© imago/Saul Young/News Sentinel (Glenda Jackson in "Sunday, Bloody Sunday")

Zum Tode von Glenda Jackson

Nachruf auf die britische Schauspielerin Glenda Jackson (9.5.1936-15.6.2023)

Veröffentlicht am
19. Juli 2023
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Ab Ende der 1960er-Jahre gehörte die nordenglische Schauspielerin Glenda Jackson zu den feministischen Vorreiterinnen im Kino, die in historischen wie zeitgenössischen Stoffen schlagfertige Frauen spielte. Sie setzte aber auch ihre Theaterkarriere fort und hielt einen gewissen Abstand zu Hollywood, erzielte in Komödien wie „Hausbesuche“ aber auch Kassenerfolge und gewann zwei „Oscars“. Nach einem langen Intermezzo in der britischen Politik kehrte sie mit 80 Jahren nochmals auf Bühne und Leinwand zurück.


Wer als Schauspielerin oder Schauspieler eine Politikerkarriere einschlägt, muss mit Skepsis oder gar Spott rechnen. Hartnäckig hält sich die Vorstellung von eher unbedarften Mimen, die Politik mit einer „Daily Soap“ verwechseln, mit anspruchsarmen Texten, aber einer großer Fangemeinde. Dabei gibt es von Ronald Reagan bis Wolodymyr Selenskyj genügend Belege für Darsteller mit einer sehr ernsten Auffassung vom Politikerberuf, und auch bei der britischen Schauspielerin Glenda Jackson (9.4.1936-15.6.2023) bestand daran nie ein Zweifel.

Die aus der Arbeiterklasse stammende Darstellerin setzte sich als Politikerin für ebendie Werte ein, für die sie auch in vielen ihrer feministischen Rollen moderner und liberaler Frauen eingetreten war. In den 23 Jahren, die sie als Abgeordnete der Labour-Partei im britischen Parlament saß, bewährte sie sich als integre wie scharfzüngige Volksvertreterin, die auch Streit nicht aus dem Weg ging – sei es als Kritikerin ihres Parteichefs Tony Blair wegen dessen Unterstützung des Irakkriegs, sei es beim Gedenken an die verstorbene Ex-Premierministerin Margaret Thatcher mit mahnenden Worten zu den fatalen Folgen von deren Regierung.

Zwar war Glenda Jackson weit entfernt von der unbewegten Fassade der „Eisernen Lady“, doch als Politikerin wurde ihr Auftreten mitunter in eine ähnliche Schublade gesteckt und als streng und furchteinflößend wahrgenommen. Was wohl auch mit ihren hohen Wangenknochen, einer tiefen Stimme und einer markanten Diktion zu tun hatte, mit der sich die 1936 geborene Nordengländerin auch als Darstellerin profiliert hatte.

Wer sie früher in staatstragenden Rollen, etwa als Lady Macbeth, erlebt hatte, konnte nicht daran zweifeln, dass sie in jeder Situation willens war, das Zepter in der Hand zu halten. Und in Erinnerung an ihre Interpretation der englischen Monarchin Elisabeth I. in „Maria, Königin der Schotten“ (1971) vermutete mancher womöglich auch bei Glenda Jackson Tendenzen zu einer ungestümen politischen Aggressivität.


Emanzipation, aber mit Humor

Dabei war es in ihrer darstellerischen Laufbahn weit häufiger die Macht der Worte oder auch nur der Blicke, mit der sich ihre Figuren auf der Bühne und der Leinwand behaupteten. Nach dem Studium an der Royal Academy of Dramatic Art, ersten Bühnenerfahrungen und vier Jahren bei der Royal Shakespeare Company gelang ihr schon mit dem dritten Filmauftritt eine erste denkwürdige Kino-Hauptrolle.

Glenda Jackson in "Liebende Frauen" (imago/Everett Collection)
Glenda Jackson in "Liebende Frauen" (imago/Everett Collection)

Als Gudrun Brangwen begehrt sie in „Liebende Frauen“ (1969) von Ken Russell gegen die Konventionen und Einschränkungen der 1920er-Jahre auf und zeigt weder Furcht oder übermäßigen Respekt. In einer Szene irritiert Glenda Jackson mit einem unerschrockenen Tanz sogar eine Rinderherde, die daraufhin die Flucht ergreift; ähnlich entschieden begegnet sie auch den Männern der Handlung wie Oliver Reed, den sie heiratet, aber nicht zum Herrn über ihr Schicksal macht.

Zugleich ist ihrer Gudrun aber auch ein schelmischer Zug zu eigen, wenn sie andere Figuren nachäfft oder von der bereitwilligen Mitwirkung bei der prätentiösen Aufführung einer Künstlerdilettantin zu ausgelassenen Tanzkapriolen übergeht. So ernst es ihr mit der Emanzipation ist, gibt es keinen Grund, sich nicht auch zu amüsieren – ein Merkmal vieler Figuren, die Glenda Jackson in dieser Zeit spielte. Sogar ihre Ibsen-Interpretation in „Hedda Gabler“ (1975) enthält solche Züge, wenn sie den aufdringlichen Juristen Brack mit dem Gewehr in der Hand begrüßt, einen Schuss abfeuert und dies nonchalant kommentiert.

Mit der Kurzhaar-Frisur, die ab „Liebende Frauen“ zu einem ihrer Markenzeichen wurde, erschuf Glenda Jackson Anfang der 1970er-Jahre eine zeitgemäße Version der selbstbewussten „Flapper“ aus den „Roaring Twenties“. Ihr Freiheitsdrang und die festen Standpunkte ihrer Figuren werden nicht durch gleichwertige Gegenargumente beschränkt – tatsächlich ziehen ihre männlichen Partner im Disput regelmäßig den Kürzeren –, wohl aber durch missliche Voraussetzungen. So ist die verquere Situation in John Schlesingers „Sunday, Bloody Sunday“ (1971) bei allem guten Willen nicht günstig auflösbar: Der Versuch von Jacksons Figur Alex, mit dem jüngeren Designer Bob (Murray Head) eine glückliche Beziehung zu führen, muss zwangsläufig daran scheitern, dass der homosexuelle Arzt Daniel Hirsh (Peter Finch) genau das gleiche Ziel verfolgt.

Als vernünftige Frau sieht sie irgendwann ein, dass die Dreier-Konstellation nicht funktioniert; in ihrer Loslösung von Bob liegt aber immer noch der Wunsch nach Aufmüpfigkeit gegenüber dem Lauf der Dinge, der ihr den jüngeren Liebhaber entzieht. Am Ende bleibt ihr als Erinnerung nur dessen Tukan, der sie über seinen gebogenen Schnabel hinweg gutmütig anblickt – eine willkommene Gelegenheit für Glenda Jackson, einmal mehr einen fremden Gesichtsausdruck zu imitieren.


Sich nichts gefallen lassen

Sich nichts gefallen zu lassen, ist auch die vorherrschende Devise ihrer Figuren in Komödien, die in dieser Zeit neben die dramatischen Rollen treten. In „Mann, bist du Klasse!“ (1973) geht sie als geschiedene Engländerin Vickie eine Affäre mit dem verheirateten US-Amerikaner Steve (George Segal) ein, die allein dem beiderseitigen Vergnügen gewidmet sein soll.

Kein Happy End: "Mann, bist Du klasse!" (imago/Everett Collection)
Kein Happy End: "Mann, bist du Klasse!" (imago/Everett Collection)

Was jedoch nicht heißt, dass es nicht allerhand gäbe, was sie an ihrem Liebhaber stören würde (und umgekehrt), sodass es stets auch zu verbalen Reibereien zwischen den beiden kommt. Ihr Emanzipationsbestreben ist letztlich jedoch zu viel für die Beziehung mit dem zögerlichen Steve, sodass das Paar kein gemeinsames Happy End erlebt, Vickie aber dennoch gelöst neue selbstbestimmte Erfahrungen in Angriff nimmt.

Einen Status als Hollywood-Klassiker hat „Mann, bist du Klasse!“ zwar nicht erreicht, doch das Spiel der beiden Hauptdarsteller sorgt für viele einprägsame Momente. Glenda Jacksons Timing ist grandios, wenn sie die Widerworte des um Fassung ringenden George Segal aufgreift und durch spitze Betonung ins Lächerliche zieht. Dass sie für die Komödie des Routiniers Melvin Frank nach „Liebende Frauen“ einen zweiten „Oscar“ gewann, ist weit einleuchtender, als oft behauptet wird – zumal 1973 funkelnde Frauenrollen wie diese alles andere als breit gesät waren.

Vergleichbare komödiantische Funken in bester Screwball-Tradition versprüht Glenda Jackson auch mit Walter Matthau als Partner in „Hausbesuche“ (1978), in der auf die Watergate-Affäre zielenden Klosterfarce „Eine beispiellose Affäre“ (1977) und in mehreren Filmen von Robert Altman. Trotz dieser auch finanziell mitunter sehr erfolgreichen Arbeiten blieb die britische Darstellerin auf Distanz zu Hollywood und sucht nach neuen Herausforderungen. Ihre Filme der 1980er-Jahre zeugen bereits von einem wachsenden politischen Äußerungsdrang, wenn Glenda Jackson den Kampf gegen Missstände wie sexuelle Belästigung in „Business as Usual“ (1987) oder politische Korruption in „Giro City“ (1982) aufnimmt.

Auch ihr eindringlichster Film dieses Jahrzehnts besetzt sie als Aufbegehrende, wenn auch in diesem Fall in einer stillen Aktion. Als in ihren Ideen festgefahrene Kinderbuchautorin verbündet sie sich in „Ozeanische Gefühle“ (1985) mit einem scheuen Buchhändler (Ben Kingsley), um drei Zoo-Schildkröten aus dem beengten Käfig in die Freiheit zu entführen.

Ben Kingsley und Glenda Jackson in "Ozeanische Gefühle" (imago/Mary Evans)
Ben Kingsley und Glenda Jackson in "Ozeanische Gefühle" (imago/Mary Evans)

Mitgefühl & Entschlossenheit

Glenda Jackson spielte auch mitunter verhärmte, zurückhaltende Frauen, doch Selbstbewusstsein zeichnet sie weiterhin ebenso aus wie Mitgefühl und Entschlossenheit. Mit diesen Eigenschaften stieg sie 1992 auch ins politische Geschehen ein und zog ihre zweite Karriere konsequent durch, bis sie sich aus Altersgründen 2015 nicht wieder zur Wahl stellte.

Während andere große britische Darstellerinnen ihrer Generation wie Maggie Smith auch im fortgeschrittenen Alter schauspielerische Herausforderungen fanden oder im Fall von Judi Dench erst mit 60 Jahren im Kino richtig durchzustarten begannen, ließ Glenda Jackson als Parlamentsabgeordnete den Schauspielerberuf ruhen. Ein Abschied, der einer für immer hätte sein können, bis 2016 das kaum noch für möglich Gehaltene geschah: Die 80-Jährige kehrte auf die Bühne zurück, spielte „King Lear“ und gewann für „Three Tall Women“ den „Tony Award“. Im britischen Fernsehen wurde sie als Demente in dem Drama „Elizabeth is Missing“ gefeiert und ebenfalls mehrfach ausgezeichnet. Auch im Kino war sie 2021 wieder zu sehen, in „Ein Festtag“ als auf ihr Leben zurückblickende Schriftstellerin. Noch abdrehen konnte sie einen größeren Part neben Michael Caine in „The Great Escaper“, der jetzt zu ihrem Vermächtnis wurde. Am 15. Juni ist Glenda Jackson 87-jährig in London gestorben.

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