Schönefeld Boulevard

Drama | Deutschland 2014 | 101 Minuten

Regie: Sylke Enders

Das Leben einer pummelig-resignierten 18-Jährigen aus Berlin-Schönefeld gerät in Bewegung, als sie einen finnischen Ingenieur kennenlernt, der aus ähnlich gutmütigem Holz wie sie geschnitzt ist. Er verschafft ihr das ersehnte Kleid für den Abiturball und stärkt ihr Selbstvertrauen, sodass sie sich von ihrem Kindheitsfreund lösen kann. Sylke Enders inszenierte am Schauplatz des noch geschlossenen neuen Berliner Flughafens die Selbstfindung eines Mädchens, die in ihren unvorhergesehenen Wendungen auch als ein Versprechen für das krisengebeutelte Unternehmen gelesen werden kann. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Credofilm/Ester.Reglin.Film/RBB/WDR/ARTE
Regie
Sylke Enders
Buch
Sylke Enders
Kamera
Benedict Neuenfels
Schnitt
Katharina Schimdt
Darsteller
Julia Jendroßek (Cindy) · Daniel Sträßer (Danny) · Ramona Kunze-Libnow (Mutter) · Uwe Preuss (Vater) · Jani Volanen (Leif)
Länge
101 Minuten
Kinostart
18.09.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
farbfilm/Lighthouse (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Die Hoffnung stirbt als letztes, auch wenn immer neue Berichte über den Berliner Flughafen BER die Öffentlichkeit erschüttern und der Eröffnungstermin in eine ungewisse Zukunft rückt. Die Zuversicht jedenfalls, dass mit diesem Großprojekt eine strukturschwache Region aufblühen und auch ein wenig Glamour aufs flache Land bringen könnte, nimmt Sylke Enders’ neuer Film dem Zuschauer nicht. Aber „Schönefeld Boulevard“ rückt solchen Optimismus zugleich in ein verfremdendes Licht, was eine beunruhigend-zwiespältige Atmosphäre erzeugt. Die pummelige 18-jährige Cindy ist in Schönefeld in der Nähe der Großbaustelle zuhause; sie hat sich mit den Verhältnissen in der Provinz längst arrangiert. Mit Gleichmut erträgt sie die Kränkungen ihres arbeitslosen Vaters, die ihm seine Ehefrau unwidersprochen durchgehen lässt. Obwohl Cindy von ihren beiden Freundinnen nur ausgenutzt wird, trägt sie ihnen ganz selbstverständlich die Tasche hinterher. Danny, ihr Kamerad aus Kindertagen, hält sie gleich ganz auf Abstand, sicher geschützt in einem Panzer aus selbstgefällig-defätistischem Statements. Ihre Zukunft hat wenig zu bieten, denn für die ersehnte Ausbildung als Hotelfachfrau ist sie angeblich zu dick. Dass es sich vielleicht trotzdem lohnen könnte, für ihren Traum zu kämpfen, kommt der jungen Frau erst gar nicht in den Sinn. In dieses stillgestellte Leben kommt Bewegung, als die Mutter mit dem Wagen des Vaters einen finnischen Ingenieur anfährt. Der ist offenbar aus demselben Holz wie Cindy geschnitzt. Er wehrt sich genausowenig wie sie gegen die Verletzungen durch die Mitmenschen; mit ihrer mädchenhaften Unschuld kann Cindy sogar sein Herz betören. Das treibt sie aus ihrer Resignation heraus. Sylke Enders nutzt den Schauplatz des Flughafen-Ärgernisses als Metapher, um vom schwierigen Erwachsenwerden jugendlicher Außenseiter in Ostdeutschland zu erzählen. Sich aus den festgefahrenen Verhältnissen zu erheben, wird den Jugendlichen offensichtlich erschwert. Die Filmemacherin gewinnt der Passivität und Perspektivlosigkeit ihrer Figuren durchaus skurrile Momente ab. Aufgrund dieses Duktus zeigt sich in Enders’ Geschichte eine gewisse Geistesverwandtschaft mit Axel Ranischs „Ich fühl mich Disco“. Gleichfalls kann der Zuschauer in Cindy – ihrem beziehungsreichen Namen, ihrem Leibesumfang, ihrem rosaroten Abschlusskleid – auch ein Gegenbild zu dem gleichnamigen Comedy-Star aus Marzahn sehen. Während dessen Humor jedoch letztlich all die sozialen Klischees zementiert, verhält sich Enders’ Cindy hingegen immer wieder ungewohnt abweichend und eigenwillig. Das ist aber möglicherweise auch ein Problem von Sylke Enders’ Film. Denn im Vergleich zu der Entwicklung der kaltschnäuzigen blonden Schönen Julia aus dem Weddinger Kiez in Enders’ Debütfilm „Kroko“ bleibt Cindy bei ihrer Veränderung merkwürdig blass. Die Filmemacherin, die zugleich das Drehbuch schrieb, scheint manche Szenen nur dazu erfunden haben, um die Erwartung des Zuschauers unterlaufen zu können: sie bedient sich eingefahrener Muster, um ihnen sogleich eine ungewohnte Wendung zu geben. So geht Cindy, nachdem sie den ebenfalls auf der Baustelle beschäftigten Asiaten Park kennengelernt hat, mit ihm erst einmal eine Runde Tischtennis spielen. Und als der ihr eine Sushi-Mahlzeit kredenzt, bekommt sie durch deren Schärfe fast einen Erstickungsanfall. Wenn dann Danny, der aus Perspektivlosigkeit freiwillig in den Afghanistan-Krieg zog, windpockig wieder nach Hause zurückkehrt, will die Mutter ihren Sohn möglichst schnell wieder loswerden. Diese Brüche, die durch die expressive Lichtsetzung des Films unterstützt werden, sollen sicher unkonventionell frisch wirken, arbeiten aber immer wieder der schlüssigen und konsequenten Figurenzeichnung entgegen. Erst recht dann, wenn der Film bei Dannys Verhalten völlig vorhersehbar wird und sich für ein katastrophisches Finale entscheidet.
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