Effi Briest (2008)

Drama | Deutschland 2008 | 118 Minuten

Regie: Hermine Huntgeburth

Die 17-jährige Tochter einer standesstolzen preußischen Landadelsfamilie wird im späten 19. Jahrhundert in die lieblose Ehe mit einem doppelt so alten Baron und Landrat gezwungen und nach einem Ehebruch geächtet. Verfilmung des Romans von Theodor Fontane in einer zeitgemäßen Interpretation, bei der die tragische Lebenserzählung nun den Geist einer modernen Emanzipationsgeschichte atmet und auf das Verhältnis der Geschlechter fokussiert. Konsequent erzählt als stimmungsvoller, reich ausgestatteter und sehr detailfreudiger Kostümfilm, überzeugt vor allem das nuancierte Spiel der Hauptdarstellerin im Reigen weiterer konsequent interpretierter Frauenfiguren. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Constantin Film
Regie
Hermine Huntgeburth
Buch
Volker Einrauch
Kamera
Martin Langer
Musik
Johan Söderqvist
Schnitt
Eva Schnare
Darsteller
Julia Jentsch (Effi Briest) · Sebastian Koch (Geert von Instetten) · Juliane Köhler (Mutter Luise Briest) · Barbara Auer (Johanna) · Misel Maticevic (Major von Crampas)
Länge
118 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein ausführliches "Making Of" (30 Min.) sowie ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen (7 Min).

Verleih DVD
Constantin/Highlight (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Unzählbar sind die Myriaden gequälter und gelangweilter Schülerinnen und Schüler, die sich im Deutschunterricht durch Theodor Fontanes Spätwerk „Effi Briest“ (1896) durchbeißen mussten und müssen. In der Tat macht es einem dieser „Schmöker“ in seiner akribischen und detailreichen, bei oberflächlicher Lektüre gleichwohl undramatischen und an äußerer Spannung gänzlich uninteressierten Erzählweise nicht leicht, einen Zugang zu finden – besonders nicht aktuellen (und jungen) Lesern, die weder etwas mit dem „poetischen Realismus“ Fontanes sowie seiner englischen und französischen Zeitgenossen noch dessen herausragender Bedeutung als kulturschaffende Größe seiner Epoche „am Hut“ haben. Vielleicht würde man sie eher noch mit Balzac und Dickens ködern können, vielleicht auch mit früheren, „leichteren“ Werken Fontanes, etwa seiner leidenschaftlichen Novelle „L’Adultera“ oder seinem eher kuriosen Kriminalroman „Unterm Birnbaum“. „Effi Briest“ freilich ist in vielerlei Hinsicht ein weises, anspruchsvolles Meisterstück Fontanes, das alle Meriten und Themen seiner früheren Werke aufs Trefflichste zusammenführt – und dies so fernab jeder literarischen Kraftmeierei und Eitelkeit, dass die scheinbar beiläufige Entspanntheit des Schreibens fast schon etwas vom „Loslassen“ im zenbuddhistischen Sinne hat. In „Effi Briest“ bedürfen die ausufernden, gepflegten Konversationen der Figuren bei Tisch, beim Flanieren oder im Salon unter Beachtung strenger gesellschaftlicher Konventionen kaum einer besonderen Beschreibung von Räumen und Kulissen, vielmehr charakterisieren sich die Personen allein durchs Gespräch, zeichnen sich dabei quasi selbst präzise und plastisch, geben sich preis und transportieren mittelbar Fontanes ebenso fein wie ironisch gesetzte Gesellschaftskritik. Nur „Der Stechlin“ ist da noch konsequenter und „radikaler“ (wohl auch noch altersweiser). Für einen Kinofilm sind solche feinen, explizit literarischen Stilmittel natürlich pures Gift. Gleichwohl hat auch das Kino seine ganz eigene Tradition des poetischen Realismus, mit dem es überwiegend düster und pessimistisch den Konflikt zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft im jeweils spezifischen Milieu zu beschreiben weiß. Dabei ist Rainer Werner Fassbinder mit seiner „Effi Briest“-Adaption (fd 188 89) die bislang wohl (be-)zwingendste Auseinandersetzung mit dem Scheitern eines Menschen in einem beklemmenden Geflecht aus Zwängen gelungen, indem er meisterhaft über die soziale Situation seiner Figuren sowie die des Künstlers reflektierte. Von solcher vergleichsweise intellektuellen Herangehensweise an den Fontane-Stoff sind Produzent Günter Rohrbach und Regisseurin Hermine Huntgeburth mit der mittlerweile fünften Verfilmung der „Effi Briest“ weit entfernt. Selbstbewusst und offensiv suchen sie keinen gebrochenen Zugang zur literarischen Vorlage, arbeiten vielmehr zielstrebig und geradlinig das heraus, was ein heutiges Publikum an dem Stoff noch bewegen und berühren könnte. Ohne falsche Scheu und Berührungsängste entfalten sie einen prachtvoll ausgestatteten und prächtig anzusehenden „Kostümfilm“ – und zwar im allerbesten Sinne dieses Wortes: kein bieder-verkitschtes Rosamunde-Pilcher-Format, sondern ein groß und weit aus- und einatmendes Kino-Melodram mit Sinn und Gespür besonders für das verheißungsvolle Licht der weiten Meeres- und Sandlandschaft (vom Hinterpommern bei Fontane verlegt an die Ostsee-Küste), aber auch für das die Innenräume beherrschende Zwielicht, das dämonische Schatten wirft und die Räume zu engen Gefängnissen macht. Vieles an filmischen Handlungs- und Dialogdetails ist freilich „echt“ Fontane, sodass man sich immer wieder verwundert fragt, warum einem solche Feinheiten des Romans zwischenzeitlich entfallen waren – und doch ist alles, oder vieles, gänzlich anders: expliziter, greifbarer, ja sogar leidenschaftlicher. Auch die junge Effi Briest selbst, die zum Ende des 19. Jahrhunderts von ihren standesstolzen preußischen Eltern in die Ehe mit dem ungeliebten, doppelt so alten Landrat Gert von Innstetten gedrängt wird, ist gänzlich anders, sinnlich, physisch wie psychisch „konkreter“ – ein von Ängsten und Nöten, besonders von seinen Wünschen und Hoffnungen, seinen Begehrlichkeiten, Passionen und auch sexuellen Leidenschaften bedrängter Mensch. Diese Effi Briest hat zudem ein modernes und gegenwärtiges Gesicht, das man in Zukunft nicht mehr von der Schauspielerin Julia Jentsch wird trennen können und wollen. Die Leerstellen, in denen der Roman vieles nur vage andeutet, füllt Julia Jentsch eindrucksvoll mit Leben und Charakter, mit gezähmter Liebesgier wie mit beschädigter Würde, mit purer Lebensfreude wie auch mit tiefem Lebensschmerz: die Hochzeitsnacht mit Innstetten, in der sich Effi hilflos stöhnend dem rüden Kraft- und Liebesakt beugen muss, ebenso wie sie später – in den Ehebruch getrieben – in den Umarmungen von Major Crampas die „Freiheit“ der körperlichen Liebe neu und anders erlebt. Da braucht es dann keinen Theodor Fontane und seiner langen Dialogpassagen mehr, wenn Julia Jentsch kurz schaut und einfach nur sagt: „Noch mal.“ Ähnlich wie sie später, am Ende von Effis Weg, verstoßen von der Gesellschaft und den Eltern, die kalkulierte Kaltherzigkeit ihrer Mutter erfasst und dies mit einem leisen „Ach so“ kommentiert. Überhaupt sind es die Frauen, die eine ausgesprochen spannende charakterliche Präzisierung gegenüber der Buchvorlage erfahren haben. Während die Männer im Statischen verharren, standesstolz ihren preußischen Ehrbegriff leben (ausgenommen ist da der einfühlsame, „feminine“ Apotheker Gieshübler), sind es die Frauen, die Leidenschaft ins Spiel bringen – und dies gewiss nicht nur im guten Sinne, vielmehr auch als „zu kurz Gekommene“, Betrogene und Unerhörte, die nun aus Leid, Rachgier und Missgunst ihrerseits intrigieren. Juliane Köhler als Luise von Briest und Barbara Auer als Johanna, aber auch Margarita Broich als Roswitha konturieren vielschichtig ihre von den Umständen „geschundenen“ Figuren. Vielleicht hätte Fontane, der in seinen Romanen immer wieder großartige Porträts zeitgenössischer Frauenschicksale entwarf, diese Interpretation seiner Frauenfiguren ja gefallen. Und vielleicht gefällt es auch manchem Schüler und mancher Schülerin, die sich nach so viel „Passion“ im Kino nicht mehr ganz so schwer mit der Fontane-Lektüre tun – zumal sie mit Effi Briest diesmal eine überlebende und überlebensfähige Identifikationsfigur bekommen.
Kommentar verfassen

Kommentieren