Joshua - Der Erstgeborene

Thriller | USA 2007 | 102 Minuten

Regie: George Ratliff

Ein hochbegabter neunjähriger Außenseiter sorgt nach der Geburt seiner Schwester für Irritationen im Kreis seiner Familie, die zunehmend von den Alltagsanforderungen überfordert wird. Ein visuell brillanter Psychothriller, der durch vermeintliche Nebensächlichkeiten scheinbares Familienglück hinterfragt und nachhaltig für Verunsicherung sorgt. Spannende, hintergründige Unterhaltung auf formal hohem Niveau, getragen von überzeugenden Darstellern. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
JOSHUA
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
ATO Pic.
Regie
George Ratliff
Buch
David Gilbert · George Ratliff
Kamera
Benoît Debie
Musik
Nico Muhly
Schnitt
Jacob Craycroft
Darsteller
Sam Rockwell (Brad Cairn) · Vera Farmiga (Abby Cairn) · Jacob Kogan (Joshua Cairn) · Celia Weston (Hazel Cairn) · Dallas Roberts (Ned Davidoff)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Thriller
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein Feature mit fünf im Film nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Fox (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Zweifellos ist der neunjährige Joshua Cairn ein Außenseiter, wenn auch sonst nichts sicher ist in diesem ungewöhnlichen Psychothriller. Der Junge stammt aus wohlhabenden New Yorker Verhältnissen, mag kein Baseball, spielt Bartók wie ein Klaviervirtuose und kotzt auf den Wohnzimmerteppich, wenn seine Familie „Jesu meine Zuversicht“ anstimmt. Immer steht Joshua auf der anderen Seite: auf der falschen Straßenseite, wenn sein Vater es eilig hat, in die Klinik zu kommen, oder an der Scheibe, hinter der seine neugeborene Schwester versorgt wird. Auch in die Filmbilder des Familienglücks mit Papa, Mama, Baby passt Joshua nicht hinein. Regie-Debütant George Ratliff setzt seine Titelfigur von Anfang an in Opposition zum Traum der harmonischen Familie. Ein Idealbild, das ohnehin bald Risse bekommt und dann zerbröselt. Und wer ist schuld an alldem? Joshua wahrscheinlich. „Joshua“ fasziniert und irritiert zugleich durch die unterschiedlichen Perspektiven, die er präsentiert. Fest steht, dass Joshua ein hochintelligentes, hochbegabtes, emotional freilich eher unterkühltes Kind ist. Man sieht ihn weder lachen noch weinen; die Gefühlsausbrüche seiner Mitmenschen äfft er nach oder quittiert ihre Emotionen mit Unverständnis. Solche Kinder soll es geben. Viel häufiger passiert die schmerzhafte „Entthronung“ des Einzel- durch ein neugeborenes Geschwisterkind. Dass Joshuas Eltern ihre ganze Aufmerksamkeit zunächst der kleinen Lily schenken, kommt in den besten Familien vor. Ebenso im „üblichen“ Rahmen: Ein Vater, der sich um seine Familie sorgt, die Stück um Stück aus den Fugen gerät, und gleichzeitig als Hedge-Fonds-Manager gefordert ist, eine Mutter, deren Wochenbettdepression sich in Wahnvorstellungen auswächst, weil ihre kleine Tochter die Nächte durchschreit. Und schließlich die Großmutter, die im Haushalt einspringt, wo sie kann, bis es zum Zerwürfnis kommt zwischen ihr und der Schwiegertochter, weil sie Joshua mit zum Befreiungsgottesdienst bei den „Evangelikalen“ genommen hat. „Es ist ein Kampf, Joshua, halte du nur gut dein Schwert fest“, raunt Oma ihm noch zu. Dann stampft sie beleidigt aus der Wohnung. Joshua scheint stets zwischen den Stühlen zu sitzen: zwischen fanatischem Glauben und Atheismus, zwischen Braver-Großer-Bruder-Rolle und Eifersucht auf Lily, zwischen Zwölftonmusik und Kinderlied. Auch das: ein Drama des hochbegabten Kindes, das sich durchaus an wirklichen Verhältnissen orientiert. Aber „Joshua“ ist kein Coming-of-Age-Drama und auch kein Problemstück, in dem irgendwann eine Supernanny auftaucht; strukturell ist dies ein Horrorfilm, und ein vorzüglich fotografierter dazu. Klaustrophobische Innenszenen im Apartment der Cairns dominieren, Nachtszenen haben Vorrang vor Sequenzen im gedämpften Tageslicht, die Farben verblassen Zug um Zug, Normaloptik wird mit zunehmender Paranoia von Weitwinkelaufnahmen verdrängt, das Rauschen des Babyfons mutiert zum Bedrohungssignal. Joshuas unvermitteltes Auftauchen, das die Eltern erschreckt, zieht sich leitmotivisch durch den Film. Mit diabolischer Konsequenz steigern sich die tödlichen Ereignisse: Alle Kleintiere in Joshuas Klasse sterben, dann verendet der Hund, schließlich stürzt die Großmutter die Treppe des Brooklyn-Museums herunter. Ratliff spielt mit Parallelen zu Teufelsfilmen wie „Rosemaries Baby“ (fd 15 794), „Das Omen“ (fd 19 960) oder „Der Exorzist“ (fd 18 987), etwa mit der Vermutung, merkwürdige Geräusche vom Dachboden würden von Ratten herrühren. Oder hat sich Satan persönlich in die Wohnung eingeschlichen? Verkörpert Joshua den wiedergeborenen Antichristen? Oder Lily? Wo William Friedkin oder Richard Donner mit Ekelszenen und Effektgewittern schockierten, beschränkt sich „Joshua“ auf Suggestionen, wo Roman Polanski einen spektakulär-irrealen Schlusspunkt setzte, bleibt Ratliff bei vagen Andeutungen. Ob der Teufel existiert oder nicht, oder auch das Böse in seiner potenzierten Form, wird dem Betrachter überlassen. Überdies konkurriert die Teufels-Version heftig mit anderen Deutungsmustern, wenn man nämlich am Geisteszustand der Mutter und an der Friedfertigkeit des Vaters zu zweifeln beginnt. Das steht und fällt mit der Überzeugungskraft von Sam Rockwell und Vera Farmiga, die eine Idealbesetzung für das Ehepaar am Rand des Nervenzusammenbruchs sind. Celia Weston als Großmutter fügt ihren Rollenporträts bigotter Frauen eine weitere Glanzleistung hinzu, Dallas Roberts gefällt als lässiger, hochmusikalischer Onkel Ned; schließlich wurde die verstörende Titelfigur mit Jacob Kogan überaus treffend besetzt. Auf subtile Weise werden hier filmische Mittel genutzt, um die Atmosphäre des Unheimlichen aufrechtzuerhalten; trotzdem ist es George Ratliff – der doch (noch) kein Hitchcock, Polanski oder Shyamalan ist – nicht vergönnt, sein Experiment zum gelungenen Ende zu bringen, nämlich Familiendrama und Horrorgenre zu verschwistern. So wie mit Joshua „etwas nicht stimmt“, so bleibt auch der Film im Stadium der kühlen Versuchsanordnung stecken, weil einem die Figuren am Ende doch eher gleichgültig bleiben. Es ist schade um „Joshua“, seine Intelligenz, seine filmische „Musikalität“, seine Sorgfalt. Den Namen des Regisseurs wird man sich trotzdem merken müssen.
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