Der kleine Miles zeigt schon früh außerordentliche Anzeichen. Er bewegt sich anders als Neugeborene, er hat einen besonderen Blick auf seine Umwelt, er lernt und spielt, als würde er bereits einen Erfahrungsschatz besitzen, den ein Kind noch gar nicht haben kann. Auch seine Fantasie ist auffallend lebhaft. Miles schläft oft unruhig, und schon als Kindergartenkind murmelt er häufig unverständliche Dinge im Schlaf. Im Kopf des Jungen scheint sich vieles abzuspielen, das sich in künstlerischer Kreativität Bahn bricht – oder aber in einer steten Unruhe und bisweilen auch in unerklärlicher Aggressivität.
„The Prodigy“ gehört zu den Horrorfilmen, die dem Zuschauer einen kleinen Wissensvorsprung vor den handelnden Personen lassen. Allerdings hält Regisseur Nicholas McCarthy zunächst hinter dem Berg, worauf er mit seinem Schock-Prolog hinauswill. Darin entflieht eine Frau aus einem Verschlag, körperlich versehrt und sichtlich in grenzenloser Panik. Ihren Peiniger ereilt dann aber sogleich die Strafe. Ein vorerst unerklärter Einstieg, nach dem der Film an einen anderen Ort und zu anderen Figuren springt, und mit der Geburt des kleinen Miles scheinbar eine völlig andere Geschichte beginnt.
Gedrosseltes Tempo, ohne die Spannung zu mindern
Der Regisseur kultiviert dabei die Tugend der Zurückhaltung und drosselt das Tempo des Films, ohne die Spannung zu mindern. McCarthy reichen Andeutungen und vermeintlich unbedeutende Handlungen, um seine Variante eines Geister-Thrillers anzustoßen.
Dass Miles von irgendetwas Bösem besessen sein muss, wird schnell klar, doch begeht der Film nicht den Fehler, auf den Zug der „Paranormal Activity“-Filme aufzuspringen. Stattdessen rekurriert „The Prodigy“ auf den Schreckensreflex, den Nachrichten von grausamen Verbrechen durch scheinbar ganz normale Jugendliche auslösen können. Denn bei Miles ist lange nicht ausgemacht, ob der Ursprung dieses Bösen nicht doch von dieser Welt ist und der Film damit viel näher bei filmischen Psychodramen wie „We Need to Talk About Kevin“ von Lynne Ramsay liegt als bei konventionellem Horror.
Wenn Miles’ Eltern langsam erkennen, dass mit ihrem Sohn etwas nicht stimmt und psychologische Hilfe suchen, müssen sie zunächst eher mit dem gegenseitigen Misstrauen als mit wirklichen Geistern kämpfen. Liegt dem Drama um Miles vielleicht ein kindliches Trauma zugrunde, für das womöglich einer von ihnen verantwortlich ist? McCarthy spielt eine Weile sehr geschickt mit dem Unbehagen und dem Zweifel an den Figuren, die zur Identifikation einladen, bevor das Grauen schließlich manifester wird.
Die Schockmomente sind wohldosiert
Was dann folgt, referiert mehr und mehr auf andere Filme, etwa „Insidious“ oder Genre-Klassiker wie William Friedkins „Der Exorzist“ und „Das Omen“ von Richard Donner. McCarthy erweist sich allerdings nicht als simpler Plagiator, sondern er will jene Stimmung heraufbeschwören, die diese Horrorfilme um Dämonen und Teufel so eindringlich machte. Freilich vernachlässigt „The Prodigy“ auch nicht die Schockmomente, die der Film wohldosiert und effektiv einzusetzen weiß.
Einen Trumpf hat er überdies im begabten Jungschauspieler Jackson Robert Scott, dem mit dem verdienten Charakterdarsteller Colm Feore in der Rolle jenes Psychologen, der Miles therapieren soll, ein gleichwertiges Gegenüber erwächst. Beiden gelingt es, den Film in traumwandlerischer Sicherheit in der Schwebe zwischen Schein und Sein halten. Dann bedarf es mitunter nur der unschuldigen Melodie eines Kinderliedes, und die kleinen Wellen des Schreckens türmen sich zum Tsunami.