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Audio-Amourös

Das Kino und seine Liebe zum Radio. Eine Spurensuche entlang einer Handvoll glänzender Filme

Veröffentlicht am
01. Februar 2024
Diskussion

2023 feierte das Radio in Deutschland seinen 100. Geburtstag. Das Medienecho, das dieses Jubiläum erfuhr, zeigte nicht zuletzt, was für eine Anziehungskraft das Medium nach wie vor ausübt, auch wenn es sich mit dem Eintritt ins digitale Zeitalter verändert hat. Zu den Liebhabern des Radios gehört auch das Kino; Filme haben sich immer wieder mit der Wirkkraft des Mediums befasst. Eine Spurensuche.


Jede Generation steht auf den Schultern von Riesen. Für die großen Erfindungen der Menschheit gilt das erst recht. Ohne Dampfmaschine kein Automotor. Ohne Fotografie kein Film. Und ohne die Entdeckung elektromagnetischer Wellen kein Radio. Vor etwas mehr als einhundert Jahren fand die erste Rundfunkübertragung in Deutschland statt. Am 29. Oktober 1923 machte die Sendestelle Berlin aus dem Voxhaus am Potsdamer Platz davon Mitteilung, dass „der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos telefonischem Wege“ beginne.


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Nun konnten Musik und das gesprochene Wort live an mehrere Empfänger gleichzeitig versendet und von diesen angehört werden - Jahre bevor Al Jolson als „Jazz Singer“ (1927) den Ton auch in den kommerziellen Film brachte. Präziser: den synchron übertragenen Ton. Denn klanglos war der sogenannte Stummfilm dank der von anwesenden Orchestern eingespielten Musik ja auch schon vorher nicht gewesen. Doch seine Geräusche waren dem Film noch äußerlich; es handelte sich um Begleitmusik.

Mit der Etablierung des Tonfilms wurden Sprache und Geräusche dann zur wichtigen Erzählebene. Schon im „Testament des Dr. Mabuse“ (1932) ist der Ton nicht einfach nur da, sondern er hat das Kino geradezu übernommen. So drückte es der Kritiker Michael Wood einmal aus. Lichtjahre vor der Etablierung der Podcasts versuchte Fritz Langs von Rudolf Klein-Rogge diabolisch gespielter Dr. Mabuse, sich mittels einer aufgezeichneten Tonaufnahme ein Alibi zu verschaffen – was später in zahlreichen Filmen und Fernsehserien nachgeahmt wurde.


Filmische Faszination für das Radio

Die Welt der Unterhaltung ist in den vergangenen Jahrzehnten umfassend, aber schrittweise überarbeitet worden. Wer das Radio kennt, wird von Podcasts nicht überrascht sein. Diese sind ebenso eine Weiterentwicklung, wie es das Fernsehen gegenüber dem Kino war oder die Videokassette gegenüber dem Fernseher. Alles baut auf eingeübten Gewohnheiten auf. Doch auf was konnte sich die Wahrnehmung stützen, als das erste Mal ein Mensch aus dem Radio sprach? Die bis heute andauernde Faszination für dieses intime Medium hat auch vor dem Spielfilm nicht haltgemacht.

„Verzeihen Sie mir, wenn ich die Vergangenheit verkläre“, meint Woody Allen als Erzähler seiner „Radio Days“ (1987) gleich zu Beginn. Der Film spielt in den 1930er- und 1940er-Jahren, als der Regisseur selbst noch Kind war. Bis zur Etablierung des Fernsehens blieb das bewegte Bild dem öffentlichen Raum in Gestalt der Kinos vorbehalten. In den Wohnzimmern der Menschen besaßen die Rundfunkempfänger das Unterhaltungsmonopol. Die Stimmen aus den großen Radiosendungen wie „Dragnet“, „Lone Ranger“ oder „The Green Hornet“, aus denen später selbst Fernsehserien und Filme wurden, zogen die Hörer in Bann. „Radio Days“, ein biografisches, nostalgisch-lustiges Werk, ist der womöglich schönste Film, der je über die Magie des Rundfunks gedreht wurde.

"Radio Days" (© Imago/Everett Collection)
"Radio Days" (© Imago/Everett Collection)

Die Blütezeit des Radios inspirierte auch Guy Maddin zu seinem Schwarz-weiß-Film „The Saddest Music in the World“ (2003). Als schwerreiche Brauereibesitzerin ruft Isabella Rossellini nach der Abschaffung der Prohibition einen Wettbewerb um die traurigste Musik aus. Ihr perfides Kalkül: Je häufiger traurige Musik erklingt, desto mehr Bier trinken die Menschen.


Das Heimelige und das Unheimliche

Fürs Radio arbeitete zu Beginn seiner Karriere auch der noch sehr junge Orson Welles, der wenige Jahre später mit „Citizen Kane“ das Kino revolutionierte. Am 30. Oktober 1938 wurde von New York aus seine vermeintliche Radioreportage ausgestrahlt, die eine Alien-Invasion verkündete. Was in Wahrheit eine Hörspielfassung von H.G. Wells’ Roman „Krieg der Welten“ war, riss nicht nur die Zuhörer aus den Wohnzimmersesseln, sondern schrieb zugleich Unterhaltungsgeschichte. Eine Massenpanik scheint Welles, anders als gern kolportiert, zwar nicht ausgelöst zu haben. Doch dass der Anschein des Dokumentarischen für Schockeffekte nutzbar gemacht wurde, nahm schon den Found-Footage-Horror des Kinos ein halbes Jahrhundert später voraus. Im Welles’ Hörspiel wird schließlich die Leiche des Reporters gefunden, bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Zum Abschied der Übertragung wünscht Welles den Hörern ein fröhliches Halloween.

Die vom nunmehr weltberühmten Regisseur Jahrzehnte später vorgebrachte Begründung hätte auch zum Siegeszug des Fernsehers gepasst: „Wir hatten es satt, dass die Leute alles glaubten, was aus dieser Zauberkiste kam.“ Am Radio fasziniert seit jeher seine Körperlosigkeit, der Transport der Stimme „auf dem Strahl der elektrischen Kraft“. Dem Medium eignet eine Unmittelbarkeit, welche die Menschen berührt. Es lässt sich fürs Heimelige ebenso nutzen wie zum Angsteinjagen, dient dem Stiften von Gemeinschaft und zum Aufbau von Spannung.

Sherlock Holmes versus Nazi Fake News aus dem Radio: "Stimme des Terrors" (© Imago/Allstar)
Sherlock Holmes versus Nazi-Fake-News aus dem Radio: "Stimme des Terrors" (© Imago/Allstar)

Die Nazis entdeckten in Deutschland mit der Propaganda noch eine weitere Funktion des Radios. Waren die Rundfunkgeräte anfangs noch unerschwinglich, fand das Medium durch den sogenannten Volksempfänger Einzug in die Wohnzimmer des Dritten Reiches. Auch die Alliierten bedienten sich zur Abwehr der deutschen Aggression während des Zweiten Weltkriegs des Mittels der Propaganda. In „Die Stimme des Terrors“, einem der frühen Sherlock-Holmes-Filme mit Basil Rathbone, deckt der Meisterdetektiv eine Nazi-Verschwörung in Großbritannien auf. Deutsche Agenten wollen mit Falschmeldungen übers Radio Angst in der britischen Bevölkerung verbreiten. Der Informationskrieg mit Fake News war also auch schon damals ein Thema, nicht erst in Zeiten von Social Media.


Sound einer neuen Generation

Ab den 1950er-Jahren diente das Radio vermehrt der Verbreitung von Musik für die neuerdings Teenager genannten jungen Zuhörer, oft präsentiert von charismatischen Moderatoren. In „American Graffiti“ von George Lucas ist dies der (auf dem Radio-DJ Wolfman Jack basierende) sagenumwobene Wolfman, der Curt Henderson (Richard Dreyfuss) und seine Freunde nicht nur mit Musik von Booker T. & the M.G.’s beeindruckt. Er hilft ihm auch bei der Suche nach einem Mädchen, das Curt nach einer flüchtigen Begegnung nicht aus dem Kopf geht.

Weniger um Romantik als um handfesten Suspense ging es Clint Eastwood in „Play Misty for Me, der im deutschen Verleih erstaunlicherweise „Sadistico – Wunschkonzert für einen Toten“ hieß. Eastwood selbst spielt Dave, der beim Sender KRML als DJ arbeitet. Eine seiner treuesten Hörerinnen wünscht sich in seiner Sendung häufig den Jazz-Standard „Misty“. Als Dave in der Kneipe eine Frau namens Evelyn kennenlernt und mit ihr eine kurze Affäre beginnt, offenbart sie sich nicht nur als ebenjene Hörerin, sondern bald auch als schwer gestörte und besitzergreifende Frau. Evelyn terrorisiert Dave, tötet im Wahn seine Haushaltshilfe und lässt auch danach nicht vom Objekt ihrer Begierde ab.

Clint Eastwoods Radiostimme zieht in "PLay Misty for Me" eine gefährliche Stalkerin an (© Imago/Entertainment Pictures)
Clint Eastwoods Radiostimme zieht in "Play Misty for Me" eine Stalkerin an (© imago/Entertainment Pictures)

Piratensender gab es in der Geschichte des Rundfunks zahlreiche, doch die wenigsten von ihnen sendeten tatsächlich von Schiffen. Nur während der großen Zeit von den Beatles und den Stones während der 1960er-Jahre taten dies gleich mehrere britische Stationen auf See. Hintergrund war, dass die BBC sich damals weigerte, deren Musik zu spielen. Dies bildet den Rahmen von Richard Curtis’ süffigem „Radio Rock Revolution“. Zu einer ganz ähnlichen Zeit, aber auf der anderen Seite des Atlantiks, spielt „Talk to Me“, in dem es statt um Rockmusik um Soul geht. Don Cheadle leiht dem ehemaligen Häftling Ralph Waldo Greene seine Gestalt, der in einer Zeit gesellschaftlicher Umwälzungen zur Stimme eines afroamerikanischen Senders wird.


Vielstimmig

Von einem Moderator erzählt Barry Levinsons Tragikomödie „Good Morning Vietnam. Der von Robin Williams unnachahmlich überdreht interpretierte Adrian Cronauer moderiert für den GI-Sender AFN in Saigon und begeistert die Soldaten mit populärer Musik und spöttischen Bemerkungen über Präsident Nixon. Einigen Funktionären im Militär wird er schließlich zum Ärgernis. Wegen seiner Kontakte zu Einheimischen wird Cronauer nach Guam strafversetzt. In „Talk Radio“ erzählte Oliver Stone die Geschichte des 1984 von einem Neonazi ermordeten Moderators Alan Berg – ein atmosphärischer, höchst beklemmender und bis heute der beste Film des Regisseurs.

Robin Williams in "Good Morning, Vietnam" (© Touchstone Pictures/Bonnie Schiffman)
Robin Williams in "Good Morning, Vietnam" (© Touchstone Pictures/Bonnie Schiffman)

In Nora Ephrons romantischem Kassenschlager „Schlaflos in Seattle“ nutzt ein kleiner Junge eine „Weihnachtswunsch“ genannte Sendung, um für seinen verwitweten Vater (Tom Hanks) eine neue Frau zu finden. Damit rührt er nicht nur Annie (Meg Ryan) zu Tränen. Zur Blütezeit der deutschen Beziehungskomödien in den 1990er-Jahren kümmerte sich Katja Riemann in „Stadtgespräch“ als Moderatorin um das Liebesleben ihrer Kundschaft; an dem Fernsehfilm wusste vor allem der lässige Soundtrack mit US-Soulstimmen der 1950er- und 1960er-Jahren zu überzeugen.

Eine Hommage an eine zur Zeit des Drehs noch laufende Radioshow alter Prägung gelang Robert Altman mit „Last Radio Show“. Garrison Keillor, der Begründer von „A Prairie Home Companion“ (so auch der Originaltitel des Films), schrieb nicht nur das Drehbuch, sondern spielte sich auch selbst; er ließ sich aber von zahlreichen Stars zur Hand gehen – darunter Tommy Lee Jones, Meryl Streep und nicht zuletzt Lily Tomlin, ein häufiger Gast in Altmans Filmen. Ein würdiges Alterswerk des Regisseurs, der wenige Monate nach dem Kinostart 2006 verstarb.

Nostalgische Hommage: "Last Radio Show" (© FilmConfect Home Entertainment)
Nostalgische Hommage: "Last Radio Show" (© FilmConfect)

Das oft besungene Radio gibt es immer noch, aber es hat an Bedeutung stark eingebüßt – und seine Erscheinungsform geändert. Den Live-Moment besitzt es längst nicht mehr exklusiv. Sendungen kann man sich inzwischen in Audiotheken und Podcasts unabhängig von Sendezeiten anhören. Sperrige und wenig quotenträchtige Formate drohen zunehmend gleich als Konserve zu enden, ohne überhaupt live gesendet worden zu sein. Derlei digitale Friedhöfe sind denkbar weit von der Intimität des Gemeinschaftsmoments entfernt, wie ihn zuletzt Emmanuelle Béart in „Passagiere der Nacht“ beschwor, mit Charlotte Gainsbourg als verlassener Mutter, die sich im Paris der 1980er-Jahre eine neue Existenz aufbaut.

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