Alles, was ich mag

Tragikomödie | Slowakei 1992 | 92 Minuten

Regie: Martin Sulík

In der slowakischen Hauptstadt Bratislava zieht ein Tagträumer und Möchtegernschriftsteller Ende 30 inmitten der allgemeinen Euphorie nach dem Zusammenbruch des Sozialismus verschiedene Interessen auf sich. Seine Ex-Frau will nicht von ihm lassen, die Geliebte versucht, ihn nach England zu lotsen, die Eltern auf dem Lande sind voller Vorwurf und Ratlosigkeit. Er entzieht sich allen Avancen und widmet sich den unauffälligen Schönheiten des Alltags. Eine komödiantisch akzentuierte, sympathische Parabel um persönliche und politische Umbrüche im Postsozialismus, die in ihren besten Momenten an die Traditionen der tschechoslowakischen "neuen Welle" von Forman, Chytilová oder Menzel anknüpft. (O.m.d.U.)
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Filmdaten

Originaltitel
VSETKO CO MAM RAD
Produktionsland
Slowakei
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Charlie's/Slowakisches Fernsehen
Regie
Martin Sulík
Buch
Ondrej Sulaj · Martin Sulík
Kamera
Martin Strba
Musik
Vladimír Godár
Schnitt
Dusan Milko
Darsteller
Juraj Nvota (Tomás) · Gina Bellmann (Ann) · Zdena Studénková (Magda) · Jirí Menzel (Václav) · Jakub Ursiny
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Genre
Tragikomödie

Diskussion
Noch vor seinem Überraschungserfolg „Der Garten“ (fd 32 248) im Jahr 1995 hatte der slowakische Filmemacher Martin Sulik mit „Alles, was ich mag“ bereits eine thematisch ähnlich gelagerte Komödie um einen sympathischen Außenseiter gedreht. Indem diese frühere Arbeit jetzt gewissermaßen nachgereicht wird, ergibt sich ein reizvoller, retrospektiver Blick in das Schaffen des zweifellos sehr begabten Regisseurs; zudem entblättern sich noch einmal die politischen Umbrüche unmittelbar nach der „samtenen Revolution“, die, wenn auch in subtiler Weise, so doch unübersehbar in den älteren Film eingeflossen sind.

Die slowakische Hauptstadt Bratislava/ Preßburg Anfang der 90er Jahre: Tomás ist Ende 30 und möchte eigentlich sein Leben von Grund auf ändern; er weiß allerdings nicht wie und in welche Richtung. Denn ringsum scheint alles im Aufbruch begriffen, von der Euphorie der politischen und wirtschaftlichen Freiheit beseelt – für einen Träumer wie ihn gibt es jedoch keinen rechten Platz. So lebt er mehr oder weniger in den Alltag hinein, tuckert bisweilen mit seinem alten Renault übers Land, steht ansonsten meist im Weg. Doch obwohl von ihm selbst kaum nennenswerte Aktivitäten ausgehen, sieht er sich doch als Zielscheibe vielfältiger Interessen. Da ist seine Ex-Frau, die ihn nicht kampflos preisgeben will, da sind seine Eltern auf dem Dorf, überfordert vom Zeitgeschehen, voller enttäuschter Hoffnungen und unterdrückter Vorwürfe; da ist vor allem Ann, die ebenso schöne wie intelligente Engländerin, aus einem nicht recht nachvollziehbaren Grund dem slowakischen Schwerenöter verfallen. Sie versucht ihn lange und vergeblich davon zu überzeugen, mit ihr nach England zu gehen. Wie alle anderen Avancen auch, wehrt er die ihren ab, kehrt zurück zum Anfang seines Weges: zur simplen Schönheit eines Sonnenaufgangs.

Die Figur des „Helden“ Tomás steht als die eines Mannes ohne Eigenschaften im Zentrum des Films, seine in steter Veränderung begriffene Umwelt erzählt mehr über ihn als er selbst. Tomás unternimmt kaum etwas, „schweigt“ indes eine Menge. Daß er etwa irgendwie mit der Fabrikation von Texten beschäftigt ist oder war, erfährt man nur indirekt, zitiert wird aus diesen Entwürfen nicht. Sein Vater und sein bei der Ex-Frau aufwachsender Sohn flankieren ihn als vorgehende bzw. nachfolgende Generation, ohne daß mit dieser Abfolge irgendeine vordergründige Wertung verknüpft wäre. Beide sind Verlierer wie er (d. h., sie sind wenig erpicht darauf, gesellschaftliche Rollenspiele zufriedenstellend auszufüllen), bewahren sich aber gerade durch ihre unpathetische Verweigerungshaltung ein hohes Maß an Integrität. Es ist diese Konstante des Trotzig-Unbeirrbaren, wenn man so will eine Form der Schwejk’schen Subversion, die sie die ständigen gesellschaftlichen Wechselfälle relativ unbeschadet überstehen läßt. Die schöne Ann hingegen steht als Personifizierung für die angenehmen Verlockungen des westlichen Prinzips, dem Tomás zeitweilig verfällt. Es ist konsequent, daß er sie abfahren läßt. In formaler Hinsicht greift Martin Sulik jenen Methoden vor, die er in „Der Garten“ noch differenzierter ausformulieren wird: die offene Struktur ohne eigentlichen Plot, die dem Schlendrian der „Helden“ entspricht, oder die von Zwischentiteln eingeleiteten Episoden und poetischen Einsprengsel. Dies erinnert andererseits an die Filmsprache und den hintergründigen Humor von Vera Chytilová oder Milos Forman und knüpft damit an die besten Traditionen des tschechoslowakischen Kinos an – an die des „Prager Frühlings“. Kein Zufall deshalb, daß kein geringerer als Jirí Menzel, selbst wichtiger Exponent dieser im August 1968 abgebrochenen „neuen Welle“, dem jungen Kollegen mit einer Nebenrolle seine Referenz erweist.
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