Eine heillose, absurde, gottlose Welt

Showdown für Kirche und Glauben. Beobachtungen zum Film „Am Sonntag bist du tot“

Veröffentlicht am
23. Juni 2023
Diskussion

Showdown für Kirche und Glauben. Beobachtungen zum Film „Am Sonntag bist du tot“ von John Michael McDonagh.


Vielen Menschen begegnen katholische Priester häufiger im Film als in der Wirklichkeit, stellt eine Publikation über „Helden in Schwarz“ fest. Jenseits von Don Camillo und Pater Brown, vom Exorzisten-Schocker und Zölibats-Melodram gibt es im Genre des Priesterfilms immer wieder Werke, die tiefer gehen, grundlegende theologische und kirchenpolitische Fragen thematisieren: Filme wie „Tagebuch eines Landpfarrers“ von Robert Bresson, „Die Sonne Satans“ von Maurice Pialat - beides Verfilmungen von Romanen des katholischen Autors Georges Bernanos -, „Nazarin“ von Luis Buñuel oder „Der Priester“ von Antonia Bird.


Allegorische Dimensionen

Am Sonntag bist du tot“ von John Michael McDonagh ist ein doppelbödiger Film. Einerseits bietet er spannende Unterhaltung. Andererseits enthält er eine Sinnebene, die in ihrer Komplexität beim ersten Sehen nur zu erahnen ist. Exemplarisch steht dafür ein Gemälde, das im Film einem reichen Ex-Banker gehört: „Die Gesandten“ von Hans Holbein dem Jüngeren, eine kunstvolle Inszenierung von Blicken und Verweisen, bei dem man erst auf den zweiten Blick ein Kruzifix links oben als Anspielung auf die christliche Sinnperspektive und eine verzerrte Figur im Vordergrund als Totenschädel erkennt. Auch der Film lohnt einen zweiten Blick, weil sich dann hinter dem Krimi-Drama eine allegorische Dimension enthüllt. Es geht nicht nur um Father James (Brendan Gleeson) als Individuum, sondern auch um Kirche und Glauben schlechthin, was die Dialoge mehrfach unterstreichen. Man kann den Film als modernes „Morality Play“ lesen: Wie in Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ gibt es den angekündigten Tod und die Frist, die dem vom Tode Bedrohten bleibt, um mit seinem Leben ins Reine zu kommen.


Repräsentant einer „verbeulten“ Kirche

Father James hat den Täter erkannt, nutzt aber die Woche nicht, um dessen Tat zu verhindern, sondern versucht die Sinnhaftigkeit seiner Existenz zu untermauern, indem er seine Aufgaben als Pfarrer wahrnimmt. Irische (Film-)Landpfarrer waren schon immer wettergegerbte, knorrige Typen wie Father Collins (Trevor Howard) in David Leans „Ryans Tochter“. Aber was für einen Kerl hat sich McDonagh hier ausgedacht! Einen Bär von einem Mann, einen Kämpfer für den Glauben in einer scheinbar gottlosen Welt, einen Repräsentanten einer „verbeulten“ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie, wie von Papst Franziskus propagiert, auf die Straßen hinausgegangen ist.

Sein Profil gewinnt Father James im Vergleich mit den beiden anderen Priesterfiguren: seinem Kollegen Father Leary und dem Bischof. Seine Exzellenz ist schon optisch das genaue Gegenteil, schmales Gesicht, intellektuelle Brille, weltabgewandt, mehr am Duft seiner Rosen als an Menschen interessiert. Sein Metier sind dogmatische und formale Fragen, abstraktes Buchwissen ohne Lebensbezug. Leary hingegen ist der ängstliche Typ, der sich die Hände nicht schmutzig machen will. Gegen Ende des Films kracht es gewaltig: Father James, blutig geschlagen vom Kneipenwirt, wirft Leary – im wollenen Schlafanzug mit der Wärmflasche (!) im Arm –, fehlende Integrität vor: er wäre besser Buchhalter irgendeiner Versicherungsgesellschaft geworden.


Verstrickt in das Leben

Im Film fällt das Stichwort „Bernanos“, was den Kontext der Priesterromane und -filme explizit benennt. Anders als der bleiche, schwächliche, von Krankheit gezeichnete Pfarrer von Ambricourt in „Tagebuch eines Landpfarrers“, der als Wesen einer fremden, spirituellen Welt erscheint, ist Father James in das Leben mit all seinen Problemen verstrickt. Priester ist er erst nach dem Tod seiner Frau geworden. Seine erwachsene Tochter Fiona hat er vernachlässigt, als er seiner Berufung nachging. Er war Alkoholiker, neigt zu Hochmut und zeigt auch Anzeichen von Unduldsamkeit und Aggressivität. Die Begegnungen mit den Schäfchen seiner Gemeinde sind für ihn Testfälle als Priester.

Er wird mit Problemen konfrontiert, für die Antworten von der Kirche erwartet werden. Es geht um Sexualmoral, Hass und Gewalt, um Rassismus, soziale Verantwortungslosigkeit, Sterbehilfe, die Suche nach Sinn, um Schuld und Wiedergutmachung. Gleichzeitig wird die Haltung aller Figuren gegenüber Kirche und Glauben sichtbar, von Gleichgültigkeit über Kritik bis zu bodenlosem Hass. Deutlich wird, dass die Kirche nach den Missbrauchsfällen ihre Autorität als moralische Instanz verloren hat. Die Lage spitzt sich zu; eines Abends steht die Pfarrkirche in Flammen. „Ist das die Zukunft, dass alles in Trümmern liegt?“, fragt der Polizeichef angesichts der verkohlten Überreste. „Werden die Kinder in der Zukunft noch verstehen, was der Glaube an einen Gott bedeutet hat?“


Anspielungsreiche Verweise

Die Dialoge sind brillant geschrieben und voller Anspielungen auf die irische Geschichte, Mythologie und Literatur wie auf Kirchenthemen, vor allem im Hinblick auf Religion und Gewalt, Kirche und Macht. Was nicht im Dialog angesprochen wird, ist in Bildern präsent. Father James, der als Priester „Menschenfischer“ (Mt 4, 19) sein soll, liebt als Hobby das Angeln. Der gespaltene Felsen (Split Rock), ein mythologischer Ort, verweist auf die Prüfung. Niemand, heißt es, könne durch die Spalte gehen, ohne zermalmt zu werden. In einem Zwischenschnitt sieht man ein Rotkehlchen, ein versteckter Verweis auf Legenden, denen zufolge ein Rotkehlchen Christus am Kreuz beistand, wobei ein Blutstropfen auf seine Brust fiel. Eine wichtiges Thema ist die Theodizee-Problematik: die Frage, wie ein guter Gott so viel Leid und Gewalt zulassen kann.

Der Arzt, der als Atheist Tod und Vergänglichkeit nur mit Zynismus kommentieren kann, steht auf der einen Seite. Auf der anderen stehen Figuren wie der kannibalistische Serienmörder, der sich mit der Frage quält, ob ihm Gott, der ihn ja geschaffen habe, vergeben kann. Das eindrucksvollste Zeugnis tiefer Gläubigkeit bietet eine Französin, deren Mann bei einem Autounfall ums Leben kam, den betrunkene Jugendliche verursacht haben, die aber nicht mit Gott ins Gericht geht. Sie wird für Father James zur Quelle der Orientierung: Als er versucht, dem angedrohten Tod zu entfliehen, veranlasst ihn die Begegnung mit dieser Frau zur Rückkehr. Als Motto steht dem Film ein Augustinus zugeschriebenes Zitat voran: „Verzweifle nicht, einer der Verbrecher wurde erlöst. Frohlocke nicht, einer der Verbrecher wurde verdammt.“ Wobei die konkrete Formulierung von Samuel Beckett stammt, der die Landstreicher in „Warten auf Godot“ über Erlösung und Verdammnis in Bezug auf die mit Jesus gekreuzigten Verbrecher diskutieren lässt.


Father James als Christus-Figur

Eine heillose, absurde, gottlose Welt. Wo ist da der Ausweg? Die Antwort findet der Film in einer radikalen Christus-Nachfolge. „Am Sonntag bist du tot“ ist auch ein Passionsspiel mit dem Tod des Opfers, das für die Sünden der Anderen stirbt. Bezüge zum Leben Jesu sind vorhanden, wenn auch nicht stringent durchgeführt. Die Begegnungen lassen sich im Spiegel biblischer Figuren deuten: die Ehebrecherin, die von Dämonen besessene Frau, der reiche Jüngling. Das letzte Abendmahl wird hier zum einsamen Besäufnis, Verspottung und Geißelung zur Misshandlung mit dem Baseball-Schläger. Der Originaltitel des Films, „Calvary“ (lat. calva = Schädel), verweist auf den Ort der Kreuzigung Jesu, den Kalvarienberg, die „Schädelstätte“, im Film eindrucksvoll durch die leitmotivisch wiederkehrenden Bilder des Ben Bulben präsent, eines Tafelbergs nördlich der Stadt Sligo.

Ein zweites Leitmotiv ist das Meer als Symbol für die Ewigkeit. Der Showdown findet passenderweise am Strand statt. Die entscheidende Motivation des Missbrauchsopfers, das zum Täter wird, kommt hier zur Sprache: Es geht darum, Mitgefühl zu provozieren. Der Mann will von Father James, der Tränen vergossen hat, als er seinen Hund mutwillig getötet vorfand, wissen, ob er auch geweint habe, als er von den Missbrauchsfällen hörte. Da muss Father James eingestehen, dass er dies nur distanziert wahrgenommen hat, wie alles, was man in der Zeitung liest. An dieser Stelle richtet sich die Provokation nicht nur gegen die Filmfigur, sondern meint auch den Zuschauer, der sich fragen muss, wie er auf die Unheilbotschaften reagiert, die ihn über die Medien erreichen. Der grausame Tod von Father James ist aber nicht das Ende. Er hinterlässt eine Botschaft: Es werde zu viel über Sünden und zu wenig über Tugenden gesprochen, sagt er seiner Tochter Fiona im letzten Gespräch. Welche Tugend er an erster Stelle nennen würde, will sie wissen. „Vergebung“, lautet die Antwort. Die letzte Szene spielt im Gefängnis: Fiona sucht den Mörder ihres Vaters auf. Und sie vergießt Tränen.


Literaturhinweis

Helden in Schwarz. Priesterbilder im populären Film und TV. Von Theresia Heimerl, Lisa Kienzl (Hg.). Reihe Film und Theologie 27, Schüren Verlag, Marburg 2014. 176 S., 19,90 EUR.

Der Sammelband geht der Figur des katholischen Priesters als medialer Ikone der Popular Culture nach, die in ihrer optischen Unverwechselbarkeit und scheinbaren Ungleichzeitigkeit vielfältige Diskursräume eröffnet. Dabei geht es unter anderem auch um das fragile Spannungsfeld von Männlichkeit, Körper und Religion, um die Bedeutung von Dresscode, Hierarchie und das ambivalente Bedürfnis nach „besonderen Helden“. Die Beiträge analysieren die Priesterbilder unterschiedlicher populärer Genres und eröffnen durch religions- und kulturwissenschaftliche Fragestellungen neue Perspektiven auf eine Figur, die zum Bestandteil des kollektiven Medienbewusstseins geworden ist.

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