Drama | Georgien/Frankreich/Deutschland 2017 | 99 Minuten

Regie: George Ovashvili

Der abgesetzte Präsident der Republik Georgien, Swiad Gamsachurdia, flieht 1993 mit seiner Gefolgschaft durch die unwegsame Bergregion, verfolgt von den Truppen seines politischen Gegners Eduard Schewardnadse. Der melancholisch-stille Film löst das Geschehen weitgehend aus der konkreten Historie und verdichtet das Geschehen zu einer Parabel über Machtgewinn und Machtverlust. Dabei atmet das Drama die müde Würde seiner Hauptfigur, kann deren innere Tragödie aber nur in Ansätzen nachzeichnen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
KHIBULA
Produktionsland
Georgien/Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Alamdary Film/42film/Arizona Prod./ZDF/arte
Regie
George Ovashvili
Buch
Roelof Jan Minneboo · George Ovashvili
Kamera
Enrico Lucidi
Musik
Josef Bardanashvili
Schnitt
Kim Sun-min
Darsteller
Hossein Mahjoub (Präsident) · Qishvard Manvelishvili (Premierminister) · Nodar Dzidziguri (Zurab) · Lika Babluani (Tatia) · Zurab Antelava (Shalva)
Länge
99 Minuten
Kinostart
29.03.2018
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
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Melancholische Parabel auf Machtgewinn und Machtverlust am Beispiel des abgesetzten Präsidenten der Republik Georgien, Swiad Gamsachurdia.

Diskussion
Der Dissident und Geisteswissenschaftler Swiad Gamsachurdia war der erste Präsident Georgiens, nachdem die vormals sowjetische Republik 1991 ihre Unabhängigkeit erklärt hatte. Doch schon bald regte sich Widerstand gegen Gamsachurdias despotische Art der Regierungsführung. Er floh ins Ausland, kehrte 1993 jedoch nach Georgien zurück, in der Hoffnung, sein Amt wieder antreten zu können. In „Vor dem Frühling“ irrt er nach verlorenem Kampf mit seinen Männern durch die Wälder, bettelt an den Türen ehemaliger Anhänger um Unterkunft, verfolgt von den Truppen seines politischen Gegners Eduard Schewardnadse. Es quält ihn die Frage, ob er aufgeben und wieder über die Grenze flüchten oder dem Feind standhalten und sein Mandat behaupten soll? Regisseur George Ovashvili bezieht sich zwar auf eine historische Person, hebt aber auf eine universell-existentielle Situation ab. So positioniert er sich nicht innerhalb des konkreten historischen Konflikts, sondern erzählt eine „Geschichte über irgendeinen Anführer in der Weltgeschichte“ und kleidet in Bilder, wie es sich anfühlen könnte, einst die Macht erobert zu haben und sie dann wieder abgeben zu müssen. Dafür verlagert die Inszenierung das Geschehen in ländliche Gegenden und übersetzt die innere Auseinandersetzung mit dem Machtverlust, der eigenen Ohnmacht und Einsamkeit, wie schon in „Die Maisinsel“ (fd 43 117), in einen Kampf gegen den Unbill einer rauen Natur. Durch sie bewegen sich der Präsident und seine Gefolgschaft, voller Furcht und Zuversicht zugleich. Denn in ihr verbergen sich nicht nur die Gegner, sondern vielleicht auch versprengte Anhänger, die sich wieder zu einer schlagkräftigen Gruppe formieren lassen. Mal wandert die kleine Gruppe diszipliniert zu Fuß durchs Gelände, mal legt sie Strecken im Lastwagen zurück. Sie marschieren ins schneebedeckte Gebirge und steigen wieder ins Tal hinab, später taucht der Trupp in begrünte, sonnige Landschaften ein. Aber es begegnen ihnen weder Feinde, die sich allerhöchstens durch bedrohliche Laute zu Gehör bringen, noch stöbern sie Versprengte auf. Zuflucht findet die Gruppe in den Gehöften ehemaliger Anhänger, in denen man sie freundlich bewirtet und wehmütige Lieder aus der glorreichen Zeit vorträgt. Mit gleichmäßig betontem Rhythmus inszeniert der Film die Wiederholung: Die Männer kommen an, werden gastlich aufgenommen, begeben sich zur Ruhe. Dann schreckt eine Nachricht sie auf; eine Bedrohung treibt sie wieder auf den Weg. Der Präsident wird zum aufgescheuchten Wanderer, der mehr und mehr von Tagträumen seines Machtverlustes heimgesucht wird und das Geschehen als immer unwirklicher erlebt. Trotzdem beharrt er auf seinem Auftrag. Dass er auf einem ausweglosen Posten steht, will er nicht wahrhaben; selbst wenn ihm und den Männern Müdigkeit und Resignation ins Gesicht geschrieben stehen oder der Premierminister immer wieder die ausweglose Lage vor Augen führt. Stoisch versucht der Präsident, die Würde des Amtes zu bewahren, obwohl alles längst aufs Gegenteil hindeutet. So frisst sich gleich nach dem ersten Aufbruch ihr Fluchtfahrzeug im Dreck fest. Der Präsident muss mit Hand anlegen und wird dabei vom aufspritzenden Matsch besudelt. „Vor dem Frühling“ schlägt eine Brücke zu „The President“ (fd 43 620) von Mohsen Makhmalbaf, in dem ein flüchtender Präsident mit den Auswirkungen seiner tyrannischen Herrschaft konfrontiert wird, aber auch zu „Tepenin Ardi – Beyond the Hill“ (fd 41 364) von Emin Alper. Doch gerade im Vergleich mit Alpers durchdachter Analyse einer männerbündischen Gesellschaft wirkt „Vor dem Frühling“ kraftlos und vage; der im Dickicht lauernde Feind wird als latentes Bedrohungspotential nicht wirklich spürbar. Ovashvili adelt stille Größe, er setzt auf die Schönheit der Landschaft, will sich aber nicht mit den postsozialistischen Herrschaftsformen auseinandersetzen. Die Inszenierung verspielt damit die Chance einer genaueren Erkundung der Vorgänge, die zum Tod von Swiad Gamsachurdia führten, sowie der generellen Frage, wie Macht oder ein autoritäres System kollabieren; sie vermag aber auch nicht den Spannungsbogen der inneren Tragödie des Protagonisten glaubhaft nachzeichnen.
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