Light Sleeper

Krimi | USA 1991 | 103 Minuten

Regie: Paul Schrader

Ein Dealer für gehobenere Kreise rechnet nach dem Tod seiner Frau, die er liebte, gnadenlos mit seinem Milieu ab und wandert, schwer verletzt, aber erleichtert ins Gefängnis. Die Folie des Kriminalfilms dient als Transportmittel für die Geschichte einer Erlösung und die Suche nach Gnade. Dabei gerät der angestrebte "transzendentale Stil" ein wenig zum Selbstzweck, täuscht Spiritualität vor, ohne wirklich spirituell zu sein. Wegen seiner inhaltlichen Tiefe und der Leistung des Hauptdarstellers ist der Film insgesamt dennoch überzeugend.
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Filmdaten

Originaltitel
LIGHT SLEEPER
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1991
Produktionsfirma
Grain of Sand
Regie
Paul Schrader
Buch
Paul Schrader
Kamera
Edward Lachman
Musik
Michael Been
Schnitt
Kristina Boden
Darsteller
Willem Dafoe (John LeTour) · Susan Sarandon (Ann) · Dana Delany (Marianne) · David Clennon (Robert) · Mary Beth Hurt (Teresa)
Länge
103 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Genre
Krimi | Drama
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Diskussion
Die schwere Limousine samt Chauffeur und das viele Geld, das bei seinen nächtlichen Manhattan-"Touren" den Besitzer wechselt, täuschen: John LeTour hat es nur zum Angestellten eines kleinen, freilich umsatzstarken Unternehmens gebracht, das zuvörderst die Schönen und Reichen beliefert, bevorzugt mit Kokain. Als "Ambulanz" der besonderen Art, jederzeit über einen Piepser für aktuell Bedürftige erreichbar, steht Johns Leben unter dem Vorzeichen des permanenten Mißtrauens, zumal jetzt, da ein unaufgeklärter Mordfall die Szene beunruhigt. Aber nicht nur das raubt ihm den Schlaf: mit Vierzig ist er eigentlich schon zu alt für seinen Job; und zu allem Überfluß will Ann, seine Chefin, demnächst auf Kosmetika, also von den "innerlich" zu den "äußerlich" anzuwendenden Image-Krücken umsteigen. Obgleich John weiß, daß Veränderungen anstehen, läßt er sich einfach treiben. Bewegung, eine mögliche Perspektive kommt in sein zurückgezogenes Leben erst, als Marianne, die immer noch geliebte ehemalige Gefährtin, seine Wege kreuzt - zufällig oder auf Grund jener Vorhersehung, an die er glaubt? Obgleich die Wiederbegegnung bei Marianne vor allem die Erinnerung an die Schrecken der gemeinsamen Drogenjahre wieder aufbrechen und sie einen Rückfall in die kaum überwundene Sucht befürchten läßt, verbringt sie schließlich eine Liebesnacht mit John. Ausgerechnet in dieser Nacht stirbt ihre Mutter, an deren Sterbebett zu wachen sie eigentlich in die Stadt gekommen war. Nachdem sie sich endgültig von John als dem "Unglück ihres Lebens" losgesagt hat, begegnet er ihr wenig später ein letztes Mal - abermals "zufällig" oder schicksalhaft - im "Grace Tower"-Penthouse des Großkunden Tis: voll auf Drogen und in totaler Auflösung wankt sie aus dessen Schlafzimmer und erkennt John. LeTour, dem der Boden unter den Füßen zu entgleiten begonnen hat, ist noch nicht zur wartenden Limousine zurückgekehrt, da zerreißt ein Schrei den Verkehrslärm, und er findet Marianne tot auf dem Gehsteig. Seine Lähmung in apathischem Entsetzen weicht erst, als die Zeitungen unter der Schlagzeile "Fall from Grace" berichten, das Opfer wäre allein in der Wohnung gewesen, also offensichtlich etwas vertuscht werden soll. John gibt der Polizei einen Tip und besorgt sich eine Waffe. Als ihn Tis zu einem weiteren Treffen bestellt, ahnt er die Falle. Widerstrebend und nur in Begleitung Anns geht er hin. Nachdem sich Ann unter falschen Versicherungen hat aus der Wohnung drängen lassen, kommt es zu einem Schußwechsel, bei dem John Tis und seine beiden Leibwächter tötet. Er selbst überlebt schwerverletzt. Als Ann ihn im Gefängnis besucht, gesteht er ihr, daß dieses Ende für ihn "in gewisser Weise auch eine Erleichterung" war. Ann, hinter ihrer harten Fassade schon immer John seelenverwandt, will auf ihn warten.

Die Schlußsequenz stellt die Verbindungen zu jenen beiden Filmen sicher, mit denen sich "Light Sleeper" zu einem Triptychon verbindet: der fulminante Showdown weist zurück auf "Taxi Driver" (fd 19 983), mit dem Schrader erstmals als Drehbuchautor reüssierte; die Gefängnisszene zitiert das Ende seines Films "Ein Mann für gewisse Stunden" (fd 22 460). Travis Bickle und Julian Kaye, die (Anti-)Helden dieser beiden Filme, leben in John LeTour fort, ja alle drei sind eigentlich ein und derselbe Charakter, nur in anderem Ambiente und in verschiedenen Lebensphasen - ein Typus offensichtlich, der mit seinem "Erfinder" altert und ihm Gelegenheit gibt, die Wandlungen der amerikanischen Gesellschaft zu begleiten und zu kommentieren. Wie John litt schon Travis an Schlaflosigkeit und war ein nächtlicher Kreuzfahrer; und auch der Callboy Julian, dessen Maske aus Kühle, Eleganz und Weltgewandtheit bei Ann wiederkehrt, war ein Handlungsreisender in Sachen (illegaler) Genuß der Luxusklasse. Vor allem aber sind sie allesamt im Grunde zutiefst einsame, orientierungslose, nicht zuletzt auch durch ihre Arbeit zur Anonymität, zur "Unsichtbarkeit" verurteilte Menschen, über die die Räume, in denen sie leben, fast mehr sagen als ihr in Routine erstarrtes Reden und Handeln. Und für alle drei werden Begegnungen mit Frauen zum Katalysator von Befreiungs-, ja Erlösungsprozessen.

Daß sich LeTour in einsamen Selbstgesprächen seinem Tagebuch anvertraut, ist der wohl deutlichste Hinweis auf die zweite, formal wie thematisch wichtige Bezugsebene des Films: das Oeuvre Robert Bressons, besonders dessen "Tagebuch eines Landpfarrers" (fd 1717) und "Pickpocket" (fd 12 821). LeTour verbindet Züge von Bressons Taschendieb - etwa die von der Branche geforderte Geschicklichkeit der Hände oder die Schlußbewegung im Gefängnis - mit der Askese und spirituellen Suche des jungen Geistlichen. Auch der hagere, fleisch- und fernsehabstinente Dealer wird wiederholt in die Rolle eines Priesters gedrängt, muß er sich doch immer wieder die Nöte und Lebensbeichten seiner Kunden anhören, während er selbst des spirituellen Zuspruchs bedarf. Hat der Landpfarrer einen lebensklugen Kollegen, so sucht John Hilfe bei einer professionellen Expertin für "Psychic Reading".

"Light Sleeper" variiert aber überhaupt die großen existentiellen und religiösen Themen Bressons, etwa das Eingeschlossen-Sein, die Sehnsucht nach Befreiung und natürlich das Thema Gnade - sei es als Herausfallen aus dieser ("Fall from Grace"), sei es als Gnadengeschenk der Wandlung. Besonders darauf hat Schrader mit dem dem l. Korinther 15,51 entnommenen Motto seine Geschichte fokussiert: "Wir werden nicht alle entschlafen, aber wir werden alle verwandelt werden."

Auf die von einem philosophierenden Drogen-Kunden explizit aufgeworfene Frage nach der Existenz Gottes reagiert Schrader auch ästhetisch und dramaturgisch: "Light Sleeper" ist sein bislang ambitioniertester Versuch, den von ihm theoretisch beschriebenen "transzendentalen Stil" in einem eigenen Film zu realisieren. Nicht nur, daß er das Spiel der ausgezeichnet besetzten Darsteller - allen voran der in jeder Einstellung präsente Willem Dafoe - in Richtung der "Modelle" Bressons, die sich dem Expressiven verweigern, zurücknimmt. "Light Sleeper" folgt auch exakt dem diesen Stil charakterisierenden Stufen-Modell: vom Alltäglichen, über dessen wachsendem Brüchigwerden, das schließlich in einer entscheidenden Handlung kulminiert, bis hin zum Stillstand der Bewegung in der Schlußeinstellung. Und dennoch - die spirituelle Wirkung bleibt aus. Zum einen, weil Schraders Inszenierung nicht konsequent, nicht streng genug ist, sondern trotz des insgesamt sehr persönlichen, unkommer-ziellen Zuschnitts doch immer wieder Konzessionen an das populäre Kino macht. Zum anderen, und das wiegt schwerer, weil er offensichtlich weder seinen Bildern noch seinen Zuschauem im letzten vertraut, sondern meint, "zur Sicherheit" immer wieder deutlicher werden zu müssen.

Zur Crux des Films gerät dabei besonders die Musik. Die eigens für den Film geschriebenen Balladen, die als integrale Komponente der Erzählung entworfen sind und in refrainartigen Wiederholungen das Geschehen strukturieren, sind (nach der Dialog - und der Tagebuchstimme) eine dritte, innere Stimme LeTours. Wenn diese mit biblisch-apokalyptischen Zitaten aufgeladenen Songs dann aber mit ebenso großer Emphase wie Direktheit eine brennende Welt, Vorsehung, Gnade oder Läuterung beschwören - und das von der Vorspann-Sequenz an! -, leisten sie dem Film wahrlich einen Bärendienst. Gerade weil ihre Koordinate allzu nachdrücklich an die Oberfläche befördert und lautstark verkündet werden, geht letztlich jene tiefere, religiöse Bedeutungsschicht verloren, an der Schrader gelegen ist. Obwohl er eigentlich genau weiß, daß der "transzendentale Stil" seine Intensität vor allem dem Indirekten und der Reduktion im Sinne einer radikalen Ökonomie der Mittel verdankt, überzieht er nach dem Tod Mariannes die Ereignisse mit einem zunehmend dicker dräuenden, die innere Not bisweilen als Ächzen und Stöhnen materialisierenden Soundtrack. Als sie schließlich das Feuergefecht zum kathartisch-erlösenden Taufbad einer neuen Geburt überhöhen soll, kippt die Musik endgültig um in religiös-sakralen Schwulst. Mit solchen und anderen Überdeutlichkeiten gerät "Light Sleeper" am Ende zu einem Beispiel für das, was sein Regisseur bei anderen Filmen moniert hat: daß sie Spiritualität behaupten, ohne spirituell zu sein.

Das ist in diesem Fall besonders schade, denn über weite Strecken gelingt es Schrader durchaus, die altvertrauten Genre-Bilder der Drogen-Szene hinter sich zu lassen und eine atmosphärisch dichte Erzählung zu entwickeln. Neben den Qualitäten in der Bildgestaltung und subtilen Darstellerführung zeigt er auch beachtliches Geschick, die vielen Referenzen auf eine ganz unprätentiöse Weise zu integrieren und so den Film anzureichern, ohne ihn zu ersticken. Hätte er nur nicht allzu plakativ eine Tiefe reklamiert, die sich als eine glaubwürdige entweder zwanglos oder gar nicht einstellt.
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