Serie | Frankreich 2019 | Minuten

Regie: Pierre Aknine

Eine Thriller-Serie um eine futuristische Dating-App namens Osmosis, die ihren liebessuchenden Nutzern in Aussicht stellt, den perfekten Partner/die perfekte Partnerin für sie zu finden, indem sie mittels eines Implantats Hirndaten analysiert. Doch lässt sich mittels dieser Technologie Liebe tatsächlich berechenbar machen? Und haben die Hersteller mit ihrer App wirklich nur das Glück ihrer Kunden im Sinn? Während die App in der letzten Testphase ist, werden Schattenseiten der in Aussicht gestellten schönen, neuen Liebeswelt erkennbar. Eine zwischen Romanze und Thriller changierende französische Serie rund um zeitgenössische Liebeskonzepte, Vorteile und Gefahren der digitalen Selbstoffenbarung und die Mechanismen des (Daten-)Marktes sowie deren Möglichkeiten, auch intimste Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen zu regulieren. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
OSMOSIS
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Capa Drama
Regie
Pierre Aknine · Mona Achache · Thomas Vincent
Buch
Audrey Fouché · Gabriel Chiche · Louis Chiche · William Chiche · Olivier Fox
Kamera
Jean-François Hensgens
Darsteller
Lionel Lingelser · Hugo Becker · Agathe Bonitzer · Viktor Klépal
Länge
Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Serie | Thriller

Diskussion

In der französischen Serie geht es um eine futuristische Dating-App, die ihren Nutzern den perfekten Seelenzwilling vermittelt – zum Preis der totalen digitalen Preisgabe des eigenen Innenlebens.

„Was würden Sie geben, um sich endlich sicher zu sein, dass Sie die Liebe Ihres Lebens gefunden haben? Was wären Sie bereit zu tun, um die einzig wahre Liebe zu finden und die totale emotionale Osmose zu erfahren?“ Paul (Hugo Becker) und seine Schwester Esther (Agathe Bonitzer), die Gründer und Erfinder der Dating-Plattform Osmosis, treten für nichts Geringeres an, als die (Beziehungs-)Welt von Grund auf zu verändern: Jeder Mensch habe ein Anrecht auf die große, einzigartige Liebe, jeder habe einen Seelenzwilling, so das Heilsversprechen des gleichnamigen Startups.

Die semantische Nähe, die Osmosis zwischen Beziehung und dauerhaftem persönlichem Glück aufbaut, unterscheidet sich dabei höchstens graduell von den Werbetexten, mit denen aktuelle Dating-Plattformen arbeiten. Die französische Serie, die in Paris in einer nicht näher definierten nahen Zukunft angesiedelt ist, kreist um ein futuristisches Pendant von Parship, Tinder & Co. Paul und Esther haben ein Implantat ersonnen, das die unbewussten Wünsche, Vorstellungen und Werte des Trägers erfassen und auf dieser Datenbasis ein Bild seines Seelenzwillings erstellen soll.

Mit Hilfe von Social Media hilft Osmosis dann, diese Person im echten Leben zu finden. Die Anwendung geht sogar noch einen Schritt weiter: Sofern der Seelenzwilling sich das Implantat ebenfalls einsetzen lässt, kann das Paar in einen virtuellen Kosmos eintreten, in dem es sich unabhängig von Raum und Zeit jederzeit nahe sein kann. „Die perfekte emotionale Osmose, das immerwährende Glück“, wie Paul und Esther, die die dahinter stehende Technik und samt Algorithmen erstellt hat, versprechen.

Beziehung, Lebensglück und Erfolg?

Die Serie setzt zu einem Zeitpunkt ein, in dem die Anwendung kurz vor der Markteinführung steht und das Unternehmen eine Beta-Version an ausgewählten Personen testet. Paul selbst hat dank des Implantats seinen Seelenzwilling Joséphine (Philypa Phoenix) bereits gefunden. Die beiden sind ein scheinbar perfektes Paar: Sie schöpfen Kraft aus ihrer fast schon unnatürlich engen Bindung, leben ihr eigenes Leben und sind dabei doch stets vereint.

Nun sollen weitere Tests an ausgewählten Probanden durchgeführt werden. Schon hier kommen Zweifel an Motivation und Vorgehen des Unternehmens auf. Wie man durch Rückblenden erfährt, hatte Esther das Programm ursprünglich für Paul entwickelt, als dieser schwerkrank im Wachkoma lag. Ein Zustand, aus dem sie jetzt auch gerne ihre eigene Mutter aufwecken möchte. Dafür schreckt sie nicht davor zurück, auch private „Daten“ (in diesem Fall: persönliche Erinnerungen) der Testpersonen zu verwenden und ihrer Mutter ins Gehirn einzupflanzen. Selbstredend ohne das Wissen der Probanten, die mit der Zeit allerdings eine veränderte Wahrnehmung an sich selbst feststellen.

Welche Rolle das Auffinden von Josefine bei Pauls Genesung gespielt hat, bleibt unklar; seine Gesundheit scheint aber in Teilen direkt von der Nähe zu Josefine abzuhängen. Mit anderen Worten: Er möchte sie nicht nur in seinem Leben haben, weil er sie liebt; er braucht sie vielmehr, weil sein Leben davon abhängt, was Joséphine allerdings nicht weiß. Umso gravierender ist es, als Joséphine sich das Implantat eines Tages entfernen lässt, weil sie Paul lieber „frei“ lieben möchte und sich durch das Implantat (nicht zu Unrecht) permanent kontrolliert fühlt.

Wie frei darf ein Mensch entscheiden?

Auch die Auswahl der zwölf Testpersonen ist in Teilen fragwürdig. Unter ihnen ist der minderjährige Niels, der an Pornosucht leidet, mitunter starke, kaum kontrollierbare Wutausbrüche durchlebt und schon mehrere Therapien abgebrochen hat, aber inständig daran glaubt, sich ändern zu können, wenn er seinen Seelenzwilling gefunden hat. Oder die übergewichtige Ana, die an dem Testprogramm eigentlich nur teilnimmt, um vertrauliche Informationen für die Konkurrenz abzugreifen, unterschwellig auch hofft, jemanden zu finden, der sie endlich so annimmt, wie sie ist. Allerdings ist sie geradezu schockiert, als der Algorithmus ihr Simon zuführt, einem austrainierten, sehr freundlichen, aber wenig belesenen Sporttrainer. Schließlich gibt es noch Lucas, der emotional ebenfalls eher instabil wirkt. Er hat seinen Seelenzwilling schon gefunden und liebt seinen Freund auch; doch er zieht es vor, seinen sexuell attraktiveren Affären nachzugehen.

„Osmosis“ zielt mit diesem Spektrum an Figuren und Schicksalen auf Grundfragen über Liebe, Beziehung, Glück und Freiheit ab: Kann man sich für eine andere Person ändern (wenn schon nicht für sich selbst)? Kann und darf Liebe unbequem sein? Sind Menschen zur perfekten Liebe überhaupt fähig, selbst mit algorithmischer Schützenhilfe? Und bringt eine innige Beziehung tatsächlich das absolute, anhaltende Glück mit sich?

Schöne, neue Liebeswelt mit Schattenseiten

Die Serie ist zu keiner Zeit hochtrabend oder belehrend. Stattdessen erkundet sie unter der Showrunnerin Audrey Fouché, die als Drehbuchautorin und ausführende Produzentin federführend ist, das auch im Zeitalter digitaler Durchleuchtung höchst verwirrende und spannungsvolle Terrain der Liebe, atmosphärisch dicht und in wechselnden Tonlagen. Unbeschwerte Szenen, die häufig im Freien Paare und deren verliebte Leichtigkeit umspielen, wechseln mit ausschließlich in künstliches, gedämpftes Licht getauchten Sequenzen, um die Schattenseiten der schönen neuen Liebeswelt sichtbar zu machen. Dann werden unwirkliche Welten gezeigt – etwa eine Art „Dark Room“, in dem virtuell fast alles erlaubt ist und jeder für sich seiner künstlichen Realität frönt.

Außerdem gibt es einige Szenen, in denen die Probanden über ihr emotionales Innenleben Rede und Antwort stehen müssen, was an die Tests erinnert, mit denen in Blade Runner die Grenze zwischen realen Menschen und Replikanten gezogen werden soll. Denn Osmosis will jedes Detail, jede Hormonausschüttung, jeden Anstieg der Hirnaktivität erfassen und auswerten. Im Gegensatz zu Blade Runner müssen sich die Testpersonen hier unter anderem vor Martin rechtfertigen, einer künstlichen Intelligenz, die am Ende mit darüber entscheidet, ob die Gefühle und Reaktionen der Probanden zu einem bestimmten Zeitpunkt angemessen waren – oder nicht.

Wenn man über kleinere logische Schwächen der Serie hinwegsieht, etwa dass alle Probanden ihren Seelenzwilling direkt in Paris finden, die erstaunlicherweise immer ungebunden und willens sind, sich ohne Umwege auf den alogrithmisch ermittelten Partner einzulassen, entwickelt sich „Osmosis“ zum spannenden Science-Fiction-Drama, das interessante Fragen aufwirft. Und zwar nicht nur über die gesellschaftlichen Vorstellungen von Liebe und Glück, sondern auch über die Vorteile und Gefahren der digitalen Selbstoffenbarung und die Mechanismen des (Daten-)Marktes sowie deren Möglichkeiten, auch intimste Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen zu regulieren.

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