Jahreszeit der Nashörner

Drama | Türkei/Iran 2012 | 93 Minuten

Regie: Bahman Ghobadi

Die auf einer wahren Begebenheit beruhende Geschichte des iranisch-kurdischen Dichters Sahel Farzan, der während der Nachwehen der Islamischen Revolution 1979 mit seiner Ehefrau Mina wegen antirevolutionärer Propaganda verhaftet wird. Während sie nach zehn Jahren freikommt, bleibt er weitere 20 Jahre im Gefängnis. Seiner Familie erhält die Mitteilung, er sei gestorben. Der Film verbindet das Politdrama geschickt mit einer privaten Eifersuchtsfehde, denn die treibende Kraft hinter der Verhaftung des Intellektuellen ist nicht die religiöse Führungsriege, sondern der frühere Chauffeur von Minas Schah-getreuer Offiziersfamilie und inzwischen ein Mitglied der Revolutionsgarden. Eine düstere, bildgewaltige Parabel über das äußere wie innere Exil, die es mit den Metaphern etwas zu bunt treibt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
GERGEDAN MEVSIMI | FASLE KARDAGAN
Produktionsland
Türkei/Iran
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
BKM Film/Mij Film
Regie
Bahman Ghobadi
Buch
Bahman Ghobadi
Kamera
Turaj Aslani
Musik
Kayhan Kalhor
Schnitt
Valérie Loiseleux
Darsteller
Behrouz Vossoughi (Sahnel) · Monica Bellucci · Yilmaz Erdogan · Caner Cindoruk · Beren Saat
Länge
93 Minuten
Kinostart
18.04.2013
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama

Diskussion
„Auch Schildkröten können fliegen“ (fd 37 023) haben den iranisch-kurdischen Regisseur Bahman Ghobadi auch bei uns bekannt gemacht. Inzwischen hat Ghobadi sein Heimatland aus politischen Gründen verlassen. „Gergedan Mevisimi“ („Die Zeit des Nashorns“), sein sechster Langfilm, erforscht die Situation des inneren und äußeren Exils als düstere, zuweilen erdrückend symbolhafte Parabel. Ghobadi, der zuletzt mit „No One Knows About Persian Cats“ (2009), einer Dokumentation der Teheraner Underground-Musikszene, bei den Revolutionswächtern in Ungnade fiel, wurde angeraten, ins Ausland zu gehen. Damit blieb ihm ein ähnliches Schicksal wie Jafar Panahi erspart, der unter dem Vorwurf, mit seinen Filmen „Propaganda gegen die Islamische Republik“ zu machen, mit Hausarrest und Berufsverbot belegt wurde. Doch Ghobadi zeigt in seinem aktuellen, durchaus autobiografisch durchdrungenen Film, wie sich die Entfremdung im Exil als alptraumhafter Schleier auf die Seele legt. Die auf einer wahren Begebenheit beruhende Geschichte kreist um den iranisch-kurdischen Dichter Sahel Farzan, der während der Nachwehen der Islamischen Revolution 1979 zusammen mit seiner Ehefrau Mina wegen antirevolutionärer Propaganda verhaftet wird. Während Mina nach zehn Jahren freikommt, bleibt Sahel weitere 20 Jahre im Gefängnis. Seiner Familie erhält die Mitteilung, dass er verstorben sei. Ghobadi verbindet das Politdrama geschickt mit einer privaten Eifersuchtsfehde, denn die treibende Kraft hinter der Verhaftung des Intellektuellen ist nicht die religiöse Führungsriege, sondern Akbar Rezai, früher der Chauffeur von Minas Schah-getreuer Offiziersfamilie und inzwischen Mitglied der Revolutionsgarden. Heimlich in Mina verliebt, stellt er der Tochter aus höherer Klasse seit Jahren nach. Mit dem politischen Umsturz bietet sich die Chance, den bourgeoisen Widersacher aus dem Weg zu räumen und die Liebe der Angebeteten mit Gewalt und Versprechungen auf eine frühzeitige Haftentlassung zu erzwingen. Im Vordergrund von Ghobadis Elegie steht indes das Schicksal des Protagonisten, inszeniert als bildgewaltige Parabel, deren assoziative Handlungsstränge sich in monochromen Grau- und Blautönen zwischen verschneiten Wäldern, endlosen Gefängnisfluren und den baufälligen Notbehausungen des Exils vollziehen. Inmitten dieser kafkaesken Realitäten wird der Mensch auf seine physische Existenz reduziert, brutal abgekoppelt von den Träumen der Jugend, ums Leben betrogen und am Ende in ein sinnentleertes Dasein verstoßen. Erst als alter Mann kommt Sahel frei und nach Istanbul geschickt, wo er die Tage in einem verkommenen Altbau verbringt, dessen abweisende Atmosphäre sich kaum von den iranischen Gefängnissen der 30 vergangenen Jahre unterscheidet. In der Türkei trifft Sahel sowohl auf Mina als auch auf Akbar, ohne jedoch noch an der Wirklichkeit um ihn herum teilzunehmen. Er wird zum in eine stumme Innerlichkeit geflohenen Beobachter, der die Welt in alptraumhaften Rückblenden wahrnimmt, zur Vergebung nicht willig und zu einem Neuanfang nicht fähig. Wobei „Die Jahreszeit des Nashorns“ mitunter zum überdosierten Leidensmythos kulminiert, in dem der künstlerisch beeindruckend umgesetzte Symbolismus vom poetischen Beginn zu einem pathetischen Donnergrollen anschwillt, um schließlich in einem für alle drei Protagonisten fatalen Finale zu enden. Folterszenen im Halbdunklen, Wellengebirge an der Mittelmeerküste, Schildkröten, die vom Himmel regnen und Nashörner, die vom Meeresgrund aufsteigen – etwas weniger Metaphern und ein sparsamerer Umgang mit der Überdeutlichkeit hätten die düsteren Schatten auf den Seelen der Protagonisten sicher nachhaltiger und weniger ermüdend zum Ausdruck gebracht. Neben dem Hauptdarsteller Behrouz Vossoughi hat Ghobadi mit der Italienerin Monica Bellucci und dem türkischen Schauspieler und Regisseur Yilmaz Erdoðan zwei weitere Stars verpflichtet. Erdoðan Produktionsfirma hat den Film co-produziert, gemeinsam mit einem Partner aus dem kurdischen Teil des Irak. „Die Jahreszeit des Nashorns“ wird offiziell als Co-Produktion zwischen der Türkei und der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak gelistet. Womit Ghobadi, nach „Schildkröten können fliegen“ als erste kurdischsprachige Produktion im Nachkriegsirak, erneut Filmgeschichte geschrieben und die Region der Normalität ein Stück näher gebracht hat.
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