Joe Strummer - The Future Is Unwritten

Biopic | Großbritannien/Irland 2007 | 124 Minuten

Regie: Julien Temple

Liebevolles Porträt des 2002 gestorbenen Punk-Rockers Joe Strummer ("The Clash"), das den Werdegang des Musikers nachzeichnet und zugleich dessen widersprüchlichen Charakter in all seinen Facetten gerecht wird. Dabei macht der Regisseur keinen Hehl aus seiner freundschaftlichen Nähe zum Porträtierten. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
JOE STRUMMER: THE FUTURE IS UNWRITTEN
Produktionsland
Großbritannien/Irland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Parallel Film Prod./Nitrate Films
Regie
Julien Temple
Buch
Julien Temple
Kamera
Ben Cole
Schnitt
Niven Howie · Mark Reynolds · Tobias Zaldua
Länge
124 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Biopic | Musikfilm | Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl.)
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Diskussion
Der Punk-Rocker Joe Strummer hatte ein Faible fürs Feuer. Nicht nur brennenden Barrikaden im seinerzeit umkämpften Londoner Stadtteil Brixton galt seine Sympathie, vor allem klassische Lagerfeuer mit knisternden Holzscheiten hatten es dem zornigen jungen Mann angetan. Wo und wann immer er Zeit und Brennholz fand, hockte sich Strummer gern mit Kollegen, Freunden und Fans um ein Feuerchen, um zu rauchen, ein paar Biere zu zischen und über Gott und die Welt zu plaudern. Weshalb Julien Temple auf die Idee verfallen ist, es in seiner Dokumentation über Leben und Wirken des schon zu Lebzeiten legendären Musikers ordentlich flackern zu lassen. Auf mehreren Kontinenten ließ er Lagerfeuer entfachen, um die sich Freunde und ehemalige Weggefährten Strummers scharten, um ihren Erinnerungen an den 2002 Verstorbenen nachzuhängen. Selbst wenn sich mehr oder weniger prominente Zeitgenossen äußern, lodert da irgendwo ein Flämmchen. Diese romantischen Campfire-Sequenzen nehmen sich bisweilen ein wenig albern aus, geben in ihrer Ruhe dem Film aber eine klare Struktur, und diese kleinen Entspannungsmomente lernt man im Verlauf des Films zu schätzen. Ansonsten gönnt einem Temple – seit seinen Filmen über die Sex Pistols („The Great Rock’n’ Roll Swindle“, fd 23 352; „The Filth and the Fury“) so etwas wie der Chronist des Punk-Rock – kaum nennenswerte Verschnaufpausen. Über die Langstrecke von 123 Minuten ist ihm ein eindrucksvolles, in weiten Teilen mitreißendes Porträt gelungen, das durch seine Fülle an Archivbildern ebenso besticht wie durch eine rasante bis virtuose Montage; eine fiebrige Bild- und Sound-Collage, die entschieden mehr ist als Denkmalpflege aus dem Geist der Nostalgie. Wer hier eine Oldie-Party zu Ehren von The Clash erwartet, dürfte sogar einigermaßen enttäuscht sein. Zwar ist die Musik der 1976 gegründeten Band und ihres charismatischen Frontmanns Strummer nahezu allgegenwärtig, doch kein einziger ihrer Hits von „White Riot“, „London Calling“ oder „Should I Stay or Should I Go“ ist in einem der unzähligen Konzertmitschnitte in voller Länge zu hören. In erster Linie liefert die knapp zehn Jahre währende Clash-Ära die Folie für die Rekonstruktion eines bewegten Stücks Musik- und Zeitgeschichte. Beim Bemühen um eine Verschränkung des öffentlichen mit dem privaten Joe Strummer kam dem Regisseur zugute, dass ihm die Nachlassverwalter seines Protagonisten bereitwillig Zugang zu dessen Hinterlassenschaften ermöglichten. Da der Vater offenbar begeisterter Hobby-Filmer war, finden sich zahlreiche Super-8-Aufnahmen aus den Kindertagen des Diplomaten-Sohns Strummer. Mehr oder minder chronologisch zeichnet der Film über Schulzeit, Sympathien für die Hippie-Bewegung, erste musikalische Gehversuche oder den Eintritt in die Londoner Hausbesetzer-Szene den Lebensweg des Bürger-Sohns nach. Wobei Erinnerungen ehemaliger Kumpane eine ebenso große Rolle spielen wie Gedankenfetzen aus Strummers überbordender Zettelsammlung und seine Comic-Zeichnungen, die teils zu kleinen Animationsfilmen verdichtet werden. Doch der Fokus liegt auf jenen Jahren, in denen ein undogmatischer Strummer als Kopf von The Clash schon früh demonstrierte, dass Punk sich durchaus mit Musikrichtungen wie Folk oder Reggae kombinieren ließ. Strummers andere Aktivitäten, etwa die als Schauspieler u.a. in Jarmuschs „Mystery Train“ (fd 27 960), und seine musikalischen Projekte nach Auflösung von The Clash spielen in der Dokumentation eine untergeordnete Rolle. Julien Temple bezeichnet Strummer als seinen Freund, und sein Film ist durchgehend von Sympathie getragen, was u.a. dazu geführt haben mag, dass der Regisseur die (schlichten) Ansichten seines Helden über den Zustand der Welt und das Sein an sich geflissentlich überhöht und ihn zum Intellektuellen stilisiert. Seine Klagen über realexistierende Ungerechtigkeiten mit Sequenzen aus dem Animationsfilm „Animal Farm“ zu illustrieren, ist fraglos auch keine sonderlich originelle Idee. Doch glücklicherweise sind derartig holzschnittartige Passagen die Ausnahme, während die Punk-Ikone als durchaus widersprüchlicher (ergo: lebendiger) Charakter daherkommt, der keine Hemmungen hatte, selbst besten Kumpels die Freundinnen auszuspannen. Summa summarum: ein Muss für alle Clash-Fans, ein lohnender Trip für alle, die die späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre mit halbwegs wachem Geist durchlebt haben.
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