Tanguy - Der Nesthocker

Komödie | Frankreich 2001 | 109 Minuten

Regie: Etienne Chatiliez

Als der 28-jährige Sohn keine Anstalten macht, aus der elterlichen Wohnung auszuziehen, greifen die verzweifelten Eltern zur Selbsthilfe und wollen ihren Sprössling aus dem Haus ekeln. Hervorragend gespielte, elegant inszenierte böse Komödie, die auch Eltern ein Recht auf Selbstverwirklichung einräumt und der Egomanie junger Erwachsener einen ironischen Spiegel vorhält. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
TANGUY
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Les Productions du Champ Poirier/TF 1 Films/TPS Cinema
Regie
Etienne Chatiliez
Buch
Laurent Chouchan · Etienne Chatiliez
Kamera
Philippe Welt
Musik
Eric Michon
Schnitt
Catherine Renault
Darsteller
Sabine Azéma (Edith) · André Dussollier (Paul) · Éric Berger (Tanguy) · Hélène Duc (Großmutter) · Aurore Clément (Carole)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Komödie
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Edith hat ihren Säugling auf dem Schoß, einen Wonneproppen namens Tanguy. Sie verspricht dem Kleinen: „Wenn du willst, kannst du dein ganzes Leben bei uns verbringen.“ Leider nimmt Tanguy sie und ihren Mann Paul beim Wort: Auch 28 Jahre später lebt er inzwischen als promovierender Sinologe bei seinen Eltern in deren eleganter Pariser Wohnung. Eigentlich kein Problem, sollte man meinen, doch Tanguy setzt alles daran, den Eltern die beschauliche Zweisamkeit auszutreiben. Seine Schlampigkeit ist kaum zu überbieten, er verschwendet keinen Gedanken daran, sich in die Haushaltsarbeit einzubringen, ständig wechselnde Damenbekanntschaften, die regelmäßig zum gemeinsamen Frühstück erscheinen, stellen die Toleranz der Eltern auf eine harte Probe. Verschärfend kommen noch die ausgesprochen höflichen Umgangsformen des Sprößlings hinzu, der zudem seine Erzeuger mit ostasiatischen Lebensweisheiten zur Weißglut treibt. Als sich dann auch noch die Abgabe der Doktorarbeit um ein Jahr verzögert, versuchen die Eltern, die Notbremse zu ziehen: Sie wollen Tanguy aus der Wohnung ekeln. Doch der hat ihre Liebe so sehr verinnerlicht, dass er die kleinen misslichen Veränderungen im Alltag gar nicht wahrnimmt und auf jede Unfreundlichkeit mit noch mehr Freundlichkeit reagiert. Edith und Paul sind verzweifelt, es hilft nur die Flucht nach vorn. Ein klärendes Gespräch sorgt für den Auszug in eine eigene Wohnung, auf die der „Junge“ mit Verlustangst und Asthmaanfällen reagiert. Die Rückkehr zu den Eltern ist die Folge, diesmal allerdings mit enormen Auflagen und Schikanen von Seiten der Eltern, die Tanguy regelrecht in die Kindheit zurück katapultieren. Als Paul einmal mehr die Hutschnur platzt und er den Sohn hinaus wirft, erstreitet dieser vor Gericht sein Wohnrecht – Eltern sein ist wirklich kein Zuckerschlecken. Doch dann geschieht das Wunder: Tanguy sucht das Weite, auch mit Hilfe eines Stipendiums, das ihn nach Peking bringt. Für ihn ist es eine Reise ins Paradies: Chinesen sind eben extrem familienfreundlich. Auch in seinem vierten Spielfilm hat sich Etienne Chatiliez wieder der Familie angenommen, beobachtet mit (Hass-)Liebe zarte Familienbande. Dabei stellt er die gesellschaftlich unterstellte Elternliebe in Frage und rückt das Selbstbestimmungsrecht der Eltern in den Mittelpunkt. Die Idee zu seinem Film, der die Thematik um das gesellschaftliche Phänomen „Hotel Mama“, das immer mehr junge Erwachsene nutzen, wurde ihm von Regiekollegin Yolande Zauberman zugetragen, die ihm vom Fall eines 31-jährigen Italieners berichtete, dessen Mutter ihn aus dem Haus werfen wollte und der sich vor Gericht sein Bleiberecht erstritt. Ein Phänomen, das den 1952 geborenen Regisseur, der der Generation angehört, die dem Elternhaus nicht früh genug die Rücken kehren konnte, bei seinem Faible fürs Familiäre in der Tat faszinieren musste. Dabei fällt auf, dass sein Humor einen Teil seines Sarkasmus verloren hat, der vor allem „Tante Danielle“ (fd 28 360) noch so schwer erträglich machte. An die Stelle von Verzerrungen sind nun witzige Detailbeobachtung und nuanciertes Spiel getreten, wobei die Parteinahme für die Elternfraktion zu keiner Sekunde in Zweifel gezogen wird. Dass das böse, nie aber boshafte Spiel aufgeht, hat viele Gründe. Abgesehen vom perfekten Buch überzeugt nicht nur die elegante Kameraarbeit von Philippe Welt, der mit kaum merklichen Fahrten die unterschiedlichsten Gedankenwelten zusammenfasst und im Idyll der familiären Einheit große Unterschiedlichkeiten deutlich macht. Auch die Idee, traditionelle chinesische und von ihr beeinflusste Musik als Score zu verwenden, ist schlichtweg genial; kommt mit ihr doch das Wesen der weltentrückten Titelperson perfekt zum Ausdruck, der in seinen eigenen Sphären schwebt und sich um die Probleme seiner Eltern gar nicht kümmern kann, weil er sie gar nicht wahr nimmt. Hier prallen in der Tat zwei unvereinbare Welten aufeinander, die nur in der Schlusssequenz zu einer distanzierten Einheit verschmelzen. Stehen und fallen tut Chatiliez’ Film mit seinen perfekten Darstellern: Hélène Duc, stellt als abgeklärte Großmutter die „Affenliebe“ ihre Sohns Paul nachhaltig in Frage, während Eric Berger als Tanguy seinen Part mit einer dermaßen enervierenden Selbstgefälligkeit spielt, dass man sich nur noch die Haare raufen möchte. Den Vogel schießen freilich Sabine Azéma und André Dussolier ab (die bereits bei Alain Resnais gemeinsam u.a. in „Das Leben ist ein Roman“, fd 24 359; „Mélo“, fd 26 644 zu sehen waren): Mit sichtlicher Freude spielen sie die Parts der diabolischen Eltern, die sich zunächst für ihre Gehässigkeit und die seelischen Abgründen schämen, dann aber mehr und mehr Spaß am Ersinnen immer neuer Bosheiten gewinnen. Sie setzen dem rundum gelungenen Filmspaß das I-Tüpfelchen auf und tragen dazu bei, dass das hintersinnige Stück nie ins Abgründige entgleitet, sondern sich stets als Spiel zu erkennen gibt – auch wenn die Begleitumstände manchmal alles andere als lustig sind. Aber: Auch Eltern haben eben ihre Rechte.
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