The Happiest Girl in the World

- | Niederlande/Rumänien 2009 | 100 Minuten

Regie: Radu Jude

Eine rumänische Jugendliche aus der Provinz hat ein Auto gewonnen und will es zusammen mit ihren Eltern in Bukarest in Empfang nehmen. Zuvor muss aber noch ein Werbespot mit der Gewinnerin gedreht werden. Im Zuge der Filmarbeiten offenbaren sich innerfamiliäre Konflikte. Eine Mischung aus fiktionaler Handlung und dokumentarischen Eindrücken, akzentuiert von einer überzeugenden Laiendarstellerin in der Hauptrolle. Der Film wirft einen schwarzhumorigen Blick nicht nur auf familiäre Machtstrukturen, sondern auch auf die Absurditäten einer präkapitalistischen Gesellschaft. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
CEA MAI FERICITA FATA DIN LUME
Produktionsland
Niederlande/Rumänien
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
HiFilm Prod./Circe Films
Regie
Radu Jude
Buch
Radu Jude · Augustina Stanciu
Kamera
Marius Panduru
Schnitt
Catalin Cristutiu
Darsteller
Andreea Bosneag (Delia Fratila) · Vasile Muraru (Herr Fratila) · Violeta Popa · Serban Pavlu · Andi Vasluianu
Länge
100 Minuten
Kinostart
02.09.2010
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.

Diskussion
Glücklich sieht das Mädchen nicht aus. Es liegt auf der Rückbank eines klapprigen Autos, draußen brütet der Sommer, vorne schwitzen die Eltern. Dazu singen die Pet Shop Boys ihre bittersüße Ballade „Rent“ über die Liebe und ihren Preis. Der Song aus dem Autoradio bleibt die einzige Filmmusik in Radu Judes „The Happiest Girl in the World“. Was die Liebe kostet, die Elternliebe im Besonderen und auch die Liebe der Kinder, wird dagegen noch ausführlich verhandelt werden. Seit knapp zehn Jahren kursieren die Filme junger rumänischer Filmemacher auf den Festivals von Cluj bis Cannes und sammeln wichtige Preise. Cristian Mungiu („4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“, fd 38 441), Cristi Puiu („Der Tod des Herrn Lazarescu“) und Radu Muntean („The Paper Will Be Blue“, „Boogie“) sind nur einige Protagonisten dieser „Neuen Welle“ der gegenwärtig wohl spannendsten Kinematografie in Europa. Für Puiu und Muntean hat der 1977 geborene Radu Jude als Regieassistent gearbeitet. Seine Kurzfilme wurden vielfach mit Preisen ausgezeichnet, insbesondere „The Tube With a Hat“, der die tragikomische Odyssee eines Vaters mit seinem Sohn erzählt. „The Happiest Girl in the World“ ist Judes erster Langfilm, und wie in seinen Kurzfilmen spielen auch hier innerfamiliäre Kommunikationsstrukturen eine wesentliche Rolle. In den Auseinandersetzungen, die Vater, Mutter und Kind austragen, ist die Familiengeschichte, sind die Hierarchien abzulesen: Delia reist mit ihren Eltern aus der Provinz in die Hauptstadt Bukarest. Mit Coupons auf Saftflaschen hat die Postpubertierende ein Auto gewonnen, das die Kleinfamilie nun entgegennehmen will. Zuvor muss aber noch ein Werbespot für den Safthersteller gedreht werden, der über die „ganz gewöhnlichen Menschen“ als Werbeträger ganz gewöhnliche Menschen als Kunden gewinnen will. Als Drehort hat sich Jude den geschichtsträchtigen Universitätsplatz ausgesucht: Dort wurden 1990 die Proteste gegen den neuen Staatspräsidenten Ion Iliescu gewaltsam niedergeschlagen. In „The Happiest Girl in the World“ wird der Platz nun zum Schauplatz der neuen, kapitalistischen Realität. Der Regisseur hat seinen Dreh nicht abgeschirmt, und so läuft tatsächlich die sommerliche Realität im Hintergrund vorbei oder auch mal durch das Bild. Dann folgt die Kamera kurz dem alten Mann mit Gehstock, der eben noch die vor der Wasserfontäne wartende Delia verdeckt hat. Warten ist Delias Hauptbeschäftigung an diesem Tag: Warten auf ihren Einsatz in dem mit einer roten Schleife umwickelten Auto. Da sitzt sie dann hinter dem Steuer und rasselt ein ums andere Mal ihren Text herunter. Sie ist froh, wenn sie zwischendurch mal ohne Eltern warten kann und einfach nur ihre Ruhe hat, aber das kommt selten vor. Denn ihre Eltern haben andere Pläne mit dem Auto als sie – und brauchen dafür ihr Einverständnis. „The Happiest Girl in the World“ ist auch ein Film im Film, mit der repetitiv-komischen Qualität von „Und täglich grüßt das Murmeltier“ (fd 30 169). Im Filmgeschehen spiegeln sich die familiären Unterdrückungsmechanismen. Immer wieder passt etwas an Delia nicht: Ihre schüchterne Art, ihr Damenbart, ihre von Haarspray zementierte Frisur, ihr monströses Jackett mit den großen blauen Blumen. Mit reduzierter, gleichwohl differenzierter Mimik und Gestik spielt sich Andreea Bosneag, eine Schülerin in ihrer ersten Filmrolle, durch die Wiederholungen: Sie ist der verstockte, stoische, eigensinnige Teenager auf der Suche nach der eigenen Identität. In sämtliche Beziehungen – die von Auftraggeber und Regisseur respektive Werbeagentur, die der Filmarbeiter und die der Familie sowieso – schleicht sich der schwarze Humor, der vielen der neuen rumänischen Filme gemein ist und der hier auch die hässliche Fratze des postrevolutionären Präkapitalismus entlarvt. Jude arbeitet selbst als Werbefilmregisseur. Er berichtet im Presseheft, dass die Geschichte, die er erzählt, auf ein Erlebnis zurückgeht, das er bei einem seiner ersten professionellen Aufträge hatte: Er sollte einen weiblichen Teenager aus armen Verhältnissen filmen. Das Mädchen wurde angehalten, glücklich in die Kamera zu blicken, weil es ein Auto gewonnen hatte. Glücklich war es allerdings überhaupt nicht – denn seine Eltern wollten das Auto verkaufen.
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