Tableau noir - Eine Zwergschule in den Bergen

Dokumentarfilm | Schweiz 2013 | 123 Minuten

Regie: Yves Yersin

Der Schweizer Regisseur Yves Yersin beobachtet ein Jahr lang die Bergschule „La Montagne“ von Derrière-Pertuis mit etwa 20 Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren. Der 60-jährige Lehrer Gilbert Hirschi unterrichtet alle Stufen gleichzeitig und in nahezu allen Fächern; die Schüler lernen spielend, erfahren Erfolge und Rückschläge. Das Dokument eines außergewöhnlichen Schulalltags konzentriert sich ganz auf die Kinder und gewährt einen einfühlsamen und authentischen Einblick; „erwachsene“ Probleme, etwa die drohende Schließung der Schule, fließen eher nebenbei ein und unterfüttern die lebenskluge Betrachtung mit (kultur-)politischen Weitungen. Ein wehmütiger, warmherziger Abgesang auf eine aussterbende Schulform, der durch seine Protagonisten, die Kameraarbeit und eine ausgeklügelte Montage besticht. - Sehenswert ab 10.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
TABLEAU NOIR
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Ateliers Merlin sàrl/RTS Radio Télévision Suisse/Philippe Bizet Prod.
Regie
Yves Yersin
Buch
Yves Yersin
Kamera
Patrick Tresch · Yves Yersin
Schnitt
Yves Yersin · Jean-Baptiste Perrin · Mamouda Zekrya
Länge
123 Minuten
Kinostart
16.10.2014
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
1979 kam Yves Yersins wunderbarer Spielfilm „Kleine Fluchten“ (fd 22 296) um die Exodus-Fantasien des Knechts Pipe auf seinem klapprigen Mofa in die Kinos. Die charmante Komödie avancierte in den folgenden Jahren zum kommerziell zweiterfolgreichsten Schweizer Film aller Zeiten. Seltsamerweise verschwand der Filmemacher nach diesem Sensationserfolg aber von der Bildfläche. In Lausanne baute er stattdessen eine Filmschule auf und wirkte hinter den Kulissen. Es ist deshalb geradezu ein Ereignis, dass Yves Yersin, der inzwischen 72 Jahre alt ist, nun mit einem Dokumentarfilm auf die große Leinwand zurückkehrt. Dessen „Plot“ ist vergleichsweise unspektakulär. In einem Bergdorf im Schweizer Jura unterrichtet Gilbert Hirschi seit nahezu 40 Jahren ein Dutzend Kinder zwischen 6 und 12 Jahren in einer Zwergschule. Da das kleine Gebäude nur über einen einzigen Klassenraum verfügt, lernen die Schüler aller Altersstufen gemeinsam. Der Pädagoge ist bei Eltern wie Kindern gleichermaßen beliebt; dennoch droht der Schule das Aus, da der Bezirksverwaltung die Kosten zu hoch sind. Das Konzept erinnert an Nicolas Philiberts Dokumentarfilm „Sein und Haben“ (fd 35 751), der 2002 schon auf ähnliche Art eine Zwergschule in den französischen Alpen porträtiert hatte. Wie bei Philibert steckt auch hinter Yersins Film eine akribische Vorbereitung: Ein Jahr lang hat er den Unterricht mit der Kamera begleitet. Gedreht wurde nicht nur hin und wieder, wie bei Langzeitbeobachtungen sonst üblich, sondern täglich. So entstanden rund 1200 Stunden Material, aus denen der Regisseur, unterstützt von zwei Cuttern, in fünfjähriger Kleinarbeit seinen Dokumentarfilm montierte. Dem Endprodukt sieht man die Sorgfalt und die Liebe zum Detail in jeder Sekunde an. Unterteilt in mehrere Kapitel, beginnt der Film mit der Ankunft der Erstklässler und endet mit dem letzten Schultag. In Gestalt von Gilbert Hirschi erlebt man einen Pädagogen, wie man ihn sich nicht besser denken könnte. Eine gütige Vaterfigur, die stets ein offenes Ohr für seine Schüler hat, in den klassischen Fächern, aber auch in Kunst und Handwerk bewandert ist und seinen Unterricht, wann immer möglich, in der freien Natur abhält. Die Kamera ist stets ganz nah dabei, ruht auf den Gesichtern der Schüler und fängt jede ihrer Gefühlsregungen ein. Selbst in einer Schlüsselszene, in der ein Mädchen wegen einer schlechten Note bittere Tränen vergießt und von Hirschi getröstet wird, hat man nicht den Eindruck, dass sich die Akteure unter Dauerbeobachtung wähnten. Im Laufe des Schuljahres scheinen die Kinder die Anwesenheit des Filmteams schlicht vergessen zu haben. Auch wenn sich das Geschehen zum größten Teil innerhalb der Schule abspielt, ist die Natur mit ihren wechselnden Jahreszeiten stets präsent, wenn etwa die Schüler einen Ausflug machen oder der Lehrer sie morgens mit dem Schulbus von ihren entlegenen Höfen einsammelt. Die drohende Schließung der Schule gibt hier keineswegs die Dramaturgie vor, sondern kommt erst im letzten Viertel des Films verstärkt zur Sprache. Yersin gelingt ein ebenso warmherziger wie wehmütiger Abgesang auf ein Idyll, der klugerweise nicht den Eindruck erweckt, als könnten solche Biotope weltweit die Schulform der Zukunft sein. Und doch vermittelt er sinnfällig, wie ein ideales Lehren und Lernen aussehen könnte. Ein kleiner großer Dokumentarfilm, der unbedingt auf die Kinoleinwand gehört!
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