Wader Wecker Vater Land

Dokumentarfilm | Deutschland 2011 | 95 Minuten

Regie: Matthias Leitner

Im Sommer 2010 tourten Konstantin Wecker und Hannes Wader gemeinsam durch Deutschland, wobei ihr Programm "Kein Ende in Sicht" mit einem musikalischen "Dialog" der beiden gegensätzlichen Künstler überraschte. Das unterhaltsame Dokumentarfilmdebüt nutzt die Konzertreise als Basis für die Rekapitulation zweier exemplarischer Biografien, in denen sich Widerspruch und Eigensinn zum zeitgeschichtlichen Spiegel der Nach-68er-Zeit verdichten. Aus der spannungsreichen Annäherung der Musiker resultiert eine nuancierte Kombination aus Vitalität und Nachdenklichkeit, Politik und Poesie, in der sich so manche Wandlung der letzten Jahrzehnte dokumentiert. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Schattengewächs Filmprod.
Regie
Matthias Leitner · Rudi Gaul
Buch
Rudi Gaul
Kamera
Michael Hammon · Yannick Bonica
Schnitt
Carmen Kirchweger
Länge
95 Minuten
Kinostart
15.12.2011
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Man muss in der kollektiven Erinnerung kramen, um mit Hannes Wader mehr als die Assoziation „Liedermacher“ zu verbinden. In der wilden „68er“-Zeit, war der hochgeschossene Barde mit der sonoren Stimme so etwas wie die Inkarnation des politisch korrekten Bewegungsmusikers: aufrecht (und ziemlich steif) trotzte er auf Kleinkunstbühnen der Republik den politischen Verhältnissen, die er mit bissigen Balladen scharfzüngig attackierte. Anscheinend mit Erfolg, denn die Staatsorgane schlugen zurück und drängten ihn so lange nach links außen, bis er 1977 sein Heil tatsächlich in der DKP suchte, obwohl sich das mit der bei Georges Brassens und Bob Dylan entlehnten Folk-Tradition auf Dauer nicht vertrug. Konstantin Wecker hingegen ist auch nach seinem Absturz in die Drogen nie ganz aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden, auch wenn es nach seiner Verhaftung im Herbst 1995 merklich stiller um den wuchtigen Tausendsassa wurde. Gelegentliche Engagements als Schauspieler oder der Part des Musical-Komponisten („Ludwig“) konnte einen wie ihn, der den Live-Kontakt mit dem Publikum mehr als andere braucht, nicht lange befriedigen; so zog es ihn bald wieder auf die Bühne – im Sommer 2000 zusammen mit Hannes Wader („Was für eine Nacht“). Zehn Jahre später wagen es Wecker und Wader erneut, durch die Republik zu tingeln, wobei der Titel ihrer Tour Schlimmes befürchten lässt: „Kein Ende in Sicht“, was die einmillionste „Willy“-Emphase und die bis zum Erbrechen banalisierte Erkenntnis umfasst, „dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, wie es war“. Doch mit den beiden in Ehren ergrauten Herren ist auch der Filmemacher Rudi Gaul (Jahrgang 1982) unterwegs, der am eigenen Leib erfahren hat, wie diese seltsame, scheinbar aus der Zeit gefallene Kombination „aus nordischem Eigenbrötler und extrovertiertem Bayern“ auf der Bühne überraschend harmoniert und die Generationen, hier: Gaul und seinen Vater miteinander ins Gespräch bringt. Sein höchst unterhaltsames Dokumentarfilmdebüt verspricht eine „Konzertreise durch zwei politische Lebensgeschichten“, die sich bisweilen sogar zur zeitgeschichtlichen Reflexion weitet, wenn medial recht unverbrauchte (Film-)Dokumente die Höhen und Tiefen im Leben der Protagonisten in einen Spiegel der letzten Dekaden verwandeln. Unabhängig davon, ob man die Musik von Wader oder Wecker mag oder nicht, kommt man nicht umhin, ihren Biografien Respekt zu zollen, die exemplarisch für die Auf-, Um- und auch Abbrüche der Zeit stehen. Wie bleibt einer sich treu, dem die sozialistischen Fundamente seiner Weltsicht zusammenbrechen? Der mühsam nach neuen Wegen sucht, den ursprünglichen Impuls wieder aufzunehmen, mit eingängigen Liedern auf die Widersprüche der Welt zu reagieren, auch wenn der Glaube, damit etwas ändern zu können, brüchig geworden ist? Ja, sekundiert Wecker schlitzohrig, ohne unsere Lieder hätte sich die Welt verändert – nämlich zum Negativen. Für den barocken Buffo gilt in gewisser Weise immer noch: „Genug ist nicht genug“, auch wenn er inzwischen drei Kinder hat und sich auf dem Meditationshocker im Schweigen übt. Der Überbau war allerdings noch nie Weckers Problem, eher Maßlosigkeit und Ekstase, die sich zumindest musikalisch spürbar verwandelt haben, in feinere, nuancenreichere Konnotationen. Es zählt zu den denkwürdigsten Eindrücken der Konzerttour (und des Films), wenn die beiden so unterschiedlich temperierten Musiker ihre Lieder wechselseitig in einer Art Duett vom einem Naturell ins andere transponieren und den Änderungen nachlauschen, die dabei entstehen. Mehr als Weckers Lippenbekenntnissen glaubt man dem Wandel seiner Musik, die stiller und nachdenklicher geworden ist und selbst dem „Willy“ neue Nuancen abgewinnt. Dreh- und Angelpunkt des kurzweiligen Films sind die Beobachtungen der unaufdringlich-agilen Kamera hinter der Bühne, bei Proben oder nach einem Konzert, in denen sich Widerspruch und Eigensinn der wesensfremden Protagonisten verdichten. Das hallt bis in die Auseinandersetzung der Bühnentechniker nach, die für Wader einen klar definierten Raum reklamieren, während Weckers Assistenten ganz im Duktus ihres Chefs auf Dynamik, Dramaturgie und Durcheinander setzen. Oder den Minuten vor dem jeweiligen Auftritt, in denen Wecker mit seinen Musikern scherzt, während Wader wie ein einsamer Wolf nervös hin- und herläuft. Kurz vor dem Auftritt versammelt Wecker die Seinen zum einschwörenden Ritual um sich, dem sich im letzten Augenblick auch Wader anschließt, ein wenig linkisch, aber nicht undankbar. Man will es kaum glauben, aber offensichtlich profitieren beide voneinander, die manische Rampensau vom aufrechten Solisten, den er stets bewundert hat, der spröde Barde vom genialen Entertainer, der ihn mit zu neuen Ufern nimmt. Diese vielschichtige Kombination aus Vitalität und Nachdenklichkeit, Rückblick und Gegenwart, Politik und Poesie berührt nicht nur mit Blick auf die Protagonisten und ihre Musik, sondern wirft auch ein warmes Licht auf die Wandlungen des Landes, das längst auch ein „Mutter Land“ geworden ist, seitdem die Väter nicht mehr ausschließlich für Gehorsam, Disziplin und das Über-Ich stehen.
Kommentar verfassen

Kommentieren