Standing in the Shadow of Motown

Dokumentarfilm | USA 2002 | 108 Minuten

Regie: Paul Justman

Dokumentarfilm über eine Gruppe Detroiter Studiomusiker, die als "Funk Brothers" den musikalischen "Look" der Soul-Musik aus dem Hause "Motown" bestimmten, ohne selbst je in Erscheinung zu treten. Der sympathische Film versammelt die noch lebenden Mitglieder der Truppe und setzt ihnen wie den bereits verstorbenen Musikern ein Denkmal, indem er ihre Bedeutung und Musikalität würdigt. Interview-Szenen und ein Konzertmitschnitt vermitteln das Bild einer wenig bekannten Musikgeschichte. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
STANDING IN THE SHADOW OF MOTOWN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Rimshot
Regie
Paul Justman
Buch
Walter Dallas · Ntozake Shange
Kamera
Doug Milsome · Lon Stratton
Musik
Alan Slutsky
Schnitt
Anne Erikson
Länge
108 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Constantin (Paramount) (1:1.85/16:9/Dolby Digital 5.1)
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Diskussion
An Wim Wenders’ Spätwerk scheiden sich bekanntlich die Geister. Allerdings muss man ihm bescheinigen, dass er mit einem schlichten Dokumentarfilm mehr Positives bewirkt hat als es gemeinhin in der Macht eines Filmregisseurs steht. Seinem „Buena Vista Social Club“ (fd 33 721) ist es zu verdanken, dass die Arbeit einiger verdienter kubanischer Veteranen plötzlich vom zahlungskräftigen westlichen Publikum gewürdigt wird. Ein Nebeneffekt des Wenders-Films ist es wohl auch, dass sich einem amerikanischen Musikpublizisten endlich Gelegenheit zur Realisierung einer Herzenssache bot. Nach unzähligen Anläufen fand Allan Slutsky Finanziers für die Produktion eines Dokumentarfilms, der gleichfalls Heroen populärer Musik auf ihre alten Tage einem breiteren Publikum bekannt machen will. Allerdings dürfte die Musik, um die es hier geht, bereits populär sein. Wer zu jung ist, um selbst mit Motown-Songs aufgewachsen zu sein, kennt die Hits zumindest aus Film und Fernsehen. Denn seit „The Big Chill“ (fd 24 562) werden die alten Ohrwürmer des Soul-Labels regelmäßig eingespielt, wenn im Kino die Nostalgie der Babyboomer musikalisch untermalt werden soll. Auch die Namen der Interpreten – Marvin Gaye, Diana Ross & The Supremes, The Temptations, Stevie Wonder – sind geläufig. Doch wer waren die Musiker, die diese Platten einspielten? Wer hat die Backing Tracks zu den Songs von Smokey Robinson & The Miracles oder von Gladys Knight & The Pips beigesteuert? ‚Na, die Miracles und die Pips’, antworten die Kunden eines Plattenladens, denen in „Standing in the Shadow of Motown“ eben diese Frage gestellt wird. Klingt logisch. Ist aber Unsinn. Motown-Boss Berry Gordy rekrutierte in den 1960er-Jahren in Detroits Jazzszene ein gutes Dutzend Musiker, die fortan den Kern der Studioband der erfolgreichsten afroamerikanischen Plattenfirma bildeten. In wechselnder Besetzung sollten die Funk Brothers, wie sie sich selbst nannten, unter Leitung des Keyboarders Earl Van Dyke mehr Hits einspielen als Elvis, die Beatles und die Beach Boys zusammen. Dafür erhielten die Mitglieder der Rhythmusgruppe Tariflohn: 52,5 Dollar pro (dreieinhalbstündiger) Aufnahmesession; für Überstunden gab es Zuschläge. Jahrelang blieben die einzelnen Musiker anonym; namentlich gewürdigt wurden sie erst für ihre Beiträge zu Marvin Gayes epochalem Konzeptalbum „What’s Going On“ (1971). Ein Jahr später waren die Karrieren der meisten indes jäh beendet; ein Zettel an der Studiotür informierte einsilbig über den Ausfall einer Session, während Gordy den Umzug seiner Firmenzentrale nach Los Angeles in die Wege leitete. Nach Kalifornien gingen die wenigsten der Funk Brothers; statt dessen zerstreuten sie sich in alle Himmelsrichtungen. Als Co-Produzent Slutsky und Regisseur und Produzent Paul Justman die überlebenden Musiker zu den Dreharbeiten versammelten, hatten sich die meisten seit zwei Jahrzehnten nicht mehr gesprochen und oft ebenso lange kein Instrument mehr in den Händen gehalten. Entsprechend rührend ist es, das Wiedersehen der alten Männer zu beobachten. Natürlich werden sie noch einmal in das legendäre Studio A, „The Snakepit“, geführt, wo sie die meisten Motown-Hits einspielten. Erinnerungen gehen hin und her, Interviews beginnen mit „Weißt du noch...?“ Gelegentlich werden die Reminiszenzen, vor allem, wenn sie um den verstorbenen Bassisten James Jamerson ranken, durch kurze nachgespielte Szenen illustriert. Das gilt zum Beispiel für die herzzerreißende Episode, in der Jamerson, ein wahrer Gigant der Popmusik, sich zwei Monate vor seinem Tod betrunken auf den Balkon jenes Theaters schleicht, wo aus Anlass des 25-jährigen Motown-Jubiläums eine Gala-TV-Show aufgezeichnet wird – ohne die Funk Brothers. Man mag den Tonfall des Off-Kommentars bisweilen allzu salbungsvoll finden – andererseits hat der Gegenstand dieses Films eine solche Haltung allemal verdient. Das gleiche gilt für das gelegentliche Schulterklopfen, das den Funk Brothers von jüngeren Kollegen wie Meshell Ndegeocello und Ben Harper zuteil wird, die in ostentativer Andacht den Geschichten der Alten lauschen. Schade, dass die von der Fließbandproduktion in der Autoindustrie beeinflussten Arbeitsabläufe bei Motown, anders als in Slutskys gleichnamiger Buchvorlage, im Film nur am Rande zur Sprache kommen. Wie sehr die Funk Brothers mitunter überrascht gewesen sein müssen, wo sich in den veröffentlichten Songs letztlich Passagen ihrer Rhythm Tracks wiederfanden, kann man nur erahnen. Komponisten, Produzenten, Arrangeure kommen kaum zu Wort – vielleicht, weil die Filmemacher Angst hatten, dass die kreative Leistung geschmälert würde, wenn die beschränkte Rolle ihrer Figuren in der Hit-Fabrik Motown zu Tage träte. Die Neugier auf konkretere Informationen über die Studioarbeit wird ironischerweise durch die Unstimmigkeit zwischen Bild- und Tonebene in einer Szene angestachelt: Wenn man die Funk Brothers einen ihrer alten Songs neu einspielen sieht, erklingen irritierenderweise satte Bläsersätze, obwohl weit und breit kein Blasinstrument zu sehen ist. Ein Großteil des Films besteht aus Aufnahmen eines Konzerts in Detroit. Neben Ndegeocello und Harper interpretieren unter anderem Bootsy Collins und Chaka Kahn Motown-Klassiker, begleitet von den verbliebenen Funk Brothers, die Original-Arrangements spielen, die Slutsky akribisch von den alten Aufnahmen transkribieren ließ. Das ist musikalisch nicht eben aufregend, aber rührend anzusehen. Auf den Gesichtern der Musiker spiegelt sich bisweilen eine Versonnenheit, die erahnen lässt, wie sehr dieser späte Augenblick im Rampenlicht für alle etwas Besonderes ist. Dass den Funk Brothers die Ehre dieses Films viel zu spät zuteil wird, ist nicht zuletzt daran abzulesen, wie viele großformatige Fotos am Ende des Konzerts an die toten Kollegen erinnern. Mittlerweile sind auch Schlagzeuger Richard „Pistol“ Allen und Keyboarder Johnny Griffith gestorben. Immerhin haben die beiden dank Wenders noch die Produktion dieses filmischen Denkmals erlebt.
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