Suzie Washington

Drama | Österreich 1998 | 86 Minuten

Regie: Florian Flicker

Eine aus dem Osten Europas stammende Asylantin flieht aus dem Transitraum des Wiener Flughafens und schlägt sich unter falschem Namen quer durch Österreich, das sich als Bannkreis erweist. Ihre Flucht endet vorerst in einer Berghütte an der Grenze zu Deutschland, wo sich eine leise, zum Scheitern verurteilte Liebesbeziehung anbahnt. Ein in der Hauptrolle hervorragend gespielter Film, der sich weniger als Beitrag zur Flüchtlingsproblematik erweist, sondern sich als universelle Parabel auf Fremdsein und Kommunikation entpuppt. Dank des präzisen Drehbuchs verbindet er harmonisch die Roadmovie-Elemente der ersten Hälfte mit dem eher kammerspielartigen Finale. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SUZIE WASHINGTON
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Allegro-Film
Regie
Florian Flicker
Buch
Florian Flicker
Kamera
Robert Neumüller
Musik
Andi Haller
Schnitt
Monika Willi
Darsteller
Birgit Doll (Nana) · August Zirner (Herbert Korn, Tourist) · Karl Ferdinand Kratzl (Bankräuber) · Wolfram Berger (Hüttenwirt) · Nina Proll (Stewardeß)
Länge
86 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Road Movie
Externe Links
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Diskussion
„I’m Suzie Washington, but I’m from New York.“ So stellt sich die gutgelaunte amerikanische Touristin ihrer Busnachbarin vor. Und diese ahnt natürlich nicht, daß es sich bei „Suzie Washington“ um eine soeben aus dem Transitraum des Wiener Flughafens geflohene Asylantin handelt. Eine Geiselnahme bot ihr die Chance zum Entkommen; instinktiv hatte sie sich unter die ankommenden Fluggäste aus den USA gemischt. Nana Iaschwili, so der eigentliche Name der Flüchtigen, die in ihrer osteuropäischen Heimat als Lehrerin arbeitete, greift den Namen ihrer ahnungslosen Busnachbarin auf und nennt sich von nun an Suzie Washington. Die Begegnung mit der Leihgeberin dieses Namens stellt aber nur eine kurze Episode ihrer ruhelosen Fortbewegung dar; Deutschland soll die nächste Etappe sein, von dort aus wird sich schon eine Gelegenheit bieten, nach Nordamerika zu gelangen, wo ein Onkel auf sie wartet. Aber die Alpenrepublik Österreich erweist sich als Bannkreis für die Frau: Nach einem Zwischenaufenthalt im Ferienhotel und diversen Begegnungen mit Einheimischen strandet sie an der deutsch-österreichischen Grenze. Zu einem Berghüttenwirt entwickelt sich eine leise Liebesbeziehung, die jedoch von vornherein zum Scheitern verurteilt scheint. Nach sich zuspitzenden Ereignissen um einen schießwütigen, ebenfalls zum Grenzübertritt entschlossenen Bankräuber bietet sich für Suzie alias Nana doch noch die Chance, ihre Reise Richtung Westen fortzusetzen.

Nach dem liebevoll-„trashigen“, aber etwas unbeholfen wirkenden Science-Fiction-Film „Halbe Welt“ (fd 31 386) und der Musik-Dokumentation „Attwengerfilm“ (fd 32 072) hat Florian Flicker nun seinen ersten, künstlerisch ausgereiften Spielfilm vorgelegt. Es handelt sich dabei nicht, wie der Plot auf den ersten Blick vielleicht nahelegen würde, um eine polemische Abhandlung zur Flüchtlingsproblematik. Vielmehr fungiert die Perspektive der flüchtigen Frau als Medium für einen schonungslosen Blick auf die Heimat des Filmemachers selbst. Hervorzuheben ist hierbei die präzise Drehbucharbeit, der es gelingt, die anfangs episodische Struktur harmonisch in eine Thriller-Dramaturgie überzuleiten. Was als Road Movie mit zahlreich wechselnden Handlungsorten und Personen beginnt, mündet in der Berghütte in ein Kammerspiel zwischen drei Protagonisten. Diente der erste Teil zur Charakterisierung von Nana sowie zur bitteren Zeichnung des österreichischen Milieus, so überwiegen zuletzt dramatische Elemente, die nach einer schlüssigen Auflösung des Konflikts zwischen unterschiedlichen Interessenslagen drängen. Birgit Doll als Titelheldin agiert mit hoher Souveränität, ihr Charisma wirkt sich wohltuend und strukturbildend auf den Film aus. Da sie erst gar nicht den Versuch unternimmt, wie eine authentische Georgierin zu wirken (z.B. durch Imitation eines entsprechenden Akzents oder andere Äußerlichkeiten), erreicht sie eine verblüffende Universalität. So wird Suzie Washingtons Exkursion durch die rot-weiß-rote Wirklichkeit zur Parabel auf das Fremdsein an sich, auf die Ritualisierung von Kommunikation sowie ihrer magischen Momente und Grenzen. Die von außen in eine im wahrsten Sinne des Wortes geschlossene Gesellschaft dringende Reisende leiht ihren unverstellten Blick dem Zuschauer, der seinerseits ganz neue Facetten am abgegriffenen Alltag entdecken kann. Das unübersehbare Alice-im-Wunderland-Prinzip wird dabei nicht mit der Überhöhung ins Surreale verbunden, sondern zehrt aus einer fast dokumentarischen Sichtweise. Dem arbeitet auch die formale Gestaltung zu: Eine sich dicht an die Protagonisten heftende, nervös schwenkende und zitternde Handkamera sowie gelegentliche Unschärfen und grobkörnig auflösendes Filmmaterial täuschen Authentizität und „Primitivismus“ nur vor – eine sympathische Art des Understatements, verbunden mit strenger ästhetischer Funktionalität. Florian Flicker und Michael Sturminger zeigen und erzählen nicht alles, operieren wirkungsvoll mit Auslassungen bzw. Leerstellen. Dies bewahrt den Figuren ihre Würde und den Zuschauern ihre Mündigkeit. In diesen Kontext reiht sich auch ein weiterer Kunstgriff: Nana alias Suzie schreibt während ihrer Odyssee immer wieder Karten an den mythisch beschworenen Onkel in Amerika. Birgit Dolls Stimme verliest diese Botschaften aus dem Off und installiert damit einen wichtigen strukturellen Baustein, der sowohl die Heldin charakterisiert als auch Erzählzeit spart. Man erfährt letztlich nicht, ob es diesen Onkel überhaupt gibt.
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