennten Sprungbrettern des überdimensional großen Swimmingpools masturbieren. Als ihre Freundinnen nach Italien in Urlaub fahren, bricht für sie nach dem letzten hektischen Beischlaf, nach Liebesschwüren und Abschied am Flughafen eine Zeit sexueller Erwartung an. Offensichtlich haben sie Glück – auf einer Hochzeit treffen sie auf die einige Jahre ältere attraktive Spanierin Luisa, eine angeheiratete Cousine, die ein Geheimnis in sich trägt. Die Feier in einer privaten Stierkampfarena ist von oppulentem Luxus, denn Tenochs Vater gehört zu den obersten Spitzen der mexikanischen Gesellschaft; der Staatspräsident ist ebenso anwesend wie die gesamte mexikanische Elite.
Was wie ein typisches Teenager-Lustspiel beginnt, entpuppt sich als sarkastisches Porträt des modernen korrupten Mexiko am Ende der 71-jährigen Herrschaft der Regierungspartei PRI. Schon die Namen der Protagonisten sind ironische Anspielungen: Julio Zapata (benannt nach dem großen mexikanischen Freiheitshelden) und Tenoch (benannt nach dem atztekischen Nationalhelden), der eigentlich Hernán (Cortez) heißen sollte. Stellenweise bietet der Film die groteske Vison Mexikos durch die Brille der herrschenden Oberschicht. Eine auktoriale Off-Stimme vermittelt – wie in „Die fabelhafte Welt der Amélie“ (fd 34 999) – trocken und erbarmungslos die Erlebnisse, Kindheitserinnerungen und biografischen Einzelheiten der drei Protagonisten und kommentiert damit die soziale und politische Situation Mexikos. Als Luisa erfährt, dass ihr Mann sie betrogen hat, beschließt sie, mit den Beiden ans Meer zu fahren. Zu dritt verlassen sie die schützende Hülle der Upper Class von Mexiko City. Das kleine Road Movie entwickelt sich damit zur witzig-selbstironischen Abrechnung mit dem mexikanischen Machismo, aber auch zur sarkastischen Auseinandersetzung mit der derzeitigen mexikanischen Jugend. Dabei entwickelt es zuweilen eine Situationskomik, bei der das Lachen oft im Halse stecken bleibt.
Auf der Reise an den vermeinlichen Traumstrand entpuppt sich die Freundschaft als Illusion. Die jugendlichen „Machos“ gehen wie Kampfhähne aufeinander los, Standesdünkel brechen auf, weil die Protagonisten unterschiedlichen sozialen Milieus entstammen: Julio einer Mittelschichtsfamilie auf dem absteigenden Ast – die Mutter arbeitet als Sekretärin für eine multinationale Firma, die Schwester ist Aktivistin für mehr Menschenrechte und mehr Demokratie. Die spanische Zahntechnikerin merkt bald, dass ihre Begleiter alles andere als gute Liebhaber sind, bestenfalls erotische Maulhelden auf der Jagd nach sexuellen Trophäen. Vor dem Hintergrund einer Reise durch ländliche Regionen stagniert die Beziehung der Drei: Luisa scheint das Interesse an den pubertierenden Kampfhähnen verloren zu haben; erst als sie an den kristallblauen Traumstrand kommen, entspannt sich das Verhältnis. Immer wieder inszeniert der Film solche Kontraste in kraftvollen Bildern, etwa wenn im Licht der Abenddämmerung am Strand eine Schweineherde über Zelt und Rucksäcke stampft. Immer wieder entwickelt er dabei über den Kommentar Kontraste gegen eine falsche Idylle, vermittelt hinter der eigentlichen Geschichte ein Mexiko in der Globalisierung, geprägt von politischer Korruption und einem wirtschaftlichen Fortschritt, der wie eine Dampfwalze gewachsene Strukturen demoliert. Am Ende scheint alles harmonisch; beim Schlaftrunk in der Strandbar aber, als alles auf eine leidenschaftliche Menage à trois hinausläuft, kommt es zum Tabubruch der Casanovas. Fast panikartig verlassen sie am nächsten Morgen den Strand, Luisa bleibt alleine zurück. Erst Monate später treffen sich Julio und Tenoch wieder. Sie haben sich nichts mehr zu sagen, aus pubertierenden Jugendlichen sind kleine alte Männern geworden.
„Y tu máma también“ ist eine mitreißende tragikomische Geschichte um Erwachsenwerden und das Ende der Illusionen. Dabei lebt der Film neben seiner perfekt konstruierten Handlung besonders vom faszinierend natürlichen Zusammenspiel der drei Schauspieler, besonders der Spanierin Maribel Verdu und Gael Bernal, der bereits in „Amores perros“ (fd 35 105) begeisterte. Cuaróns Film ist aber auch eine Abrechnung mit dem modernen Mexiko und fasziniert durch die Verstrickung sarkastischer Gesellschaftskritik mit persönlichem Erleben. Die sexuellen Erfahrungen und Aufschneidereien zweier 17-Jähriger verbinden sich mit einer menschlichen Geschichte, wobei der Film erst in der überraschenden Enthüllung im Epilog auch zur Parabel auf die Vergänglichkeit des Lebens und der Jugend wird und den vorherigen Ablauf in ein dunkleres, melancholischeres Licht taucht. Ein dichter, mitreißender Film, distanziert und doch ganz nah – und ohne Hoffnung auf ein Happy End.
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