Miles Electric: A Different Kind of Blue

Musikfilm | USA 2004 | 87 Minuten

Regie: Murray Lerner

Beim "The Isle Of Wight Festival" im Sommer 1970 wurde der knapp 40-minütige Auftritt des Jazz-Trompeters Miles Davis und seiner Band zum Glücksfall der Musikgeschichte. Davis zelebrierte er vor mehr als 500.000 Zuhörern rabiat seine eigene Ruhelosigkeit und erwies sich damit künstlerisch als innovativer als mancher, der vor oder nach ihm auf der Bühne stand. Murray Lerner kombiniert Archivaufnahmen mit aktuellen Interviews, zeichnet die rasante Karriere von Miles Davis bis 1970 nach und schneidet Gespräche mit Wegbegleitern ein. Als dramaturgischen Höhepunkt zeigt er das Konzert vom 26.8.1970, dankenswerterweise ohne jede Unterbrechung. Dadurch entfalten sich die organische Struktur des Stücks, die Dynamik des Zusammenspiels und die Atmosphäre des Festivals auf sehr authentische Weise. Ein Hauch dessen, was sich damals ereignete, scheint nachvollziehbar. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MILES ELECTRIC: A DIFFERENT KIND OF BLUE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2004
Regie
Murray Lerner
Buch
Murray Lerner
Kamera
Murray Lerner · Henry Adebonojo · Nicholas Doob · Bob Erfstrom · Kramer Morgenthau
Schnitt
Einar Westerlund · Ed Goldberg
Länge
87 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Eagel Vision/Edel (FF, DD5.1 engl., dts engl.)
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Diskussion
Als „The Isle Of Wight Festival“ im Sommer 1970 zum dritten Mal stattfand, war der Auftritt von Miles Davis und Band wohl jener, der am wenigsten zu denen der „klassischen“ Rockmusiker passte. Gleichzeitig stellte sein knapp 40-minütiges Konzert einen Glücksfall der Musikgeschichte dar. Davis hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 25 Jahre lang maßgeblich an ihr mitgeschrieben; als er sich nun mit seiner „Super Group“ des zeitgenössischen Jazz unter die illustre Schar von Rock-Bands wie Jethro Tull, Ten Years After, The Doors oder Emerson Lake & Palmer mischte, war er bereits so etwas wie ein Veteran und wurzelte zudem in einem ganz anderen musikalischen Kontext. Auf dem Höhepunkt seiner „ersten elektronischen Phase“ war Miles Davis sich für dieses Hippie-Event nicht zu schade. Vor mehr als 500.000 Zuhörern und Kollegen, die durchschnittlich zwanzig Jahre jünger waren als er, zelebrierte er rabiat seine eigene Ruhelosigkeit. Und erwies sich damit künstlerisch als innovativer und damit auch jünger als manch anderer, der vor oder nach ihm auf der Bühne stand. Tragischerweise kam es weder dort noch später zu einer musikalischen Begegnung zwischen Miles Davis und Jimi Hendrix – zwölf Tage nach seinem eigenen Auftritt auf dem Festival war Hendrix tot. Regisseur Murray Lerner gehörte 1970 zu den Kameramännern, die das Festival auf 16mm dokumentierten. Vor „Miles Electric“ hatte er bereits in drei anderen Filmen dieses Ereignis für die Nachwelt aufgearbeitet: in „Jimi Hendrix at the Isle Of Wight“ (1992), „The Who at the Isle Of Wight“ (1996) und „Message to Love“ (1997). Lerner drehte auch einen Film über das Folk-Festival von Newport („Festival“ 1967) sowie im Jahr 1980 eine Dokumentation über das Gastspiel Isaac Sterns in China („Von Mao zu Mozart“, fd 32 232). Im Gegensatz zu den vorherigen, rein historisch verankerten Filmen kombiniert Lerner jetzt Archivaufnahmen mit aktuellen Interviews – ein ebenso nahe liegendes wie wirkungsvolles Verfahren. Zunächst zeichnet er die rasante Karriere von Miles Davis bis zum Jahr 1970 nach und schneidet immer wieder Gespräche mit seinen Wegbegleitern ein. Als dramaturgischen Höhepunkt zeigt er das Konzert vom 26. August 1970, dankenswerterweise ohne jede Unterbrechung. Dadurch entfalten sich die organische Struktur des Stücks, die Dynamik des Zusammenspiels und die Atmosphäre des Festivals auf sehr authentische Weise. Ein Hauch dessen, was sich damals ereignete, scheint nachvollziehbar. Davis dominiert als Mensch und Musiker unübersehbar, zieht sich aber auch mehrfach zurück, um seinen Mitspielern Freiräume einzuräumen. Wenn er dann wieder einsetzt, tut er dies mit leisen, sich in die laufenden Improvisationen sanft einflechtenden Tönen. Seine Präsenz und Konzentration fallen unglaublich dicht aus, die Virtuosität der ihn begleitenden Musiker (Herbie Hancock, Chick Corea, Carlos Santana, Keith Jarrett oder Airto Moreira) zollt stets Davis' Charisma Tribut, dies souverän, nie unterwürfig. Das Stück korrespondiert eng mit den Aufnahmen der legendären LP „Bitches Brew“ (1969), ohne unmittelbar einen der darauf enthaltenen Titel zu reproduzieren. Als Davis nach dem Namen des Stücks gefragt wurde, soll er geantwortet haben: „Call It Anything“ – so heißt es nun auch. Es hat den einzigen Mangel, nur knapp 40 Minuten zu dauern. Zum Abschluss des Films vermochte es Lerner noch, einige der damaligen Musiker aus heutiger Sicht zu einer improvisierten Hommage an Miles vor der Kamera zu animieren; wiederum ein gelungener, eine Brücke zum Heute schlagender Kunstgriff. Insgesamt bietet „Miles Electric: A Different Kind of Blue“ mehr als sich erwarten ließe und macht Lust, sich erneut in das Werk des Jahrhundert-Trompeters einzuhören.
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