Charlie Mariano - Last Visits

Dokumentarfilm | Deutschland 2013 | 104 Minuten

Regie: Axel Engstfeld

Im Jahr 2009 erlag der Jazz-Saxofonist Charlie Mariano 85-jährig einem Krebsleiden. Die intime Dokumentation begleitet den Künstler in seinen letzten beiden Lebensjahren. Dabei spielt der Alltag des von seiner schweren Krankheit Gezeichneten ebenso eine Rolle wie seine letzten Auftritte, zudem kommen zahlreiche Musikerkollegen zu Wort. Insbesondere durch Marianos Ausstrahlung entsteht ein wertvolles Dokument über einen außergewöhnlichen Musiker, das auch negative Aspekte wie die ungesicherte Altersversorgung für Künstler nicht ausspart. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Engstfeld Film
Regie
Axel Engstfeld
Buch
Axel Engstfeld
Kamera
Bernd Mosblech
Schnitt
Axel Engstfeld
Länge
104 Minuten
Kinostart
13.02.2014
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Dokumentarfilm

Diskussion
Der Saxofonist und Komponist Charlie Mariano starb im Juni 2009 nach langer Krankheit im Alter von 85 Jahren. Anfang der 1970er-Jahre war Mariano, als Sohn italienischer Einwanderer in Boston geboren, nach Europa gezogen, wo es ihm, anders als in den USA, möglich war, von seiner Musik zu leben. In den letzten 20 Jahren seines Lebens wohnte der Musiker in Köln. „Charlie Mariano – Last Visits“ entstand im Laufe seiner letzten beiden Lebensjahre; der Film begleitet den Musiker durch seinen Alltag, sammelt Impressionen von Club-Auftritten und interviewt befreundete, deutlich jüngere Musiker wie Mike Herting oder Matthias Schriefl. Die spielten in den letzten Jahren ohne Gage mit Mariano, damit dieser seine kostspielige Behandlung finanzieren konnte. Ein Akt der Solidarität, der in einer prinzipiellen Dankbarkeit dafür gründet, dass Mariano sie mit seiner Kunst und seiner Haltung inspiriert habe. Inspiriert vom Bebop Charlie Parkers spielte Mariano ab 1941 live in den Bands von Johnny Hodges, Nat Pierce oder Quincy Jones. 1962/63 kam es zur Zusammenarbeit mit Charles Mingus für das Album „The Black Saint and the Sinner Lady“. Mingus prägte auch den Begriff für Marianos eigentümlichen, stets etwas melancholischen Sound, „Tears of Sound“, den es auf annähernd 500 Tonträgern zu hören gibt: die Diskografie eines Jazz-Klassikers. Später lebte Mariano als Weltmusiker avant la lettre einige Jahre in Japan und Malaysia und arbeitete am südindischen Karnataka College of Percussion. Doch erst als mit seinem souveränen und eleganten Auftreten authentisch erlebte Jazz-Geschichte und eine neugierige Weltläufigkeit mit nach Europa brachte, wurde er mit Projekten wie Osmosis oder Pork Pie schnell sehr bekannt und konnte mit dem United Jazz & Rock Ensemble oder an der Seite von Eberhard Weber jene Karriere machen, die ihm in den USA wohl verwehrt geblieben wäre. Die Dokumentation von Axel Engstfeld braucht solche musikalisch-biografischen Stationen nur zu skizzieren, weil die Ausstrahlung der Persönlichkeit vor der Kamera hinreichend davon erzählt. Viele Fäden seiner künstlerischen Biografie liefen noch einmal im Theaterhaus in Stuttgart zusammen, wo im November 2008 Marianos 85. Geburtstag mit einem rauschenden Konzert voller Höhepunkte gefeiert wurde. Der Film versammelt Impressionen dieses Abends, weshalb viele alte Bekannte wie Ack van Rooyen, Paul Shigihara, Jasper van’t Hof, Philip Catherine, Wolfgang Dauner oder Dieter Ilg zu sehen sind. Das frenetisch gefeierte Konzert endete im kleinen Kreis mit einem berührend klaren Blues. Man kann „Charlie Mariano – Last Visits“ auf zweierlei Weise sehen. Für Fans ist der Film ein Fest, das einen unvergessenen Musiker noch einmal zum Leben erweckt und feiert. Mariano selbst sorgt dafür, dass das Ganze keine hohle Nostalgieveranstaltung wird. Der Film dokumentiert aber auch, wie es sich anfühlen mag, wenn man als schwerkranker Künstler ohne Krankenversicherung bis ins hohe Alter auftreten muss, um sich seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Aufgrund seiner einnehmenden Persönlichkeit war es Charlie Mariano geglückt, sich gewissermaßen jenseits des Gesundheitssystems privat zu versichern, weil ihm seine Kunst verlässliche Freundschaften ermöglichte. Ganz zum Schluss, als das Filmteam ihn ein letztes Mal besucht, hat dann der Krebs gesiegt. Vor der Kamera sitzt ein gebrochener Mann, der binnen weniger Monate um Jahre gealtert erscheint: die Auftritte, so Mariano, fehlten ihm schon, aber es gehe einfach nicht mehr. Er werde seine Instrumente wohl verkaufen, um seiner Frau etwas Geld zu beschaffen. Es nötigt großen Respekt ab, dass sowohl Mariano als auch Engstfeld sich und dem Publikum dieses Finale nicht ersparen, denn die Not war in der Jazz-Geschichte, die Charlie Mariano (auch) repräsentierte, leider ein zuverlässiger Weggefährte.
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