Geschichten vom Kübelkind

Drama | BR Deutschland 1970 | 204 Minuten

Regie: Edgar Reitz

Die Menschen sagen dem Kübelkind, einem "weggeworfenen" Kind, das in einer Mülltonne lebt, dass es sich in die Welt einbringen muß, dass es Rechte habe, auch das Recht auf Glück. Je mehr das Kübelkind von diesen Dingen erfährt, um so neugieriger wird es auf die Welt, doch die zahlt ihm seine Einbringung bitter heim. Am Ende der vielen Lernprozesse stehen Mord, Totschlag und Rache. Ula Stöckls und Edgar Reitz' 26 meist garstige Kurz-Episoden vom Kübelkind verdichten zu einem negativ verlaufenden Sozialisationsprozeß, in dem der einzelne gegen die Masse und ihre Normen nichts auszurichten vermag. Ein Film, dem man die Fabulierlust, aber auch die damalige Wut seiner Macher ansieht. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
BR Deutschland
Produktionsjahr
1970
Produktionsfirma
Edgar Reitz Prod.
Regie
Edgar Reitz · Ula Stöckl
Buch
Edgar Reitz · Ula Stöckl
Musik
Ekkehart Kühn
Darsteller
Kristine de Loup (Kübelkind) · Bruno Bendel · Alf Brustellin · Ilse Brustellin · Hans Heinrich Brustellin
Länge
204 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Episodenfilm | Satire
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Erschienen als Special Edition mit einer BD und 2 DVDs. Die Extras umfassen u.a. den erhellenden Dokumentarfilm zum Projekt "Der Film verlässt das Kino: Vom Kübelkind-Experiment und anderen Utopien" von Robert Fischer (90 Min.) sowie ein 52-seitiges Booklet mit analytischen Texten. Die Edition ist mit dem Silberling 2019 ausgezeichnet.

Verleih DVD
StudioCanal (FF, Mono dt.)
Verleih Blu-ray
StudioCanal (FF, PCM Mono dt.)
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Diskussion

Ein Blick zurück. Im Oberhausener Manifest verkündeten 1961 junge Filmemacher, unter anderem Alexander Kluge, Edgar Reitz, Haro Senft und Peter Schamoni, den neuen deutschen Film schaffen zu wollen: „Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen!“ Doch der alte Film war nicht tot. Die alten Mechanismen der Filmindustrie funktionierten weiterhin, und nach der anfänglichen Euphorie über kleinere Erfolge des jungen Kinos machte sich bald Depression breit. Bei Edgar Reitz und Ula Stöckl aber war es auch Wut. Sie verspürten 1969 keine Lust, einen 90-minütigen Spielfilm zu drehen, der dann keinen Verleih finden würde. Wenn uns die etablierte Industrie nicht will, so ihre Überlegung, dann müssen wir uns auf anderen Wegen Gehör verschaffen.

Wider die bürgerlichen Vorstellungen vom guten Geschmack

So entstand die Idee des Kübelkinds, einer Person, die nicht in diese Welt passt, die aneckt, die Nein sagt. Edgar Reitz hatte noch etwas Geld vom Bundesfilmpreis für „Cardillac“ (1969). Zusammen mit Ula Stöckl begannen er Filme zu drehen, die in kein Schema passten, keinen Regeln folgten und schon gar nicht irgendwelchen bürgerlichen Vorstellungen vom guten Geschmack entsprachen. So entstand ein im besten Sinne anarchistisches Kino; 22 Episoden in unterschiedlicher Länge von 1’06 bis 25’30 Minuten. Gedreht wurde mit der 16 mm-Ausrüstung von Edgar Reitz, geschnitten in seinem Schneideraum, Ula Stöckl schrieb die Skripts. Freunde wurden als Darsteller aufs Set eingeladen.

Im Mittelpunkt aller Geschichten stand das Kübelkind Kristine de Loup, die zuvor eine Hauptrolle in Stöckls „Neun Leben hat die Katze“ spielte. Ein rotes Nachthemd, rote Strümpfe und Schuhe und eine schwarze Perücke, die an Anna Karina in Godards „Die Geschichte der Nana S.“ (1962) erinnerte. Das war ihr ganzes Outfit. Gezeigt wurden die Geschichten à la carte in einer Münchner Kneipe. Das war ein Abschied von gestern, ein Bruch mit dem traditionellen Kino.

(Der Text ist ein Auszug aus Wilfried Reicharts Artikel "Geschichten vom Küblekind" anlässlich einer Wiederaufführung im Rahmen einer Kino-Kneipentour. Den ganzen Artikel findet sich hier).

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