Krimi | Deutschland 2009 | 97 Minuten

Regie: Bettina Oberli

In einer Gewitternacht wird in einem abgelegenen Bauernhof eine Großfamilie ermordet. Über der Tat liegt ein Mantel des Schweigens, bis zwei Jahre später eine junge Frau in das Dorf zurückkehrt und den Zusammenhängen nachzuspüren beginnt. Der Film verlegt einen realen Mordfall vom Anfang des 20. Jahrhunderts in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Trotz einiger Schwächen in der Entwicklung der Kriminalgeschichte und der Protagonisten gelingt der Inszenierung eine beklemmend-unheimliche Atmosphäre. Eindrucksvoll (re-)konstruiert der Film so eine filmische Welt, in der Bigotterie, Aberglauben und Heimlichkeiten regieren. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Wüste Film West/Constantin Film/Hugofilm/SF Schweizer Fernsehen/SRG SSR Idée Suisse
Regie
Bettina Oberli
Buch
Petra Lüschow
Kamera
Stéphane Kuthy
Musik
Johan Söderqvist
Schnitt
Michael Schaerer
Darsteller
Julia Jentsch (Kathrin) · Monica Bleibtreu (Traudl Krieger) · Volker Bruch (Johann Hauer) · Brigitte Hobmeier (Barbara) · Vitus Zeplichal (Danner)
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Krimi | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Manchmal ist es tröstlich, wenn ein Film die Konvention ernst nimmt und zunächst einmal ganz Atmosphäre ist. In der Verfilmung von Andrea Maria Schenkels Bestseller „Tannöd“ entsteht diese Atmosphäre aus Bildern, die sanft, aber bestimmt dem Unheil den Weg bahnen: Ein wolkenverhangener Himmel, unter dem sich ein dunkler Tannenwald im Wind hin und her biegt. Ein verwittertes Holzkreuz am Wegesrand im spärlichen Abendlicht. Aus dem Off erklingt eine Litanei zum Trost der armen Seelen, die Schuld auf sich geladen haben. Ob die zwei Schwestern, die den menschenleeren Wald schnellen Schrittes durchqueren, zu ihnen gehören? Die Kamera folgt ihnen zunächst bedächtig aus großer Distanz. Die Ältere gibt herrisch den Ton an, treibt die Jüngere voran. Als zwischen den Baumstämmen eine verwahrloste Gestalt auftaucht, ein Waldmensch mit grotesk verzerrten Bewegungen, ist das ein letztes Signal zur Umkehr. Wenige Meter weiter schnappt die Falle dann zu. Die Jüngere nimmt ihre Anstellung als Magd auf dem abgelegenen Hof Tannöd an, obwohl die Familie Danner unten im Dorf keinen guten Ruf genießt. Geizig und streitsüchtig soll sie sein, sogar Inzest sei im Spiel. Die zwei kleinen Kinder der Tochter stammen vom finsteren Patriarchen, was sie nicht daran hindere, Affären mit anderen Männern einzugehen. Die alte Mutter sei nur noch ein wandelndes Gespenst. Ein liebloser Abschied an der Türschwelle. Dann ein harter Schnitt, der Schatten einer Spitzhacke im Kerzenlicht und ein dumpfer Schlag. Nicht nur die neue Magd ist am Ende des nächtlichen Gewittersturms tot. Die verstümmelten Leichen der gesamten Familie Danner liegen tagelang versteckt im Stroh. Nach dem Blutbad ist nichts mehr so, wie es einmal war, zumal von dem Mörder jede Spur fehlt. Unerkannt lebt er immer noch unter den streng gläubigen Dorfbewohnern, die Zuflucht im Aberglauben suchen und mitten in der Nachkriegszeit den Teufel in der bayerischen Provinz am Werk wähnen. Dieser grandiose Prolog im Stil einer „Gothic Novel“ hält alles, was folgt, auf Distanz. Die vielen Rückblenden, in denen Licht und Bewegung über die blutigen Details hinweg gleiten, sodass die Bilder den Tod eher suggerieren als ausstellen; die grün-beige-weiße Grundkolorierung des Dorfs, die dunkle Kleidung, die mit den blassen Gesichtern kontrastiert. Die Vergangenheit scheint hier nur einen Wimpernschlag entfernt, verborgen hinter wiederkehrender Märchenmetaphorik und Versatzstücken des Mystery-Thrillers. Aber man kann aus ihr entkommen in den nüchternen Rahmen der 1950er-Jahre, in dem der Film verortet ist – eine Zeit, deren Darstellung in ihrer Disziplinierung der Emotionen entfernt an Michael Hanekes am Vorabend des Ersten Weltkriegs spielendes Porträt des protestantischen Dorfs in „Das weiße Band“ (fd 39 527) erinnert. Unter der Regie der Schweizerin Bettina Oberli („Die Herbstzeitlosen“, fd 37 818) betritt man „Tannöd“ jetzt durch die Hintertür. An der Oberfläche nehmen die Dinge ihren gewohnten Lauf, bis zwei Jahre nach der Familientragödie eine junge Frau an den Ort ihrer Kindheit zurückkehrt. In ihrem langen, roten Mantel gibt sie bald unfreiwillig das Rotkäppchen als Detektivin, stellt Fragen und bekommt unzählige Versionen über die Vorgeschichte der monströsen Tat zu hören. Dazu gehören auch die Enthüllungen über ihre eigene uneheliche Herkunft, die sie in eine tiefe Krise stürzen. Was sich im Buch als erzählerisches Mosaik zur so komplexen wie spannenden Struktur steigerte, verliert sich im Film mitunter im allzu wohl dosierten Stimmenrauschen. Nur Monica Bleibtreu setzt einen Kontrapunkt: Als verhasste Kassandra stiftet sie in der Dorfkneipe Unruhe, spricht unangenehme Wahrheiten aus und setzt sich in ihrer letzten Kinorolle mit einer atemberaubenden Wut im Bauch selbst ein Denkmal. Und dann ist auf einmal auch der Sog wieder da. Das liegt nicht zuletzt an dem hervorragenden Set-Design, das die Räume mit religiösen Utensilien mystisch auflädt und dabei das Kunststück schafft, die Gefahr des Ausstattungsstücks mit der nötigen Portion Naturalismus zu umschiffen. Ohnehin wandelt sich der Film gegen Ende von der unheimlichen Mär eines vom Bösen heimgesuchten archaischen Dorfs zu einem soliden Stück Gesellschaftskritik, einer universellen Parabel über bigotte Strukturen, die das Wegschauen befördern und erst das Verbrechen ermöglichen.
Kommentar verfassen

Kommentieren