Honig und Asche

- | Schweiz/Tunesien 1996 | 80 Minuten

Regie: Nadia Farès

Drei dramaturgisch geschickt miteinander verzahnte Geschichten um nordafrikanische Frauen verschiedener sozialer Herkunft: Eine 20jährige flüchtet vor den rigiden patriarchalischen Familienverhältnissen und verdient sich ihr Studium als Prostituierte; eine Frau wird von ihrem Mann, einem Universitätsprofessor, brutal mißhandelt; eine selbstbewußte Ärztin gibt ihre Erfahrungen an ihre Tochter weiter. Ein ebenso ambitionierter wie einfühlsamer Erstlingsfilm, der die Frauen nicht nur als Opfer darstellt, sondern auch ihren Kampf um Würde beschreibt. Dabei weist ihr Schicksal über das arabisch-muslimische Milieu hinaus und erlangt universelle Bedeutung. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
MIEL ET CENDRES
Produktionsland
Schweiz/Tunesien
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Dschoint Ventschr/CTV
Regie
Nadia Farès
Buch
Nadia Farès · Yves Kropf
Kamera
Ismael Ramirez
Musik
Jean-François Bovard · Mami Azairez · Slim Larnaout
Schnitt
Kahéna Attia Riveill
Darsteller
Nozha Khouadra (Leila) · Jamel Sassi (Idriss) · Amel Ledhili (Amina) · Naji Naheh (Moha) · Samia Mzali (Naima)
Länge
80 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Honig und Asche" erzählt die Geschichte dreier Frauen im heutigen Nordafrika. Verschiedener sozialer Herkunft und verschiedenen Alters, stehen sie zwischen Tradition und Moderne und erleiden ähnliche Formen von Gewalt und Unterdrückung und männlicher Doppelmoral. Es sind drei Geschichten von den Schwierigkeiten weiblicher Selbstverwirklichung in teils subtilen, teils rigiden patriarchalischen Verhältnissen. Zwar spielt der Film im Mahgreb, die Geschehnisse sind angesiedelt in einem arabisch-muslimischen Milieu, und dennoch sind die dargestellten Probleme universell: Es geht um Gefühle und Beziehungen, um Liebe, Haß, Lüge, Verrat, Gewalt und Enttäuschung.

Leila, eine 20jährige Frau, hat den gleichaltrigen Hassan zum Freund. Als sie in den Dünen schmusen, werden sie von drei Männern überrascht, die Hassan zusammenschlagen und Leila verletzen, die ihnen jedoch entkommen kann. Als sie zu Hause vom Vater verprügelt wird, packt sie ihre Sachen zusammen und sucht Zuflucht bei Hassan, der sie jedoch unter dem Druck seiner Mutter im Stich läßt. Die allein auf sich gestellte Leila geht an die Universität und bestreitet ihren Lebensunterhalt als Prostituierte. Kurz vor ihrem Examen verliebt sich Idriss, ein Kommilitone, in sie. Als er von einem Freund von ihrer "Nebentätigkeit" erfährt, will er sie aus Enttäuschung und verletztem Stolz mißbrauchen; Leila ersticht ihn in Notwehr und kommt ins Gefängnis. - Amina hat mit 30 Moha, ihren ehemaligen Universitätsprofessor, geheiratet. Sie haben eine Tochter, und Amina glaubt, eine gewisse Stabilität in ihrem Leben gefunden zu haben. Aber sie wird von Moha brutal mißhandelt. Als er ihre Hand so schwer verletzt, daß sie ins Krankenhaus muß, beschließt sie, sich von ihm zu trennen. - Die dritte Frau ist die 45jährige Ärztin Naima, die mit ihrer Tochter Mounia getrennt von ihrem Mann auf eigenen Füßen lebt. Als junges Mädchen war sie nach Rußland gegangen, um dem von ihrer Familie für sie ausgewählten Mann zu entrin- Amina nen. Sie gibt ihre Erfahrungen und ihr Selbstbewußtsein an Mounia weiter, mit der sie offene und ehrliche Gespräche führt. Die Wege der Ärztin Naima kreuzen sich mit jenen Leilas, der sie beizustehen versucht, und Aminas, der sie im Spital die verletzte Hand behandelt.

Nadia Fares ist dank ihrer schweizerischen Mutter und ihrem ägyptischen Vater in zwei Kulturen groß geworden. Sie hat in Bern und Kairo studiert und absolvierte in New York eine fünfjährige Filmausbildung. "Dieser Spielfilm ist auch das Resultat einer Suche in bezug auf meine Wurzeln als Filmautorin: Das bin ich, gespiegelt in den anderen und die anderen gespiegelt in mir." Nach einem Dutzend Kurzfilmen seit 1986, vor allem für das Westschweizer Fernsehen, ist "Honig und Asche" ihr erster langer Film. Wie sie die Geschichten der drei Frauen geschickt miteinander verknüpft, ist für einen Erstling eine beachtliche dramaturgische Leistung. Nadia Fares erzählt zupackend, elliptisch, mit melodramatischen Akzenten. Der Islam als Religion ist kaum präsent, so daß sich "Honig und Asche" nicht einfach als antiislamisch vereinnahmen läßt. Die Personen, sogar die Männer, sind durchaus differenziert gezeichnet. Dabei geht es Nadia Fares nicht nur um eine Darstellung der Unterdrückung der Frauen in einem bestimmten kulturellen und sozialen Umfeld. Sie wollte "auch den Mut und die Stärke arabischer Frauen zeigen". Der Film "ist nicht pur arabisch, da gibt es ganz verschiedene Feelings. Die filmische Dynamik ist von meiner Ausbildung in Amerika geprägt, der Lebensrhythmus, das Lebensgefühl ist sicher ägyptisch. Das ägyptische Kino hat einen starken Hang zum Melodrama, den habe ich auch" (Nadia Fares). Neben der Unterdrückung der Frauen und ihrem selbstbewußten Kampf dagegen gibt es noch ein anderes Thema, das sich durch den Film zieht: Lüge und Wahrheit. Als Moha seine mißhandelte Frau ins Krankenhaus bringt, sagt er, sie sei eine Treppe hinuntergefallen. Darauf erwidert die Ärztin Naima: "Die Lüge heilt nicht." Leila sagt im Gefängnis: "Ich habe Idriss nicht mit dem Messer, sondern mit der Wahrheit getötet." Und Naima erzieht ihre Tochter dazu, die Probleme und Schwierigkeiten nicht zu verdrängen, sondern die Verhältnisse so zu sehen, wie sie sind.
Kommentar verfassen

Kommentieren