The Tattooist of Auschwitz

Drama | Großbritannien 2024 | 309 (6 Folgen) Minuten

Regie: Tali Shalom-Ezer

Auf der Basis der Erinnerungen des Holocaust-Überlebenden Ludovit „Lale“ Sokolov und dem gleichnamigen Roman von Heather Morris erzählt die sechsteilige Serie von zwei jungen jüdischen Gefangenen, die sich 1942 im KZ Auschwitz-Birkenau ineinander verlieben, als er ihre Häftlingsnummer eintätowiert. Diese Liebe überstand alle Gräuel des Vernichtungslagers. Ein zutiefst verstörendes, aufwühlend-packendes Drama, das die Kritik an der Romanvorlage auf raffinierte Weise in die Inszenierung miteinfließen lässt. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE TATTOOIST OF AUSCHWITZ
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Synchronicity Films/Peacock/SKY Studios
Regie
Tali Shalom-Ezer
Buch
Gabbie Asher · Jacquelin Perske · Evan Placey
Kamera
David Katznelson
Musik
Hans Zimmer · Kara Talve
Schnitt
Nili Feller · Berny McGurk · Joe Sawyer
Darsteller
Harvey Keitel (Lale als alter Mann) · Jonah Hauer-King (Lale als junger Mann) · Anna Próchniak (Gita Furman) · Melanie Lynskey (Heather Morris) · Jonas Nay (Stefan Baretzki)
Länge
309 (6 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Historienfilm | Serie
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Miniserie um einen nach Auschwitz-Birkenau deportierten Slowaken, der sich als Tätowierer in eine andere Gefangene verliebt. Die Serie geht auf die Erlebnisse von Lali Sokolov zurück.

Diskussion

Auschwitz-Birkenau im Sommer 1942, der Beginn einer großen Liebe. Was wie eine zynische Geschmacklosigkeit klingt, bildet das Ausgangsszenario der sechsteiligen Serie „The Tattooist of Auschwitz“. Noch ehe die erste Filmaufnahme im Bild erscheint, verweisen die Credits auf den realen Ursprung dieser zunächst so unglaubhaft anmutenden Geschichte. Die Serie, ist Weiß auf Schwarz zu lesen, sei „inspiriert“ von „The Tattooist of Auschwitz“, dem 2018 erschienenen Roman der neuseeländischen Schriftstellerin Heather Morris, und basiere auf den Erinnerungen des Holocaust-Überlebenden Lali (oder Lale) Sokolov. Einige Namen, heißt es weiter, seien geändert und einzelne Elemente aus dramaturgischen Gründen fiktionalisiert worden.

Die Crux der Authentizität

Nach und nach verblassen die Schriftzeichen, bis schließlich nur noch „die Erinnerungen von Lali Sokolov“ übrigbleiben. Bemerkenswert an dieser Formulierung ist, dass sie zwar Ähnliches suggeriert, aber nicht den Anspruch erhebt, auf der wahren Geschichte des als Ludovit Eisenberg geborenen Sokolov zu „basieren“, wie es der Roman getan hat, der sich dafür teilweise scharfer Kritik ausgesetzt sah. Erinnerungen spiegeln nicht immer die Wahrheit wider.

Wanda Witek-Malicka vom Auschwitz Memorial Research Center verwies in einer ausführlichen Abhandlung zu Morris’ Roman auf derart viele und weitreichende Widersprüche, Fehler und Ungenauigkeiten hin, dass sie zum Schluss kam, die Handlung sei lediglich „inspiriert“ von realen Begebenheiten. Der Roman könne nicht empfohlen werden, wenn man die Geschichte des Konzentrationslagers Auschwitz verstehen wolle.

Morris erzählt darin die Geschichte des slowakischen Juden Ludovit „Lali“ Eisenberg, der sich nach dem Krieg in Sokolov umbenannte und Auschwitz auch deshalb überlebte, weil er kurz nach seiner Ankunft in dem Vernichtungslager von einem Mitgefangenen als Tätowierer empfohlen wird. Diese Aufgabe, Neuankömmlingen eine Häftlingsnummer einzutätowieren, verschafft ihm einige Erleichterungen und gewährt ihm einen gewissen Schutz durch den ebenso sadistischen wie unberechenbaren SS-Offizier Stefan Baretzki, der ihn zu seinem Günstling macht. Als Lali die hübsche Gita tätowiert, verlieben sich beide auf den ersten Blick ineinander. Fortan nutzt Lali seine Beziehung zu Baretzki, um mit Gita in Kontakt zu kommen, und es entwickelt sich eine romantische Liebe, die selbst dem unfassbaren Grauen des Holocaust widersteht. Beide überleben und heiraten.

Die Roman geriet in die Kritik

Soweit der Roman. Mehrfach wird darin geschildert, wie Baretzki willkürlich Gefangene erschießt, oftmals nur aus einer Laune heraus, darunter, buchstäblich im Vorbeigehen, mehrere Männer, die nachts auf einer Latrine sitzen. Witek-Malicka erscheint das zweifelhaft, da die SS-Angehörigen in ihren Tätigkeitsberichten über den Gebrauch ihrer Waffe Rechenschaft ablegen mussten. Die halböffentliche Beziehung zwischen einem ranghohen SS-Mann und einer jüdischen Mitgefangenen hält Witek-Malicka angesichts der drakonischen Strafen, die auf „Rassenschande“ standen, schlichtweg für unmöglich. Dass Lali sich innerhalb des Camps weitgehend ungehindert bewegen konnte, um Gita aufzusuchen, bezeichnet Witek-Malicka ebenfalls als reine Fiktion, da die einzelnen Sektoren durch Stacheldraht strikt voneinander getrennt gewesen seien. Die markanteste Ungereimtheit, auf die Witek-Malicka hinweist, betrifft die Häftlingsnummer, die Lali Gita tätowiert haben soll. In der Ursprungsfassung des Romans lautet Gitas Nummer 34902. Gita Furman selbst gab gegenüber dem Shoah Visual Archive jedoch 4562 an. Diese Nummer wurde am 3. April 1942 vergeben, fast drei Wochen bevor Lale Sokolov am 23. April 1942 in Auschwitz registriert wurde.

In späteren Auflagen des Romans wurde Gitas Nummer zwar angepasst, doch die chronologischen Widersprüche blieben unerwähnt. Auch in der von der israelischen Regisseurin Tali Shalom-Ezer inszenierten Serie lautet die Häftlingsnummer Gitas nun 4562. An der romantischen Grundprämisse des Romans, wonach sich Lali und Gita kennen- und liebenlernen, während er ihre Nummer tätowiert, rüttelt die Verfilmung nicht. Überhaupt finden sich etliche der von Witek-Malicka und anderen angezweifelten Romanschilderungen in der Serie wider. Nachdem Lali kurz nach seiner Ankunft in Auschwitz beim Bau neuer Baracken einen Lastwagen erspäht hat, auf dessen Ladefläche menschliche Leichen wie Tierkadaver aufeinandergeschichtet sind, ist es ausgerechnet eine Latrinenszene, die ihm die Entmenschlichung im Lager exemplarisch vor Augen führt.

Die Unzuverlässigkeit des Erinnerns

Zugleich aber greift die Serie mit einem raffinierten formalen Dreh auch die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Romans und Lalis Erinnerungen auf, indem sie strenggenommen nicht den Roman verfilmt, sondern dessen Entstehung. Während die KZ-Szenen in düster-ausgeblichenen Vergangenheitsfarben inszeniert werden, leuchten die Aufnahmen einer in Melbourne angesiedelten Rahmengeschichte wahlweise in sonnig-kräftigen Strandpromenade-Tönen oder in zartem Pastell. Der von Harvey Keitel brillant verkörperte hochbetagte Lali, charmant, aber zerstreut (als wäre ein Teil von ihm nie aus dem Lager befreit worden), teilt in dieser Rahmenhandlung seine Erinnerungen mit der eher eindimensional angelegten, mitfühlend-seufzenden Krankenschwester Heather Morris, die sich in Kursen zur Schriftstellerin weiterzubilden versucht. In stundenlangen Sitzungen lauscht sie im lichtdurchfluteten Wohnzimmer oder auf einer Parkbank mit Blick aufs Meer seiner Erzählung.

„Es ist eine Liebesgeschichte“, stellt Lali gleich zu Beginn klar. Dann aber holen ihn die Erinnerungen an die Selektionen ein, an Gaskammern, qualmende Schornsteine, die Erschießungen, Demütigungen und Menschenversuche, an Hunger, Krankheiten, die Enge in den Baracken, das tägliche Sterben und an den SS-Offizier Stefan Baretzki.

Der psychopathische Baretzki, der mit grausam kindlicher Freude Gefangene quält und wahllos erschießt, behandelt Lali wie seinen Gehilfen. Er schikaniert und verhöhnt ihn, beschützt ihn aber auch mehrfach. Erst Baretzki ermöglicht die Treffen zwischen Lali und Gita und organisiert mit ihnen einen Schwarzhandel, bei dem Schmuck und Wertgegenstände aus dem KZ hinaus und Schnaps, Zigaretten oder Schokolade hinein geschmuggelt werden.

Das Gespenst des Nazi-Schurken

Baretzki ist es auch, in dessen Gestalt die Vergangenheit Lali innerhalb der Rahmenhandlung immer wieder heimsucht. Wie ein Gespenst, das aber nur Lali sehen und hören kann, taucht er in seiner SS-Uniform plötzlich neben dem Sofa oder am Esstisch auf und quittiert Lalis Schilderungen mit süffisanten Bemerkungen. Mehrfach zieht er seine Aussagen in Zweifel. Einige Male korrigiert sich Lali daraufhin. Das, was er dann erzählt, ist stets noch schlimmer und mit Erinnerungen verbunden, die sein Gewissen belasten. So behauptet er zuerst, dass er für Gita ein Antibiotikum organisiert habe, indem er eine Krankenschwester eindringlich darum bat. Tatsächlich aber, so die zweite Version, musste er dafür Patientinnen, an denen medizinische Versuche durchgeführt worden waren, in einen eingezäunten Hof führen, wo sie über Nacht nackt und schutzlos zurückgelassen wurden und erfroren.

Auf diese Weise verdeutlicht „The Tattooist of Auschwitz“, dass selbst die Erinnerungen von Zeitzeugen und Holocaust-Überlebenden keine absoluten Wahrheiten liefern. Gleichzeitig entfernt sich die Serie als filmische Inszenierung zwangsläufig noch weiter von der historischen Wirklichkeit. Letztlich muss jede Fiktionalisierung an der Unvermittelbarkeit der Shoa scheitern. Ob deshalb überhaupt keine nichtdokumentarischen Filme und Serien über den Holocaust gedreht werden oder keine Romane darüber geschrieben werden sollten, ist seit jeher umstritten. Angesichts der beiden unverdrossen attraktiven Hauptdarsteller, Jonah Hauer-King in der Rolle des jungen Lale und Anna Próchniak als Gita, angesichts der mal düster-pathetischen, dann wieder Hollywood-kitschromantischen Streicherklänge von Hans Zimmer und Kara Talve, angesichts von Sexszenen in den nachgebauten Auschwitzbaracken und eines von Jonas Nay grandios verkörperten SS-Offiziers als Bösewicht mit verstörendem Charisma drängt sich diese Frage unvermindert auf.

Ungereimtheiten und Widersprüche

Im Schatten der mit reichlich Suspense und noch mehr Emotion entfalteten Romanze verblassen die anderen KZ-Insassen zu namenlosen Statisten, deren Sterben von Folge zu Folge weniger berührt. Das Unerträgliche wird im Wechsel von Rahmen- und Binnenhandlung mit wohlportionierten Atempausen erträglich gemacht. Einer möglichen Abstumpfung aber wirkt die Inszenierung mit einem ebenso einfachen wie eindringlichen Stilmittel entgegen. Jedes Mal, wenn jemand stirbt, ertönt ein Gong, und die Handlung wird unterbrochen. Eine Großaufnahme zeigt dann die Toten, die reg- und ausdruckslos in die Kamera blicken. Auch das sind Gesichter von Schauspielerinnen und Schauspielern, und doch gemahnen diese Augenblicke nachhaltig an die realen Opfer des Holocaust.

Ob die Verfilmung von „The Tattoist of Auschwitz“ also anders als die Romanvorlage zu empfehlen ist, um die Geschichte des Konzentrationslagers Auschwitz zu verstehen? Zwar thematisiert die Serie Lalis Ringen mit seinen Schuldgefühlen, und es werden auch die schrecklichen Untaten, zu denen er gezwungen wurde, nicht ausgespart. Auch wird die Zuverlässigkeit seiner Erinnerungen in der Rahmenhandlung in Frage gestellt. Dennoch bleiben auch hier zahlreiche Ungereimtheiten, Unklarheiten und Widersprüche bestehen.

Als Lali in der letzten Folge der Serie angesichts des Kriegsverbrecherprozesses gegen Baretzki eine Stellungnahme verfassen soll, taucht der SS-Mann einmal mehr als Gespenst in Uniform auf und flüstert traurig: „Du warst wie ein Bruder für mich“. Lali schreibt trotzdem, dass Baretzki bei den Selektionen anwesend war, und dass er mitansehen musste, wie Baretzki unzählige Menschen ermordete, manchmal nur, weil er schlechte Laune hatte. In einer offiziellen Erklärung gegenüber dem deutschen Konsulat gab Lali Sokolov nach dem Krieg tatsächlich an, dass Baretzki ein „Killer“ gewesen sei und täglich 20 bis 25 Menschen ermordet habe. Er fügte jedoch hinzu: „Für mich war er wie ein Bruder. Ich vertraute ihm. Er vertraute mir.“ Es sind nahezu die gleichen Worte, die in der Serie Baretzki in den Mund gelegt werden.

Zwischen Grauen und Unterhaltung

„The Tattooist of Auschwitz“ zwingt das Publikum fast sechs Stunden lang, unermessliches Leid und fürchterlichste Grausamkeiten mitzuerleben. Es ist eine Serie voll erschütternder, verstörender und oftmals nur schwer auszuhaltender Momente. Es ist aber auch ein professionell und routiniert inszeniertes Drama mit zielsicher kalkulierten Spannungs- und Wendepunkten, die darauf ausgelegt sind, zu unterhalten. Eine wiederkehrende Botschaft der Serie lautet: Hoffnung und Liebe findet man selbst an den dunkelsten Orten.

Der Faktencheck von Wanda Witek-Malicka zu Morris’ Roman enthält den Auszug einer Transportliste nach Auschwitz. In dem vergilbten historischen Dokument sind in enger Schreibmaschinenschrift die Häftlinge 32396 bis 32453 mit den laufenden Nummern 455 bis 512 untereinander aufgeführt. In sechs weiteren Spalten werden Haftart, Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort und Beruf gelistet. Die Haftart „Sch. Jude“ („Schutzhäftling Jude“) ist lediglich in der ersten Zeile notiert, bei Josef Veisberger, einem am 27. April 1926 in Krompachy geborenen „Arbeiter“. Zum Zeitpunkt des Transports war er erst fünfzehn Jahre alt. In den folgenden Zeilen wird die Haftart lediglich durch Anführungsstriche bestätigt. In der Liste sind Kaufmänner aufgeführt, Fleischer, Tischler, Gärtner, Studenten und Schüler. Mit der Nummer 32402, fünf Zeilen über Ludovit Eisenberg, steht zum Beispiel Alfred Freimann aus Rachov, geboren am 15. März 1928, der zum Zeitpunkt des Transports gerade vierzehn Jahre alt war. Zwischen den Spalten, mit Kugelschreiber oder Tinte gekritzelt, meist zwischen Nach- und Vornamen gequetscht, gelegentlich aber auch dahinter, stehen weitere Zahlen: auf ein Kreuz, das eher einem Pluszeichen gleicht, folgen die Todesdaten. Die Seite ist voll davon. „+ 6.7.42“, steht bei Alfred Freimann zu lesen, „+ 18.6.“ bei Josef Veisberger. Sie waren sechzehn und vierzehn, als sie starben. Neben der Zeile, die Sokolovs Geburtsnamen enthält, gibt es nur noch eine weitere, auf der kein Todesdatum handschriftlich vermerkt ist. Womöglich verrät ein Blick auf dieses gelochte, sorgfältig abgeheftete Dokument am Ende mehr über Auschwitz als die sechs Folgen der Serie.

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