Das Wunder von Taipeh

Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 87 Minuten

Regie: John Seidler

1981 errang eine deutsche Fußballmannschaft der Frauen erstmals den Weltmeistertitel in Taipeh. Zu diesem Zeitpunkt existierte allerdings noch gar kein Nationalteam, zudem gab es für die entsandten Spielerinnen so gut wie keine Unterstützung durch den DFB. Ein ebenso unterhaltsamer wie brisanter Dokumentarfilm über die aus zeitlichem Abstand vielfach absurd anmutenden Anfänge des Frauen-Fußballs in Deutschland. Neben Interviews mit ehemaligen Spielerinnen wirft er anhand vieler Archivbilder einen entlarvenden Blick auf die damals unverhohlen sexistische Männersicht auf kickende Frauen. - Ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
CORSO Film- und Fersehprod.
Regie
John Seidler
Buch
John Seidler
Kamera
Conny Beißler
Musik
Matthias Hornschuh
Schnitt
John Seidler
Länge
87 Minuten
Kinostart
27.02.2020
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm | Sportfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
mindjazz (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Ein Dokumentarfilm über die schwierigen Anfänge des Frauenfußballs in (West-)Deutschland bis zum ersten Weltmeistertitel einer inoffiziellen Nationalmannschaft 1981 in Taipeh.

Diskussion

1981 wurde Deutschland erstmals Weltmeister im Frauenfußball. Eine offizielle Weltmeisterschaft war es allerdings nicht, da der Sport für den Fußballweltverband FIFA überhaupt noch kein Thema war. Und eine deutsche Nationalmannschaft ging dort auch nicht wirklich an den Start. Weil es schlicht keine gab. Was die Herren des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) auch einräumen mussten, als es um die Einladung zum Turnier in Taipeh ging. Da die Veranstalter aber unbedingt Vertreterinnen der großen Fußball-Nation Deutschland dabeihaben wollten, schickte man schließlich das Team des amtierenden deutschen Meisters SSG 09 Bergisch Gladbach nach Fernost. Wobei „schicken“ auch schon wieder übertrieben ist. Eher erlaubte der Verband den Frauen die Reise, beteiligte sich aber ansonsten in keiner Weise an der Expedition. Die Kosten hatten die Spielerinnen und der Verein aus der Kleinstadt im Kölner Umland selbst zu tragen.

Wenn die damals beteiligten Kickerinnen heute erzählen, wie sie seinerzeit in Kaufhäusern Autogrammstunden gaben, selbst lokale Sponsoren suchten oder in Fußgängerzonen Waffeln verkauften, um die Reise antreten zu können, mutet das mehr als grotesk an. Doch die Anfänge des Frauenfußballs in Deutschland, die dieser Dokumentarfilm rekonstruiert, nehmen sich aus heutiger Sicht noch weit absurder aus. Dazu gehört, dass es Frauen bis 1970 verboten war, in Vereinsmannschaften zu spielen. Den Beschluss hatten die Fußball-Funktionäre 1955, ein Jahr nach dem „Wunder von Bern“, gefasst, als zunehmend auch von der Euphorie getragene Frauen Fußball spielen wollten. Clubs, die es trotz des Verbotes wagten, ein Frauen-Team aufzunehmen, drohte der DFB bis 1970 mit Lizenzentzug und Ausschluss der Männermannschaften vom offiziellen Spielbetrieb.

Vereine aus Kleinstädten dominierten die Anfänge

Also nahmen die fußballbegeisterten Mädchen und jungen Frauen die Sache selbst in die Hand, gründeten Thekenmannschaften oder Ähnliches und veranstalteten Turniere auf allen erdenklichen Plätzen. Und als die Herren des DFB dann endlich ein Einsehen hatten und einen offiziellen Betrieb des Frauenfußballs erlaubten, waren es oft Mannschaften aus vergleichsweise kleinen Orten, die für Furore sorgten, weil die großen, etablierten Vereine sich weiterhin eher um das Geschäft mit ihren männlichen Bundesliga-Kickern kümmerten. So konnte es passieren, dass der Club aus Bergisch Gladbach die dominierende Truppe im Frauenfußball mit insgesamt neun Meistertiteln werden konnte.

Einige der Spielerinnen aus den glorreichen Zeiten erinnern sich im Film an die Erfolge, aber vor allem an die Probleme, denen sie sich damals gegenübersahen. Mal gemeinsam, mal einzeln im heimischen Wohnzimmer erzählen sie sehr persönlich, amüsiert oder noch immer verärgert von den Steinen, die ihnen seinerzeit seitens des DFB in den Weg gelegt wurde. Und um die öffentliche Anerkennung seitens der Medien war es kaum besser bestellt. Das Archivmaterial, das Filmemacher John David Seidler, der sich seit geraumer Zeit mit dem Thema Fußball beschäftigt, zu diesem Punkt zusammengetragen hat, dürfte jüngere Zuschauer ebenso erheitern wie sprachlos machen. Da erklärt ein DFB-Funktionär, dass Frauen doch „am Kochherd besser aufgehoben“ seien und Sepp Herberger konstatiert schlicht, der Kampfsport Fußball sei für Frauen nicht geeignet. Und die „Sportschau“-Legende Ernst Huberty verkündete noch in den 1970er-Jahren, es gäbe „hübschere Sportarten für Frauen“. Zudem hätten Ärzte bei kickenden Damen „bereits leichte muskuläre Deformierungen“ festgestellt.

Auf den Einwurf der Interviewerin, die gebe es aber doch auch bei männlichen Kickern, erklärt Huberty so ungelenk wie unverhohlen sexistisch: „Schon, aber da der Frauenkörper doch mehr begehrt ist als der von Männern, ist es für sie schlechter.“ Sein WDR-Kollege Dieter Thoma, Gastgeber des Talks „Kölner Treff“, stand ihm diesbezüglich in nichts nach, als er von den Spielerinnen aus Bergisch Gladbach nach mehreren gewonnenen Meisterschaften glucksend wissen wollte, wie es denn im Frauenfußball um das Stoppen des Balls mit der Brust bestellt sei.

Ein Stück Zeitgeschichte

So dokumentiert der Film anhand der Historie des Frauenfußballs so sinnfällig wie erschreckend ein Stück Zeitgeschichte der BRD. Aus naheliegenden Gründen tut sich der Film mit Bewegtbildern kickender Frauen aus den Archiven eher schwer. Da die öffentlichen Medien dem Spielgeschehen kaum Beachtung schenkten, müssen hier vielfach verwackelte Amateur-Aufnahmen oder Schnappschüsse aus privaten Fotoalben als Belege herhalten. Wobei es sich vielfach um nicht näher identifizierbares Material handelt, in dem irgendwelche Frauen bei irgendwelchen Spielen dem Ball nachjagen. Und selbst die (chinesischen) TV-Bilder vom Turnier in Taipeh sind so grobkörnig, dass der entscheidende Treffer im Endspiel gegen die Niederlande eher zu erahnen denn zu sehen ist. Was dem Unterhaltungswert und der Brisanz dieses unkommentierten Dokumentarfilms aber letztlich kaum etwas nimmt.

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