Drama | Indien 2021 | 294 (6 Folgen) Minuten

Regie: Alankrita Shrivastava

Hybrid-Serie aus Emanzipationsdrama und Bollywood-Soap Opera, deren weibliche Figuren sich erst aus dem engen Korsett der Konventionen winden müssen. Die Auflehnung gegen sexuelle Übergriffe und gesellschaftliche Erwartungen wird dabei zum narrativen Spannungsbogen. Meist nicht sonderlich subtil, aber in seiner Grundtendenz engagiert auf die Selbstermächtigung der weiblichen Figuren ausgerichtet, entwickelt sich eine mitreißende Geschichte um fünf Frauen unterschiedlichster Altersstufen und Schichten, die sich allen Widerständen zum Trotz einen Weg für ihre Lebensträume bahnen. Zusammenhalt und Ehrlichkeit untergraben dabei das Macht-Ungleichgewicht, das nur durch eine geschlechterübergreifende Mesalliance aus Schweigen und Vertuschung aufrechterhalten werden kann. – Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BOMBAY BEGUMS
Produktionsland
Indien
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Chernin Entertainment/EndemolShine India
Regie
Alankrita Shrivastava · Bornila Chatterjee
Buch
Alankrita Shrivastava · Iti Agarwal · Bornila Chatterjee
Kamera
Akshay Singh
Schnitt
Charu Shree Roy · Omkar Uttam Sakpal
Darsteller
Pooja Bhatt · Shahana Goswami · Amruta Subhash · Plabita Borthakur · Aadhya Anand
Länge
294 (6 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
– Ab 16.
Genre
Drama | Serie

Eine Serie um fünf Großstadt-Frauen aus unterschiedlichen Generationen und Milieus und ihr alltägliches Ringen mit gesellschaftlichen Rollenbildern, mit Moralvorstellungen, Sexualität, persönlichen Wüschen und privaten wie beruflichen Krisen.

Diskussion

Manche Frauen seien zum Herrschen geboren. So würde Shai am liebsten eine Rebellion anführen. Nur gegen was? Da ist sich die aufmüpfige Stimme aus dem Off noch nicht sicher. Das zwölfjährige Mädchen ist begabt, kritisch – und die Stieftochter einer solchen „Herrschenden“, einer „Begum“, wie hochgestellte Muslima in Indien und Pakistan bezeichnet werden. Während Shai auf das Einsetzen ihrer ersten Monatsblutung wartet, ringt ihre Stiefmutter Rani mit den ersten Anzeichen der Menopause. Vor dem rein männlich besetzten Vorstand versucht die 49-jährige Chefin der Royal Bank of Bombay jede Hitzewallung sorgsam zu verbergen. Als ob sie mit dem Verlust der Fruchtbarkeit ihre sexuelle Anziehungskraft und damit auch ihre Führungsqualitäten einbüßen würde.

It`s a man`s world, gerade auch in Indien, das ja kaum als Vorreiter in Sachen Frauenrechte gilt. Ganz im Gegenteil; es existieren wohl nur wenige Länder, in denen Übergriffe gegen Frauen solch brutale Ausmaße annehmen. Schuld daran ist auch der eklatante „Männerüberschuss“, weil weibliche Nachkommen weniger geschätzt, oft illegal abgetrieben oder bereits als Säuglinge schlecht versorgt werden.

Mit Geld lassen sich viele Problem lösen

Für die Gesellschaftsschichten, aus denen Rani, ihre Tochter Shai, die aufstrebende Fatima und die Uni-Absolventin Ayesha stammen, gilt die Abwertung des weiblichen Geschlechts weniger – zumindest nicht vordergründig. Sie unterliegen nicht denselben Limitierungen wie die Prostituierte Lily, deren Sohn an Krücken geht, seitdem er von Ranis Stiefsohn mit dem Auto überrollt wurde.

Mit Geld lassen sich viele Probleme lösen – oder mit einem Förderprogramm für mittellose Frauen, wie es Rani für Lilys Traum einer eigenen Metallfabrik aus dem Boden stampft. Ayesha, die von Fatima gerade gefeuerte, weil ungeschickte Auszubildende, soll das Projekt ins Laufen bringen. Doch die junge Frau vom Lande gerät selbst ins Stolpern, als sie mithilfe eines Abteilungsleiters in der Bank aufzusteigen versucht und von diesem sexuell missbraucht wird.

„Das hier ist die Royal Bank, keine Tanzbar“, entgegnet Rani einmal der besorgten Lily, als diese angesichts von Ayeshas Anzeige konstatiert, sie besäße als Prostituierte einen „Doktortitel in erzwungenem Sex“. Lilys gesellschaftlicher Rang mag niedriger sein. Doch die Gefahr für nach Unabhängigkeit strebende Frauen ist in der indischen Gesellschaft dieselbe, auch wenn sich durch genügend Geld vermeintlich viele Spielfelder eröffnen; die Regeln werden dennoch immer von den Männern bestimmt. Rani kann die „Begum“ spielen, muss dafür aber allerhand vertuschen: die Kränkung durch einen Ehemann, der beim Sex immer noch den Namen seiner verstorbenen Frau stöhnt; die Affäre, die sie mit dem Leiter der Aufsichtsbehörde unterhält; oder den Autounfall des Stiefsohns, durch den Rani erpressbar wird.

Sie sind Opfer, aber auch (Mit-)Täterinnen

Diese Frauen, oft zerrissen zwischen Familie und Beruf, sind immer noch in den alten Machtstrukturen verwurzelt, die Übergriffe überhaupt erst ermöglichen. Sie sind Opfer, aber auch (Mit-)Täterinnen, wenn sie die Positionen, die sie einmal erreicht haben, zu halten versuchen und dabei von Männern verursachte Missstände decken. Genauso ordnen sie sich deren Idealen unter. Hauptsache immer gut geschminkt und gestylt!

Selbst die klug über die weibliche Selbstbestimmung sinnierende Shai sehnt sich nach einem BH, der ihre Brüste größer wirken lässt. Die ungewollt kinderlose Fatima legt eine beispiellose Karriere hin. Auf der anderen Seite ist die avisierte Leihmutter für sie „nur eine Gebärmutter“. Rani und Fatima wollen eine Firma wegen deren plastikfreier Produkte übernehmen, kaufen aber ständig neue Klamotten und finden Männer toll, die auf Großwildjagd gehen. Ambiguität wird hier großgeschrieben. Genau daraus besteht allerdings das verinnerlichte Gedankenkorsett, aus dem sich die Frauen wie auch die Serie „Bombay Begums“ emanzipieren müssen.

Sprachlich und visuell werden Grenzen getestet

„Bombay Begums“ testet gleichsam wie die Figuren die Grenzen aus, was in Indien an emanzipiertem Sex – mit anderen Ehemännern oder demselben Geschlecht – so möglich ist. Anders als im Bollywood-Film reihen sich hier allerdings nur die Prostituierten in die Tanzszenen ein. An einer Stelle buchstabiert die Kamera den begehrenden männlichen Blick durch, wie er in der Inszenierung weiblicher Sexualität im Bollywood-typischen Tanz geworfen wird. Lily ist Teil einer Tanzformation, mit der sie das sexuelle Interesse eines Kommunalpolitikers und letztlich dessen brutale Antwort „provoziert“, als sie sich seinem Begehren widersetzt. Regisseurin Alankrita Shrivastava bricht hier mit dem positiv besetzten Bollywood-Tanz und zeigt, wie auch dieser an der Sexualisierung der Frauen mitstrickt – womit sie auch in der Realität die Politik auf den Plan ruft.

Bereits ihr hochgelobter Film „Lipstick under my Burkha“ (2016) ließ den Rotstift der Zensoren zucken, konnte aber durch ein paar Kürzungen einem Verbot entgehen. In der Serie „Bombay Begums“, die einen durchaus überzeugenden Beitrag zur #metoo-Debatte leistet, auch wenn sie ihre Botschaften nicht sonderlich subtil transportiert, firmiert Shrivastava jetzt als Regisseurin, Autorin und Produzentin.

Wer eingefahrene Verhaltenskodices in Frage stellt, muss allerdings mit Gegenwind rechnen. Die indische Kommission zum Schutz der Kinderrechte (NCPCR) forderte Netflix sogar auf, die Ausstrahlung der Serie zu stoppen, weil mit der Figur von Shai eine Minderjährige unangemessen in ihrer Sexualität und beim Drogenmissbrauch gezeigt werde. Dabei dürfte das Problem eher in Shais verbalem und künstlerischem Ausdruck als in ihrem Handeln liegen. Shai zeichnet nicht nur ihre Gedanken zu Menstruation und Sexualität recht offenherzig in ihr wohlbehütetes Skizzenheft, sie ist auch der festen Überzeugung, dass jede Frau über ihren Körper so verfügen soll, wie sie will – sei es um sich zu prostituieren oder den Liebhaber zu nehmen, den sie möchte.

Ein freizügiger Geist eckt an

Streaming-Serien, die sich an kontroversen Themen abarbeiten, unterliegen in Indien nicht derselben Zensur wie Filme. Dennoch laufen sie Gefahr, in den Fokus der Regierung zu geraten. Seit Ende 2020 unterstehen auch digitale Angebote dem Informationsministerium. Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum „Bombay Begums“ immer noch wie ein Hybrid zwischen Bollywood-Soap-Opera und fortschrittlichem Emanzipationsdrama erscheint. Auf der anderen Seite erweist sich „Bombay Begums“ als vergleichsweise freizügig, was die Darstellung von homosexuellem Sex und unorthodoxen Lebensentwürfen junger Frauen angeht.

Wie einschneidend die Thematisierung bestimmter Probleme für den Erfolg einer Serie sein kann, lässt sich dabei auch an der verdächtig niedrigen Ein-Stern-Bewertungen auf imdb.com ersehen. Ähnlich erging es schon den Produktionen „Paatal Look“ und dem Publikumsliebling „Rasbhari“, die auf der imdb-Seite eine Zeit lang massenhaft abgewertet wurde. Mutmaßlich handelt es sich dabei um indische Regierungskampagnen, die im Endeffekt genau das unterstreichen, wovon diese Filme erzählen: dass das Land erst am Anfang steht, feministische Themen in ihrer Narrationen zu tolerieren oder gar zu fördern – ebenso wie im realen Leben.

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