Tyrannosaur - Eine Liebesgeschichte

Drama | Großbritannien 2011 | 92 Minuten

Regie: Paddy Considine

Eine gläubige Christin, die unter ihrem alkoholabhängigen Ehemann leidet, nimmt sich eines Mannes an, der an seiner Aggression, seiner inneren Emigration und der Tristesse des Glasgower Alltags zu zerbrechen droht. Die beiden versuchen, ihrem traurigen Leben einen Halt zu geben, ohne eine Garantie für die Zukunft zu haben. Ein ganz von der Liebe zu seinen Personen geprägter Film, der die Hoffnung vermittelt, dass eine höhere Macht dem Leben Trost und Sinn spenden könnte. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TYRANNOSAUR
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Warp X/Inflammable Films
Regie
Paddy Considine
Buch
Paddy Considine
Kamera
Erik Wilson
Musik
Dan Baker · Chris Baldwin
Schnitt
Pia di Ciaula
Darsteller
Peter Mullan (Joseph) · Olivia Colman (Hannah) · Eddie Marsan (James) · Paul Popplewell (Bod) · Ned Dennehy (Tommy)
Länge
92 Minuten
Kinostart
13.10.2011
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Sie gelten als ausgestorben, die Echsen, deren Name Programm war. Der Tyrannosaurus Rex wütete durch die Kreidezeit, allseits gefürchtet wegen seiner Aggression, mit der er seinen Opfern hinterrücks den Nacken durchbiss. Ähnlich mutet jener Mann an, der brüllend aus der Kneipe torkelt und seinem Hund und einzigen Freund kräftig in die Seite tritt. Joseph ist ein Relikt der Vorzeit, der in jenem Teil von Glasgow lebt, wo die Umgebung so trist ist wie das Innere seiner Bewohner. Er ist ein Einzelkämpfer, der provoziert, sich dann zurückzieht, dem sich abwendenden Gegner dann aber die Bierflasche über den Kopf haut oder ein Schaufenster crasht. Nach einer dieser Taten flüchtet er in Hannahs Caritas-Laden, versteckt sich hinter einer Stange voller Kleider und lässt sich nur langsam durch ihre besorgten Worte wieder hervorlocken. Der Dank: Ein Abgesang auf Hannahs erstarrte Ehe und ihren „Gutmenschen“-Gestus, mit dem die gläubige Christin ihrem traurigen, wohlsituierten Leben einen Sinn einzuhauchen versucht. Dabei hat Hannah selbst einen Tyrannosaurus Domesticus zu Hause. Völlig abgestumpft stellt sie sich schlafend, wenn ihr betrunkener Ehemann schreiend nach Hause kommt und auf sie uriniert. Warum sie ihn nicht mehr erträgt, wird klar, als er sie wegen Nichtigkeiten aus Eifersucht zusammenschlägt und danach ein Mitleid einfor-dert, das er längst verwirkt hat. Es sind traurige Leben, die Paddy Considines Figuren führen, obwohl sie so viel Großmut und Verantwortung in sich fühlen. Hannahs großes Herz kann den brutalen Ehemann nicht ausschließen, Josephs Beschützerinstinkt führte dazu, dass er sich bis zu ihrem Tod um seine schwergewichtige und behinderte Frau kümmerte. Hier enthüllt sich der Sinn des Filmtitels: Wie in „Jurassic Park“ (fd 30 396) hätte seine Frau den Tee in seiner Tasse zum Erschüttern gebracht, wenn sie die Treppe hoch stapfte, erzählt er Hannah. Und schiebt verlegen hinterher: Diese Beschimpfung sei nicht nett gewesen. Aber was ist schon nett unter Umständen, in denen Aggression und innere Emigration zu den einzigen Reaktionsmustern geworden sind, auf ein Dasein, das man sich als Kind ganz anders erträumte? Ken Loach packt solche Figuren gerne in Sozialdramen und in die graue Tristesse bürgerlicher Reihenhauser oder Plattenbauten. Nicht umsonst wird Joseph von Peter Mullan gespielte, der schon in Loachs Alkoholikerdrama „My Name is Joe“ (fd 33 480) glänzte, wobei seine störrische Verbissenheit hier eindrucksvoll mit der unendlichen Traurigkeit von Olivia Colman harmoniert. Paddy Considines Kinodebüt ist die Fortführung seines Kurzfilms „Dog Altogether“ (2007), der sich auf den tobsüchtigen Joseph konzentrierte. Ihre Freundschaft, die vielleicht auch eine Abhängigkeit ist oder die späte Liebe zwischen zwei Menschen, die alten Verhaltensmustern folgen und sich vermeintlich wieder denselben Partner, diesmal nur in grün, anlachen, ist so rührend wie eindrücklich entwickelt. Considine gibt keinen Hinweis darauf, dass sich hier trotz Josephs nach außen gewendeter Aggression und Hannahs Kokonisierung über die Zeit nicht ebenso (selbst-)zerstörerische Verhältnisse entwickeln könnten, wie die, denen sie gerade entkom-men sind. Allein, man ist versucht zu glauben, dass es gut geht, und das sagt viel über die Liebe aus, mit der „Tyrannosaur“ die Schwächen seiner Figuren einfängt, aber nicht als unverrückbar ausstellt. Schließlich geht es bei Considine primär um Vergebung und um eine höhere Macht, die Trost und Sinn spenden könnte: um Gott, „diesen Scheißkerl“, wie es drastisch aus Joseph herausbricht, als er sich mit Hannah wie das Ausschussprodukt eines göttlichen Plans fühlen mag. In diesem Glauben an eine höhere Gnade liegt nicht nur die Selbstlosigkeit bis zur Selbstaufgabe, sondern auch eine Vergebung gegenüber anderen und gegenüber sich selbst, die eine Zukunft im Jetzt verspricht – und sei dieses auch noch so erniedrigend.
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