Ein Gentleman in Moskau

Drama | Großbritannien 2024 | (acht Folgen) Minuten

Regie: Sam Miller

Der russische Aristokrat Graf Alexander Rostow entkommt 1922 der Hinrichtung durch die Bolschewiken, wird jedoch zu lebenslangem Hausarrest im Moskauer Nobelhotel Metropol verurteilt. Über mehr als dreißig Jahre zieht die sowjetische Geschichte an ihm vorbei, er schließt Freundschaften, verliebt sich in eine Filmdiva und wird Beschützer eines Mädchens. Die achtteilige Serie nach einer Romanvorlage ist etwas betulich umgesetzt und ignoriert einige wichtige historische Aspekte. Auch wenn das Russlandbild wenig komplex ausfällt, vermag die episodenreiche Serie zu unterhalten und durchaus auch zu berühren. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
A GENTLEMAN IN MOSCOW
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Entertainment One/Moonriver/Popcorn Storm/eOne Tele.
Regie
Sam Miller · Sarah O'Gorman
Buch
Ben Vanstone · Nessah Muthy
Kamera
Adam Gillham · Sergio Delgado
Musik
Federico Jusid
Schnitt
Sofie Alonzi · Tim Murrell · Adam Green · Dominic Strevens
Darsteller
Ewan McGregor (Alexander Rostow) · Mary Elizabeth Winstead (Anna Urbanowa) · Beau Gadsdon (Sofia) · Johnny Harris (Osip Glebnikow) · Leah Harvey (Marinna Samarowa)
Länge
(acht Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Historienfilm | Literaturverfilmung | Serie | Thriller
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Achtteilige Miniserie um einen russischen Aristokraten, der 1922 von den Bolschewisten zu lebenslangem Hausarrest in einem Hotel verurteilt wird und mehr als dreißig Jahre dort verbringt.

Diskussion

Ein revolutionäres Gedicht rettet ihn vor dem Erschießungskommando. Der Aristokrat Graf Alexander Rostow (Ewan McGregor), durch seinen Stand eigentlich auf der Abschussliste der Bolschewisten, die 1922 das ehemalige Zarenreich Russland zur Sowjetunion machen, kommt mit dem Leben davon. Er wird aber zu lebenslangem Hausarrest verurteilt, und zwar im legendären Moskauer Edelhotel Metropol: Sollte er jemals die noble Unterkunft verlassen, würde man ihn sofort erschießen, macht ihm der NKWD-Offizier Glebnikow klar. Auch seine sehr luxuriöse Edelsuite muss Rostow räumen und sich in einem Dienstbotenzimmer unterm Dach sehr spartanisch einrichten. Dort wird er über 30 Jahre lang leben, bis weit nach Stalins Tod 1953.

Basierend auf dem erfolgreichen Roman des Amerikaners Amor Towles, werden die großen Eckpunkte sowjetischer Geschichte in der Miniserie „Ein Gentleman in Moskau“ nur angerissen. Die Machtergreifung durch Stalin nach Lenins Tod, der zunehmende stalinistische Terror gegen Kulaken (Großbauern), die brutale Zwangskollektivierung oder die Hungersnöte der 1930er-Jahre vor allem in der Ukraine bekommt Graf Rostow in seinem goldenen Käfig nur indirekt mit. Das ist natürlich auch eine dramaturgische Entscheidung der Serienmacher. Sie beschwören in der Figur des humanistischen Aristokraten Rostow eine moralische Überlegenheit gegenüber prolligen Proletariern und Karrieristen.

Wie ein britischer Gentleman

Ewan McGregor verkörpert Rostow dann auch wie einen britischen Gentleman. Er ist eindeutig der Sympathieträger, verfällt angesichts seiner Gefangenschaft nicht in Schwermut, sucht nicht nach Fluchtmöglichkeiten oder trachtet nach Rache wie Edmond Dantès in „Der Graf von Monte Christo“. Er versucht stattdessen, das Beste aus seiner Lage zu machen und auch in den beschränkten Umständen gute Manieren zu wahren, täglich seinen Tee zu trinken und erlesen im Nobelrestaurant des Hotels zu speisen. Rostow trägt stolz seinen gezwirbelten Schnurrbart und diskutiert gerne mit seinem besten Freund Mischka über die neue Politik der Bolschewisten. Beide stammen aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten und lernten sich als Studenten kennen. Belastet wurde die Freundschaft allerdings dadurch, dass sich Mischka in Rostows Schwester Helena verliebte. In diesem Punkt blieb Rostow konservativ. Mischka war einfach nicht standesgemäß.

Erst als aristokratische Freunde gezwungen werden, als Musiker im Metropol aufzutreten, und Mischka zunehmend bei parteiinternen Kämpfen an Einfluss verliert, verschwinden alte Freunde langsam aus Rostows Leben. In einer der wenigen eher drastischen Szenen wird ein guter Freund, ein ehemaliger Prinz, zunächst verhaftet und kurz darauf direkt vor dem Metropol erschossen.

Neue Freundschaften

Ansonsten nimmt Graf Rostow die politischen Veränderungen der Sowjetunion nur selten wahr. In den ersten Jahren im Metropol versucht er, neue Freundschaften zu schließen. Mit dem Personal des Hotels verstand er sich schon immer gut. Herausgefordert wird er zunächst von der 9-jährigen Nina Kulikowa, der Tochter eines Revolutionärs, die das Metropol viel besser kennt als er. Nina möchte vom Grafen lernen, wie sich eine Prinzessin benimmt, wodurch sich allmählich eine Freundschaft zwischen den beiden ungleichen Hotelbewohnern entwickelt. Dann lässt sich Rostow auf ein amouröses Abenteuer mit der gefeierten Filmdiva Anna Urbanowa ein, die in dem Hotel eine luxuriöse Suite bewohnt – eine zweite Frau neben Nina, die im Leben des Grafen noch eine wichtige Rolle spielen wird.

Die Serienadaption des gleichnamigen Romans von Amor Towles setzt ganz auf Schauwerte. Die gediegenen Interieurs wurden komplett im Studio gedreht und lassen das Ganze wie einen aus der Zeit gefallenen, altmodischen Kostümfilm wirken. Was auch mit der Buchvorlage zu tun hat: Der amerikanische Romanautor beschreibt seitenlang Ausstattung, von den Möbeln über das Geschirr bis zu den erlesenen Gerichten. Zwar entschlacken die Serienmacher den Stoff um die im Buch reichlich sprudelnden Zitate aus Meisterwerken der europäischen und russischen Literatur, derer sich die Hauptfigur ausführlich bedient, bleiben dem Geist der Vorlage in der ersten Folge ansonsten aber treu und liefern schöne Bilder zu einer sehr bürgerlichen Hommage an eine Enklave der Kultiviertheit in Zeiten eines gewaltsamen gesellschaftlichen Umbruchs.

Das Metropol bleibt so ein Hort der guten alten Zeit inmitten des barbarischen Sowjetstaats. Das wird alles andere als klischeefrei erzählt. Für die inneren Widersprüche unter Stalin, für neue Sowjetkunst, für die Filme von Eisenstein oder Dsiga Wertow interessieren sich weder Graf Rostow noch die Serienschöpfer. Auch die anfängliche Faszination für so bedeutende Literaten wie Michail Bulgakow, Wladimir Majakowski oder Boris Pasternak wird nur einmal kurz angerissen, wenn Mischka, der selber ein Dichter ist, dem Grafen stolz erklärt, einen Schriftstellerkongress mit genau diesen Granden der Sowjetliteratur vorzubereiten.

Diversity auf Kosten der Authentizität

Wo man also einerseits dramaturgische Chancen verpasst, komplexer zu erzählen, setzt man andererseits auf Konventionen und modische Diversität. In der Originalfassung wirkt das britische, amerikanische und europäisch gefärbte Englisch durchaus befremdlich. Ein Gefühl für die Zeit und den sowjetischen Schauplatz kommt nie so recht auf. Anders als in der grandiosen Serie „The Americans“, wo es einige russische Muttersprachler gab und immer wieder Russisch gesprochen wurde, wird hier auf jeden Versuch, den konkreten kulturellen Hintergrund lebendig werden zu lassen, verzichtet; schon das internationale Ensemble wirkt reichlich künstlich. Dabei ließe sich auch einmal mehr über die Absurdität des sogenannten „Color-blind Castings“ in Historienserien und -filmen streiten: Rostows bester Freund Mischka Fjodorowitsch Mindisch wird vom nigerianisch-britischen Darsteller Fehinti Balogun gespielt; auch die Nebenrolle eines sowjetischen Kulturministers, der Anna Urbanowas Karriere fördert, wird von einem „black Actor“ verkörpert. Was der Forderung nach mehr Diversität auf den Besetzungslisten Rechnung trägt, aber natürlich völlig ahistorisch ist und ein verfälschendes Russlandbild aus westlicher Sicht vermittelt. Dabei wäre mehr Vielfalt durchaus auch mit einem Streben nach Authentizität vereinbar gewesen: Es gab im Vielvölkerstaat der Sowjetunion immer auch Georgier (wie Stalin), Usbeken, Kasachen, Tadschiken, Kirgisen et cetera, die das Moskauer Stadtbild und den russischen Teil des Landes prägten. Auf solche Figuren wird von den amerikanisch-britischen Serienschöpfern jedoch verzichtet.

Gewöhnungsbedürftig ist ebenfalls, dass sich die Serie zwischen 1938 und 1947 einen Zeitsprung erlaubt, der wie eine krasse Leerstelle wirkt: Der traumatische Zweite Weltkrieg mit seinen 20 Millionen sowjetischen Opfern spielt überhaupt keine Rolle, ebenso wenig wie die Verfolgung deutscher und europäischer, vor dem Faschismus geflohener Kommunisten, die im Hotel Metropol residierten, um dort verhaftet und in politischen Schauprozessen zum Tode verurteilt zu werden oder in den Gulag zu kommen.

Amüsante Episoden

Wenn man diese befremdlichen Erzähl- und Inszenierungsentscheidungen erst einmal geschluckt hat und sich damit abfindet, dass die Serie generell nur an der Oberfläche des historischen Sujets kratzt und eher zeit- und ortlos wirkt, statt konkret etwas über die junge Sowjetunion und die Zeit des stalinistischen Terrors aus einer ungewöhnlichen Perspektive zu erzählen, verfügt „Ein Gentleman in Moskau“ immerhin über genügend amüsante Episoden und emotionale Höhepunkte, um solide zu unterhalten. Dafür sorgen nicht zuletzt Ewan McGregor und Mary Elizabeth Winstead als unkonventionelles Paar Alexander und Anna, das sich über einen Zeitraum von über dreißig Jahren gegenseitig provoziert, verführt und zunehmend auch einfach nur liebt – wozu sicher auch die Chemie zwischen den Darstellern beiträgt, die auch im realen Leben seit über zehn Jahren ein Paar sind. Und wenn Rostow, der ewige Junggeselle und snobistische Aristokrat, schließlich die kleine Sofia, die Tochter der mittlerweile erwachsenen Nina, aufnimmt, nachdem Nina ihrem Mann 1938 in ein Lager nach Sibirien folgt, glänzt McGregor in dieser Vaterrolle: sein Rostow wird durch die neue Verantwortung viel verletzlicher und geerdeter.

Auch der Hotelalltag, mit seinen vielen Freundschaften, kleinen Heldentaten und Dramen trägt viel zur Kurzweil bei. So lässt sich „Ein Gentleman in Moskau“ mit etwas Wohlwollen schon gut ansehen. Die Serie bleibt jedoch hinter den Möglichkeiten des Stoffes weit zurück und wirkt gerade in Zeiten, in denen in Russland die revisionistische Sehnsucht nach der Sowjet-Ära sich in brutalem Imperialismus manifestiert, viel zu weichgewaschen, um ihrerseits als lohnende Auseinandersetzung mit russischer Geschichte durchzugehen.

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