Der Koreaner Park Chan-Wook ist einer der größten Virtuosen und spannendsten Regisseure des Gegenwartskinos. Er gehört zu den ganz wenigen aktiven Filmemachern, von denen man womöglich wirklich Revolutionäres, zumindest aber echte Innovationen erhoffen kann. Das belegt auch sein neuester Film, selbst wenn er im kinematografischen Kosmos des gefeierten Autors der „Rachetrilogie“ („Sympathy für Mr. Vengeance“, fd 37 201; „Oldboy“, fd 36 666; „Lady Vengeance“, fd 37 977) wohl auf mittlere Sicht nur den Status eines Nebenwerks einnehmen dürfte. In jedem Fall kann man vermuten, dass „I’m a Cyborg, But That’s OK“ auch eingefleischte Fans von Park und dem koreanischen Gegenwartskino überraschen wird. Im Zentrum steht Young-goon, eine junge Frau, die, salopp bezeichnet, einen „Sprung in der Schüssel“ hat. Sie hört Stimmen und hält sich für einen Cyborg, also eine Chimäre aus Mensch und Maschine. Das wäre womöglich noch nicht weiter schlimm, würde sie nicht in der Logik des Wahnsinns gelegentlich ihre Energiereserven „aufladen“, indem sie ein paar Batterien herunterschluckt oder ihre Hand an eine Steckdose anschließt. Zugleich verweigert sie menschliche Nahrung – logischerweise sozusagen, denn somit begänne sie ja „von innen zu rosten“. Eines Morgens wacht Young-goon demzufolge in einer Nervenheilanstalt auf, in der der Film von nun an spielt. Statt mit ihrem Arzt redet sie auch dort lieber mit den umherstehenden Maschinen und füllt ihre Gedächtnislücken mit frisch erdachten fantastischen Geschichten. In der folgenden Zeit lernt Young-goon – und mit ihr der Zuschauer – dann auch die anderen Insassen der Anstalt kennen, darunter ein Mädchen, das sie für eine Schweizer Jodlerin hält, ein Paranoiker, und der Kleptomane Il-sun (gespielt von Asia-Pop-Idol Rain, im echten Leben Jeong Ji-hun). Die beiden verlieben sich ineinander, was zu der charmanten Erzähl-Variante führt, dass der Kleptomane Young-goons Fantasien „stehlen“ will.
Hinter der auf den ersten Blick komplexen Ausgangssituation stehen eigentlich gar nicht so unalltägliche Geschichten: Die Heldin leidet unter einer Essstörung und einem Identitätsproblem. Ganz und gar gewöhnlich aber ist die Machart: Der besondere Charme und die visuelle Faszination des Films liegen darin, dass Park Chan-Wook den sozialen Kosmos des Irrenhauses und auch den Rest der Welt aus der Innensicht der Kranken, vor allem Young-goons zeigt – was sie fantasieren und sich ausdenken, wird also im Film in Bilder verwandelt. Das bedeutet, dass Young-goonzum Beispiel tatsächlich wie ein Kampfroboter aus ihren Fingern ballern kann und einmal das gesamte Anstaltspersonal „ummäht“ – mit nicht sehr gewalttätigen Folgen allerdings, denn es geschieht ja „nur“ in ihrer Einbildung. Visuell aber gilt für den Zuschauer: What you see is what you get. Das Ergebnis ist ein furioses Feuerwerk im besten Stil ostasiatischer Pop-Kultur: schrill-bunt, ausufernd, lärmend, inklusive einiger Splatter-Effekte, grandiosem Nonsense. Es passt gut in die überbordenden Bilder und überraschenden Geschichten der koreanischen Filmlandschaft der letzten Jahre: So virtuos und poetisch, wie Jang Sun-woos „Resurrection of the Little Match Girl“ (2002), so traurig und elegisch wie Kim Ji-woons „A Bittersweet Life“ (2005). Nebenbei schildern Rückblicke aus ihrer Kindheit, wie es bei Young-goon zuhause zuging, und präsentieren die Genealogie ihrer Krankheit; bereits ihre Mutter litt nämlich unter einer ähnlichen Persönlichkeitsstörung. Mit der Zeit empfindet man immer mehr Anteilnahme für die junge Frau, ihre besondere Empfindungsfähigkeit und Menschlichkeit, die sie zum „Engel“ der Anstalt werden lässt.
„Amélie im Irrenhaus“ oder „Eine flog übers Kuckucksnest in Südkorea“: Von Park Chan-Wook hätte man so eine Mischung aus Komödie und realistischem, anrührend menschlichem Krankheitsdrama nicht unbedingt erwartet. Ein bisschen ist der Effekt so, als würde Clint Eastwood plötzlich eine Romantic Comedy präsentieren. Aber kein Regisseur ist gezwungen, sich von außen auf ein Image festlegen zu lassen, und blickt man genauer hin, entdeckt man die versteckten Gemeinsamkeiten mit Parks früheren Filmen: Wieder geht es um Institutionen der Gesellschaft und ihre Insassen, um Unangepasstheit und ihre Folgen. Statt des Militärs, der Schule oder eines Gefängnisses steht nun eben eine psychiatrische Klinik im Zentrum, und damit auch das Thema alltäglicher – möglicherweise gerechtfertigter oder eben moralisch fragwürdiger – Repression durch gesellschaftliche Zwangssysteme und der klassische Konflikt zwischen Freiheitsdrang und Konformismus. Und wieder inszeniert der Regisseur mit leichtester Hand visuell wie akustisch perfektes Kino.