Schweigend steht der Wald

Literaturverfilmung | Deutschland 2022 | 95 Minuten

Regie: Saralisa Volm

Eine Forstpraktikantin stößt im Wald der ostbayerischen Provinz auf mysteriöse Spuren. Sie glaubt an einen Zusammenhang mit dem rätselhaften, Jahre zurückliegenden Verschwinden ihres Vaters an diesem Ort und setzt eine gewaltsame Kettenreaktion im Dorf in Gang. Dessen Bewohner scheinen ein dunkles Geheimnis zu hegen, das sie um jeden Preis in den Tiefen belassen wollen. Ein atmosphärisch dichter Thriller, der insbesondere die dunklen Waldbilder am Anfang trefflich für eine bedrohliche Grundstimmung zu nutzen weiß. Zunehmend verfällt die Romanverfilmung jedoch dramaturgischen Standards und einem moralisch klar gesetzten Plot, in dem Ambivalenzen keinen Platz mehr haben. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Poison GmbH/if... Productions
Regie
Saralisa Volm
Buch
Wolfram Fleischhauer
Kamera
Roland Stuprich
Musik
Malakoff Kowalski
Schnitt
Daniel Kundrat
Darsteller
Henriette Confurius (Anja Grimm) · Noah Saavedra (Rupert Gollas) · August Zirner (Gustav Dallmann) · Johanna Bittenbinder (Waltraud Gollas) · Robert Stadlober (Konrad Dallmann)
Länge
95 Minuten
Kinostart
27.10.2022
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Literaturverfilmung | Thriller
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Alpenrepublik
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Atmosphärischer Thriller um eine Forstpraktikantin, die in den Wäldern der nordostbayerischen Provinz auf Spuren eines düsteren Geheimnisses stößt und die Bewohner eines nahen Dorfes aufschreckt.

Diskussion

Der klassische Thriller ist im Kino in die Nische gedrängt worden: In der deutschen Kinolandschaft ist dieses Genre kaum noch vorhanden, während das Fernsehen voll von Ermittlern, Morden und Totschlag ist. Es gibt sie durchaus, nur werden sie kaum wahrgenommen, gehen im Gejammer über die Qualität des deutschen Films unter; mit Genre-Arbeiten gehen wir hierzulande ohnehin sehr schäbig um.

Ausnahmen sind etwa Christian Alvart, der seit seinem Erfolg mit „Antikörper“ (2005) mit langem Atem für diese Form des Kinos kämpft, was mal mehr („Freies Land“), mal weniger gut gelingt („Abgeschnitten“). 2010 ist dem „Dark“-Macher Baran bo Odar mit „Das letzte Schweigen“ ein Psychothriller gelungen, dessen sommerliche Hitze jeden Winkel der Bilder ausfüllte und eine schwitzende Atmosphäre der Bedrohung erzeugte, die gleichsam eine Landschaft des Verbrechens hat aufsteigen lassen.

In der knurrigen Abgeschiedenheit der Oberpfalz

Während Baran bo Odar die Hitze und die weiten Felder Norddeutschlands hervorhebt, atmet Saralisa Volms Romanverfilmung „Schweigend steht der Wald“ die kühl-feuchte Luft der dunklen Wälder. Der Film spielt in der knurrigen Abgeschiedenheit der Oberpfalz, deren besondere, wortkarge Schroffheit sowohl mit den landschaftlichen Gegebenheiten als auch mit der schwierigen ökonomischen Lage des bayerischen Nordostens zusammenhängt. Selbst wenn man Robert Stadlober den Dialekt in seiner Rolle als ermittelnder Polizist nun wahrlich nicht abkauft, ist der Menschenschlag dieser Gegend ziemlich gut getroffen.

Das gilt es insofern positiv hervorzuheben, als das deutsche Kino viel zu selten aus den topografischen Besonderheiten seines Landes schöpft – womit wir wieder bei der Verortung wären, die hier wirklich grandios gelingt; ähnlich wie bei Bettina Oberlis „Tannöd“, in dessen Richtung sich „Schweigend steht der Wald“ bewegt.

Seltsame Messergebnisse im Wald

Anja Grimm (Henriette Confurius) kehrt für ein Praktikum an jenen Ort zurück, wo sie in den 1970er-Jahren mit ihrer Familie Urlaub gemacht hat. Sie soll Bodenproben im Wald entnehmen, den Untergrund kartografieren. Doch sind es weniger die beruflichen Gründe, die bei der jungen Studentin eine Rolle spielen, als vielmehr die Suche nach ihrem verschwundenen Vater. Dort im Wald wurde er das letzte Mal gesehen. Als sie auf seltsame Messergebnisse stößt, glaubt sie des Rätsels Lösung endlich nahe gekommen zu sein und setzt damit eine gewaltvolle Kettenreaktion in Gang. Ein Mord geschieht: Der geistig zurückgebliebene Eigenbrötler Xaver (Christoph Jungmann) bringt, nachdem er erst Anja bedroht, seine eigene Mutter um. Was hat diese Tat mit dem Tod des Vaters zu tun? Und warum will niemand im Dorf offen sprechen? Ein Geheimnis beginnt sich an die Oberfläche zu arbeiten, und Anja schwebt in großer Gefahr, von einer Erinnerungslawine mitgerissen zu werden.

Das Schweigen ragt in Volms Film buchstäblich und hölzern in die Höhe. Die Bäume, deren Äste in die Lüfte ragen, reichen auch tief in den Boden: Der Wald hat ein eigenes, geologisches Gedächtnis; er vergisst nichts. Wenn ein Körper sich zersetzt und vor allem, wenn man versucht, die Überreste eines Menschen mit Kalk aufzulösen, ändert sich die Beschaffenheit des Bodens, wachsen spezifische Pilze und Pflanzen. Wer den Wald zu lesen weiß, kann unzählige Geschichten ans Tageslicht befördern.

Die Natur als eigenständiger Protagonist

In der ersten Hälfte von „Schweigend steht der Wald“ erzählen die Bilder, fährt die Kamera durch das Gehölz, wo die Würmer ihrem immerwährenden Geschäft der Zersetzung nachgehen und den Boden lockern. Wie bereits David Lynch, der zu Beginn seines immer noch faszinierenden „Blue Velvet“ in die Tiefen eines Vorgartens hineinfährt, wo sich Käfer gegenseitig anfallen und auffressen, deutet sich auch in diesem Film das Unheil in jenen Sphären an, die uns zu Füßen liegt. Die Natur wird Volm lange Zeit als einen eigenständigen Protagonisten inszenieren, der sein Flüstern an die Menschen richtet: Egal was ihr in mir auch vergraben habt, ich vergesse nichts. Und Anja wird zum Medium des Waldes.

Dann allerdings ändert der Film ziemlich abrupt seine Richtung, wird vom rätselhaften Thriller zu etwas, was sich auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zur besten Sendezeit abspulen könnte: Das Geheimnis wird ohne große Umschweife preisgegeben, wodurch der Film komplett seine mysteriöse Atmosphäre einbüßt.

Es trudelt aus

Das liegt natürlich an der Vorlage von Wolfram Fleischhauer, der auch das Drehbuch geschrieben hat. Was auf Papier allerdings funktioniert, reißt den Film förmlich entzwei; was als Thriller begonnen hat, trudelt einfach nur noch aus. Die unheimlich-bedrückenden Bilder von Roland Stuprich sind nicht mehr in den Film eingewoben, sondern legen sich als Behauptung auf einen moralisch klar gesetzten Plot. Gelungenes Genre aber behält sich immer eine Ambivalenz, das ist aus dem ziemlich aufregenden, sehr weiblichen Horror-Genre der Gegenwart zu lernen: Es muss unangenehm bleiben, aufwühlen und uns bis nach dem Film verfolgen.

Der Bezug auf die Nazivergangenheit und der Versuch, durch das offene Ende den Film selbst in einem Verschweigen enden zu lassen, ist da schon eher dramaturgischer Standard. Das ist schade, zeugt doch die erste Hälfte von „Schweigend steht der Wald“ von den Möglichkeiten des Genres und vom Talent der Regisseurin. Eine andere Vorlage und mehr Mut, sich von dieser unabhängig zu machen, hätten einen hervorragenden Thriller ergeben. Nun ist es ein Fernsehfilm mit einem – immerhin – starken Beginn geworden.

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