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Dokumentarfilm | Deutschland 2002 | 106 Minuten

Regie: Benjamin Geißler

Der jüdische Malers Bruno Schulz versuchte 1941/42 vergeblich, der Deportation zu entgehen, indem er die Villa des örtlichen SS-Führers im (damals) polnischen Drohobycz ausmalte. Detektivische Spurensuche, in der eine Vielzahl betagter Zeitzeugen ein differenziertes Erinnerungsmosaik entwerfen, das zum Fund der verschollenen Bilder in der Villa führt. Als diese wenig später von Mitarbeitern des israelischen Holocaust- Dokumentationszentrums Jad Vashem heimlich entführt werden, sorgt der Kunstraub weltweit für Aufsehen. Sensibler, hellsichtiger Dokumentarfilm, der die heterogene Materialfülle geschickt ordnet und durch einen gigantischen Montageaufwand verdichtet, wodurch sowohl ein facettenreiches Bild der Vergangenheit als auch ein aktuelles Porträt der Befragten entsteht. (Teils O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2002
Produktionsfirma
Benjamin Geissler Filmprod.
Regie
Benjamin Geißler
Buch
Benjamin Geißler
Kamera
Benjamin Geißler
Schnitt
Benjamin Geißler
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
In den Jahren 1941/42 malte der Autor und Maler Bruno Schulz um sein Leben. Während die meisten seiner jüdischen Mitbewohner der damals polnischen, heute in der Ukraine gelegenen Stadt Drohobycz von den NS-Besatzern ins Vernichtungslager deportiert worden waren, wurde Schulz von dem örtlichen SS-Führer Felix Landau mit der Aufgabe betraut, das Kinderzimmer in der von ihm okkupierten Villa mit Wandmalereien zu „verschönern“. So machte sich der damals bereits renommierte jüdische Künstler ans Werk – im Bewusstsein, dass sein Leben wohl so lange nicht gefährdet sei, wie er an den Fresken arbeitete. Doch sein Kalkül ging nicht auf. Im November 1942 wurde Schulz im Zuge der Rivalität zwischen Landau und einem anderen SS-Führer erschossen. 1992 las der deutsche Schriftsteller Christian Geissler in einem Ausstellungskatalog erstmals von Bildern von Schulz, die „unter ungewöhnlichen Umständen“ seinerzeit in Drohobycz entstanden und seitdem verschollen waren. Neun Jahre später machte sich Geissler zusammen mit seinem Sohn, dem Dokumentarfilmer Benjamin Geissler, auf den Weg nach Drohobycz, um nach den Bildern zu suchen, bei denen es sich – so viel hatte seine Recherche inzwischen ergeben – um eben jene Wandmalereien handeln musste.

Vordergründig dokumentiert der Film lediglich die Suche nach jenen Bildern: ein investigatives Projekt mit Anklängen an klassische Detektivgeschichten, das schon als solches ein spannendes Dokument über eine Reise in die (dunkle NS-)Vergangenheit ergeben hätte. Da tritt eine Fülle von betagten Zeitzeugen auf, die konkrete oder auch nur gänzlich vage Erinnerungen an jene Jahre zu Protokoll geben. Christian Geissler wird bei unzähligen Telefonaten „belauscht“ oder auch nur rauchend auf einer Straße im verschneiten Drohobycz ins Bild gesetzt. Dabei entsteht nach und nach ein vielschichtiges Mosaik von Figuren, gespeist aus ihren Erzählungen über ihre damaligen, aber auch heutigen Lebensumstände. Parallel zu diesen beklemmenden Berichten laufen die Bemühungen, von den beiden Söhnen Felix Landaus Näheres über die ominösen Bilder des Bruno Schulz zu erfahren. Von denen zeigt sich der eine durchaus kooperativ, während sich der andere, der heute in Australien lebt, partout an nichts erinnern will. Eine aufwändige Spurensuche, die ein Happy End hat: Die Geisslers machen die gesuchte Villa ausfindig und entdecken darin in einer winzigen Speisekammer die verschollenen Fresken. Polnische und ukrainische Kunstexperten und Restauratoren werden hinzugezogen, die die Funde examinieren und für echt befinden. Eine kleine Sensation, mit der dieser – bis dahin schon sehenswerte – Film ein durchaus schlüssiges Ende hätte finden können. Doch dann nahm das Projekt eine unerwartete Wendung. In einer Nacht-und-Nebel- Aktion entfernten Angestellte des Jerusalemer Holocaust-Dokumentationszentrums Jad Vashem die Fresken und brachten sie nach Israel. Ein spektakulärer Kunstraub, der weltweit für Aufsehen sorgte und eine Diskussion über die Frage entfachte, wer die rechtmäßigen Erben der künstlerischen Werke von Holocaust-Opfern sind.

So ist der schlichte Titel „Bilder suchen“ ein glattes Understatement für einen facettenreichen Dokumentarfilm, der der Komplexität seiner Thematik auch formal in jeder Hinsicht gerecht wird. Benjamin Geissler erzählt die Geschichte(n) keineswegs linear, sondern lässt sie ohne jeden Off-Kommentar nach und nach aus einer Fülle von heterogenen Elementen entstehen. Da wird mit (Mehrfach-)Überblendungen und einander überlappenden Bild- und Tonspuren gearbeitet, wird im Off aus Werken des Bruno Schulz rezitiert, werden Sequenzen sparsam, aber effizient mit stimmigen Sounds unterlegt. Ein gigantischer Montage-Aufwand, der ein Höchstmaß an Konzentration verlangt, aber nie ins Kunstgewerblich-Artifizielle abgleitet. Dennoch „lebt“ der Film letztlich von all den Menschen, die hier keineswegs nur als Zeitzeugen auftreten. Geissler gelingt das Kunststück, sie in kurzen Skizzen auch in ihren aktuellen Lebenssituationen zu porträtieren. So steckt in diesem Dokumentarfilm einen ganze Fülle von Sujets, von denen jedes für sich schon einen eigenen Film gelohnt hätte.

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